11 Freunde, 0 Kritiker

von Peter Löcke //

Philipp Köster ist Geschäftsführer und Chefredakteur von „11 Freunde“. Er selbst gründete das Magazin für Fußballkultur im April 2000. Sein Baby wurde also jüngst 25 Jahre alt. Ein Vierteljahrhundert „11 Freunde“ von und mit Philipp Köster, einem Menschen, der Fußball lebt, liebt und darüber schreibt. Vermutlich schwingt eine Spur Wehmut mit, wenn Köster nun gegenüber dem Medienmagazin Kress [1] ein vernichtendes Urteil über den erbärmlichen Zustand des Fußballs, besser gesagt über die Berichterstattung rund um das gar nicht runde Leder aus Polyurethan und anderen Hightech-Kunststoffen, fällt. 

„Weite Teile des Fußballestablishments haben für unabhängigen Journalismus nicht einmal mehr Verachtung übrig. Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtenportale sind aus der Perspektive vieler Funktionäre, Berater, Manager nur noch schnöde Abwurfplätze für platte PR-Botschaften. Kritische Nachfragen und unabhängige Berichterstattung sind unerwünscht. Wer hingegen kuschlige Erkundigungen vorbringt und brav die PR-Narrative weiterverbreitet, darf in die Küchen und Wohnzimmer der Stars und deren Plattitüden mit serviler Note (Gänsehaut!) kommentieren.“

Kösters Analyse des Ist-Zustands spricht mir aus dem Fußballherzen. Nur noch PR statt kritischem Journalismus. Seichte Stories auf Dschungelcamp-Niveau statt Artikel mit fachlicher Tiefe. Zwischen den Zeilen der Abrechnung ist deutlich herauszulesen, dass sich das Establishment, die Vereine also, in einer Machtposition sehen, in welcher sie die schreibende Zunft zu diesem unterwürfigen Verhalten drängen können. Welches Verhalten? 

Liebe Medienschaffenden. Schreibt gefälligst so über uns wie wir es wollen oder ihr schreibt gar nicht!

Spannend ist die Frage, wie es zu diesem Status Quo kommen konnte. Das Thema ist auch für Sportmuffel interessant, weil  der Sportjournalismus immer schon ein Indikator für Tendenzen im gesamten Journalismus war. Was hat sich seit der Gründung von „11 Freunde“ zur Jahrtausendwende geändert? Ich versuche mich an einem Parforceritt über den Fußballjournalismus der letzten 25 Jahre.

Die Fußballwelt war in den 2000er Jahren noch weitestgehend analog. Als Fan informierte man sich über Fachmagazine wie Kicker, Sport Bild, 11 Freunde und dem Sportteil der abonnierten Tageszeitung. Wenn dort in einem Trommelfeuer die Entlassung eines Trainers gefordert wurde, kam es in der Regel auch dazu. Dieser öffentliche Druck existiert zwar heute noch, dennoch war vieles anders. Die Macht der klassischen Medien war um ein Vielfaches größer. Anders als beim von Philipp Köster skizzierten Ist-Zustand waren die Vereine damals aus nachvollziehbarem Eigeninteresse um ein positives Verhältnis zur Sportpresse bemüht. Je besser das Verhältnis, umso ruhiger konnte ein Proficlub auch nach drei Niederlagen am Stück arbeiten. Die Medien selbst fungierten noch als kritisches Kontrollorgan. Dass etwa Borussia Dortmund 2003 kurz vor der Insolvenz stand, war das Ergebnis einer Investigativ-Recherche zweier Journalisten. Dafür wurden Thomas Hennecke (kicker) und Freddie Röckenhaus (Süddeutsche Zeitung) zunächst angefeindet, bevor der Verein die Richtigkeit der Recherche kleinlaut eingestehen musste [2].

