von Peter Löcke //
Dünnes Eis. Ich bewege mich gerade auf ganz dünnem Eis und sollte besser schweigen.
Viel zu oft haben sich diese Worte so oder ähnlich in den letzten Jahren in meinem Kopf geformt. Was darf ich noch sagen und wie? Wo darf ich es noch sagen und zu wem? Ich bin kein mutiger Mensch, zumindest nicht immer. Ich gestehe, Angst zu haben und damit stehe ich nicht alleine. Laut einer Umfrage aus dem Dezember 2023 glauben nur noch 40 Prozent der Deutschen, Ihre Meinung frei äußern zu dürfen. Das ist eine schallende Ohrfeige für ein Land, das unentwegt von sich behauptet, eine liberale Demokratie zu sein.
Gut ein Jahr später dürfte das Ergebnis der Umfrage noch erschreckender ausfallen. Nicht nur staatliche Meldestellen und sogenannte Trusted Flagger sprießen aus dem Boden. Auch private Agenturen wie SO DONE suchen und finden ihre finanzielles Glück im Melden und anschließendem Verfolgen von vermeintlichem Hate Speech. Unter dem Reiter Erfolgsgeschichten verkündet besagte Agentur stolz die konkreten Geldsummen, die sich mit in der Regel digital getätigten Beleidigungen eintreiben lassen. Das Wort „Rheinmetallschlampe“ etwa – wer immer damit gemeint ist und ich zitiere nur den Internetauftritt des Unternehmens – brachte 1000 Euro ein. Ich gratuliere der Agentur zu dieser Erfolgsgeschichte. Hinter der Agentur SO DONE stehen Alexander Brockmeier, Marcel Schliebs und Franziska Brandmann. Die zuletzt Genannte ist außerdem Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen und Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Ich gratuliere Franziska Brandmann zu dieser Verrenkungsgeschichte an eigenen Prinzipien und liberalen Werten. Zu den Großkunden von SO DONE zählt Robert Habeck, der die Agentur neben anderen Prominenten auch bewirbt.
Sie werden sicher von dem Schwachkopf-Meme, das zu einer früh morgendlichen Hausdurchsuchung bei einem Rentner führte, gelesen haben. Falls nicht – der von mir äußerst geschätzte, großartige Snicklink hat es hier künstlerisch zusammengefasst.
Mittlerweile zieht der Skandal weitere Kreise. Berichten zufolge führt auch die Verwendung eines Kot-Emojis im Zusammenhang mit politischer Prominenz zu empfindlichen Geldstrafen. Das beruhigt mich, denn dieses Emoji kenne ich erst durch den TV-Moderator Jan Böhmermann, der dieses Icon bevorzugt verwendet. Auch die nichtkorrekte, nur sinngemäße Wiedergabe von Baerbock-Zitaten führte laut noch nicht bestätigten Meldungen zu Hausdurchsuchungen und etwaigen Geldstrafen. Schließlich sei das eine Form von nicht mehr zu tolerierender Respektlosigkeit. Das wiederum verwundert mich. Für mich war es stets eine Form von Respekt, die deutsche Außenministerin nur sinngemäß und nicht wortwörtlich zu zitieren. Niemand will Krieg. Doch wer will schon einen Krieg in der Ostkokaine?
Das dünne Eis der Meinungsfreiheit wird von Tag zu Tag dünner. Bleiben wir eine Sekunde im Sprachbild des dünnen Eises. Kein freiheitsliebender Demokrat möchte, dass dieses Eis endgültig einbricht, um anschließend im eisigkalten Wasser einer Diktatur zu ertrinken. Nur wie verhalte ich mich bis dahin? Ich kann es mir leicht machen und mich nur noch angsterfüllt und kriechend bewegen, um ja nicht einzubrechen. Am besten bewege ich mich gar nicht und lege mich regungslos, Arme und Beine von mir gestreckt, auf das Eis des Lebens und schweige. Dann ist mein Leben sicher gut versichert. Dann gebe ich dem eingangs erwähnten Drang nach, besser zu schweigen, weil mir das weniger Probleme bereitet. Nur – ist es dann noch ein Leben, wenn man mir den freien Tanz durch das Leben verbietet?
Ich weiß es nicht. Friedrich Nietzsche hatte dazu eine klare Meinung. Der Philosoph war nicht nur intelligenter sondern auch mutiger als ich. Und er sprach gerne in Aphorismen. Das Zitieren von Aphorismen hat den Vorteil, dass mir kein Faktenchecker dieser Welt den Vorwurf der Dekontextualisierung machen kann. Über das Eis als Metapher für das Leben sagte Nietzsche folgendes:
Für Tänzer
Glattes Eis | Ein Paradeis | Für Den, der gut zu tanzen weiß
Das Leben auf Erden wird erst dann zu einem Paradies, wenn ich es ohne Angst auf staatliche Repressionen leben kann. Ich möchte wieder ohne innere Schere im Kopf durchs Leben tanzen. Ich möchte mich nicht ständig bei dem Gedanken ertappen, besser zu schweigen, weil ich mich auf dünnem Eis bewege. Und vor allem möchte ich in einem Land leben, in welchem mindestens 90 Prozent und nicht nur 40 Prozent der Bevölkerung glaubt, noch frei die eigene Meinung äußern zu dürfen. Jeder, der anders fühlt, ist ein undemokratischer Schwachkopf mit Allmachtsphantasien.
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7 Antworten
Danke , Herr Löcke für Ihre elegant-beschwingte Kolumne. Meinungskorridore verlaufen heute und anscheinend auch im
Deutschland, in dem wir gut und gerne leben” ( copyright A. Merkel ) nicht horizontal sondern vertikal entlang einer rätselhaften
Trennlinie, die – von wem auch immer- willkürlich installiert ist und zufällig mal etwas dicker und tragfähig dann aber wieder
erschreckend dünn und tückisch ist ( wie die Personen und Personinnen in Amt und “Würden” ) und leichtsinnigen, arglosen Bürgern einen Einbruch ( womöglich in zweierlei Hinsicht ) beschert. Kälteschock garantiert. Die elegante Tänzerin auf dem Titelbild hat wohl Erfahrung und Talent- sie gleitet mühelos auf der Korridor-Trennlinie und sollte nur aufpassen, dass sie sich in
der eisigen Landschaft keine Bronchitis holt so leicht bekleidet wie sie ist. Aber wehe der Frau oder dem Mann, die ins eiskalte Wasser gefallen sind : man betrachte nur die grusligen Abgründe unter dem Eis ! [ ich leihe jetzt kurz bei Joachim Ringelnatz aus ] ….drunten sind Böcke und Becke und Flak-Zimmermänner versammelt, die freuen sich auf den Menschen der oben bammelt. Von droben rufen Kanzler und Vieze-kanzler : selber schuld- warum warst du so unvorsichtig, streng dich an, klimbe, klimb`-zum Olymp, höher hinauf , Glückauf – Kragen total durchweicht- nächstes Jahr hast du das rettende Ufer erreicht. Von uns hier oben wolln` wir dir winken – mit Schnäpsen und Schinken !
Zur Abrundung – weil es hier auch um eine juristische Angelegenheit geht – ein Interview, das die charmante Milena Preradovic
mit dem Verfassungsrechtler Prof. Boehme-Neßler geführt hat – 50 lohnende Minuten :
https://www.youtube.com/watch?v=2UbYAg5Gorw
Hier mal das meme, um das es geht …
Ein lächerliches Bildchen,
wobei noch lächerlicher nur noch Habecks Reaktion darauf ist …
https://archive.is/PZ6GI
Großbuchstaben im Link zwingend ( hinten im Link ein großes i )
Übrigens ist das meme gar nicht vollständig, denn
im Original ist Oben noch der Spruch:
“dafür stehe ich mit meinem Namen”
( irgendwo im Netz hatte ich auch davon ein
kleines Bildchen gesehen).
Snowdon, Assange, Ballweg und Füllmich sind Männer, teilweise alt und alle weiß, mit wenig oder keiner Angst, sie haben durchgezogen und leiden oder haben dafür gelitten. Der gemeine Kretin denkt vielleicht, was für ein sinnloser Scheiss. Doch, ganz falsch, das ist kein sinnloses gegen Windmühlen rennen, sondern gewaltfreier Widerstand gegen übergriffige Bürokratien im weitesten Sinn. Ihr Opfer wird nicht umsonst sein, Teile der Gesellschaft, möglicherweise eine kritische Masse, erkennen durch das Leid der vier die Wirklichkeit, in der wir leben. Das, sage ich mal einfach so, ist und war es ihnen wert und dafür sollten wir dankbar sein.