Ein Sprung in die 2010er Jahre und damit ein Sprung in die bereits digitale Welt. Die Profivereine entwickelten langsam ihre eigenen Kanäle, ihre Plattformen in den sozialen Medien. Die Clubs wurden langsam aber stetig zu einem eigenen Medium mit wachsender Leserschaft. Dementsprechend sank aus Vereinssicht die Abhängigkeit von klassischen Sportmedien, damit sank der Bedarf an einer möglichst wohlwollenden Berichterstattung von außen. Zu jener Zeit änderte sich noch etwas. Der Fußballfan konnte sich erstmals an der Quelle informieren. Vor und nach den Fußballspielen finden seit jeher Pressekonferenzen statt, auf welchen sich die Trainer der versammelten Sportjournaille stellen. Diese heute auch Mediengespräch genannten PKs konnte sich nun jeder Interessierte auf der Homepage des Vereins oder auf YouTube & Co live anschauen. Es gab keinen Grund mehr, zusätzlich einen Artikel darüber zu lesen. Es sei denn, man verspürte ein Drang auf einen sportiven Nine-Eleven-Moment. Meiner Erfahrung nach haben bis heute viele Artikel über eine Pressekonferenz wenig bis gar nichts mit dem dort Gesagten zu tun. Oft wird aus harmloser Kritik ein Ätzen, aus der Formulierung eines sportlichen Ziels eine Kampfansage und – was noch schlimmer ist – nicht selten werden in Artikeln den Protagonisten auf dem Podium Worte in den Mund gelegt, die so nie gefallen sind.

Ein letzter Sprung beim schnellen Ritt durch die journalistische Fußballzeit. Ein Sprung in die Gegenwart des Jahres 2025, die vom Journalisten Philipp Köster so ernüchternd wie erschreckend analysiert wird. Was hat sich in den letzten zehn Jahren geändert? Nun. Das, was in den 2010er Jahren noch in den Kinderschuhen steckte, ist erwachsen geworden. Die Vereine auf der einen Seite und die Berichterstattung über die Vereine auf der anderen Seite? Diese Dualität gehört der Vergangenheit an. 

Die Profi-Vereine sind zu Berichterstattern ihrer selbst geworden. 

Das wiederum hat zur Folge, dass sich die klassischen einst kritisch schreibenden Sportmedien devot dankbar zeigen, wenn zumindest ein paar Brotkrumen der Berichterstattung abfallen. Meine These lässt sich anhand nackter Zahlen belegen. In der Summe über 70 Millionen Follower auf Facebook, X und Instagram! Das ist ein Medien-Universum mit unendlichen Reichweiten. Darüber darf sich Deutschlands Branchenriese FC Bayern München freuen [3]. Und das sind auch nur die Vereinszahlen, denn schließlich stellt jeder der kickenden Fußball-Popstars eine Medien-Ich-AG dar. Der Superstar Christiano Ronaldo knackte im vergangenen Jahr die Schallmauer von über einer Milliarde Follower [4]. Zum Vergleich: Das montags und donnerstags erscheinende Fachmagazin „kicker“ hat nur mehr eine Auflage von etwa 60.000. Tendenz fallend. Vor 25 Jahren waren es mehr als 200.000 [5].

„So ist der Lauf der digitalen Zeit“ könnte man nun achselzuckend sagen. Ich sehe das kritischer. Ich sehe es wie Philipp Köster. Bei dem, was die Follower in den sozialen Medien, was vermehrt auch die Leser der klassischen Fußballmedien an geistiger Nahrung erhalten, handelt es sich um einen faden Einheitsbrei aus Werbung und leicht verdaulichem Content statt Journalismus. Nennen Sie es anekdotische Evidenz gepaart mit Arroganz, doch als fußballinteressierter Mensch im Alter von Philipp Köster darf ich bei Gesprächen mit jüngeren Fans folgendes feststellen. Diese Generation weiß so gut wie alles über einen Fußballstar – von der Lieblingsspeise über sein Haustier bis zum neuesten Tattoo der Gattin. Nur über Fußball weiß mein Gegenüber oftmals wenig. Und dieses Phänomen zeigt sich auch bei politischen Themen. Verpackung schlägt Inhalt! Besser als Philipp Köster kann ich meine Befürchtungen nicht in Worte fassen.

„Keine Sorge, liebe Freunde, der Fußball wird immer voller wunderbarer Geschichten stecken. Es wird dann nur keiner mehr da sein, der sie erzählen kann.“ 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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