Meinungsfreiheit war gestern. Natürlich kann jeder seine Meinung sagen. Solange sie mit der herrschenden Meinung übereinstimmt. Deshalb haben die meisten der Zeitungsleser und Mitschwimmer ja auch in keinem System der Welt das Gefühl, ihre Meinung nicht sagen zu können. Es gibt viele Indizien dafür, dass in den westlichen und besonders den europäischen Gesellschaften die Meinungsfreiheit aktuell extrem bedroht ist. Die Bedrohung beginnt nicht erst mit staatlicher, oder an private Institutionen ausgelagerte Zensur, sondern mit der „Schere im Kopf“, dann nämlich, wenn jeder sich überlegt was er noch schreiben kann. Das begann in den Mainstreammedien etwa 2018/19. Davor waren deren Blogs ein Vorbild an offenem Diskurs. Ich selber habe in der FAZ von 2008 bis 2018 etwa 5000 Kommentare veröffentlicht. Kaum einer wurde zensiert. Natürlich gab es Framing und Trolle mit der die richtige Meinung gesteuert wurde, aber keine offene Zensur. Danach ging die Schranke runter. Warum gerade dann? Nun, ich denke es ist ganz einfach: Die Elite wusste, dass harte Zeiten kommen würden: Die COVID 19 Plandemie, der Stellvertreterkrieg gegen Russland und der Konflikt mit China. Das meiste davon stand ja in den Drehbüchern der westlichen Denkfabriken und Politikberatung – teikweise mit genauer Jahreszahl. Zusammen mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Westens, der seit zwei Jahrzehnten REAL keinen großartigen Wohlstand mehr schaffen kann, und der Eurokrise, ist das eine brisante Mischung. Natürlich noch nicht für den oberen Mittelstand, dort hat man genügend Polster, um die Krise zu negieren. Massendemokratien kommen da nicht mehr nur mit Framing klar, sondern müssen auf Propaganda und Bedrohung von Abweichlern umschalten. Das funktioniert immer und in jedem System, weil die Masse träge ist und erst aufwacht, wenn es zu spät ist. Selbst die Alternativen Medien trauen sich kaum noch, ihre Meinung zu wirklich brisanten Themen, wie zum Beispiel dem Krieg in der Ukraine, zu sagen. Man weicht aus, beißt sich an Nebenthemen fest, aber bleibt diesseits der Konflktlinie. Wer mehr versucht, wird mit den üblichen Methoden kalt gestellt. Das neue Europa, als der Hort der Freiheit und Selbstbestimmung, die Hoffnung einer ganzen Generation, hat sich leider als Luftschloss und größte US- Kolonie jenseits des Atlantiks entpuppt. Da stehen wir nun. Und von da an geht’s begab. Bis es dann irgendwann wieder aufwärts geht. Wenn die schwachen Menschen verschwunden sind, die dieses Zeitalter des Übergangs prägen. Und die Enkel unisono sagen: Was waren das nur für schreckliche Zeiten!?
ChatGPT definiert die Angst als ist ein subjektives Gefühl, das sich als Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung oder Gefahr äußert. Sie ist eine natürliche Emotion und kann sowohl psychische als auch körperliche Symptome hervorrufen. Angst dient in ihrer Grundform als Schutzmechanismus, der den Körper auf Flucht oder Kampf vorbereitet (sog. „Fight-or-Flight“-Reaktion). Sie wird jedoch problematisch, wenn sie unverhältnismäßig stark auftritt oder die Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Die Angst ist besonders seit der repressiven Covid-Politik bei vielen Menschen tägliche Realität geworden und wird, ohne Gegenbewegung, zu einer noch furchtsameren, obrigkeitshörigeren und angepassteren deutschen Gesellschaft führen.
Das Gegenstück zur Angst ist der Mut als die Fähigkeit, trotz vorhandener Angst zu handeln und schwierigen oder gefährlichen Situationen mit Zuversicht zu begegnen. Insofern benötigt unsere Gesellschaft mutige Menschen, die – wie Sie – bereit sind, sich zu wehren. Ziviler Ungehorsam gehört zu einer wehrhaften Demokratie, die ohne Meinungsfreiheit schlicht undenkbar ist. Vor allem die scheidenden und bereits ausgeschiedenen Regierungsmitglieder bekommen (hoffentlich) bei der bevorstehenden Neuwahl endgültige die Quittung für ihre woke Cancel Culture-Politik, die in der verirrten linken US-amerikanischen Social Media-Traumwelt ihren Ursprung hat. Dort haben die (sogenannten) Demokraten eine krachende Wahlniederlage auf allen Ebenen erlitten (sowohl was die absolute Wählermehrheit anbetrifft, als auch die Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus). In den USA zeigt sich, was der “normale” Bürger nicht mehr bereit ist, noch als staatliche Bevormundung und medien-manipulierter Erziehung zu akzeptieren. Möge – jedenfalls insofern – die US-Präsidentschaftswahl ein Vorbild für die kommenden Neuwahlen in unserer Republik sein.
Perfekt formuliert, Herr Dr. Pajunk. Chapeau.
Ein asiatisches Sprichwort lautet:
“Jedes nicht gesprochene Wort vergrößert den Frieden auf der Welt.”
😉