Das Interview des Schulleiters

von Peter Löcke //

Menschen verstehen statt sie aus einem Impuls heraus zu verurteilen. Lesen und verstehen, was ein in der öffentlichen Kritik stehender Mensch mit eigenen Worten sagt statt zu übernehmen, welches Urteil andere treffen. Aus diesem Grund interviewt der Club der klaren Worte regelmäßig Personen mit dem diffamierenden Etikett „umstritten“. Aus diesem Grund übersetzen wir das Interview von Tucker Carlson mit Wladimir Putin. Es ist stets ein Angebot, sich an der Quelle ein eigenes Urteil zu bilden.

Was für Putin gilt, gilt auch für Jan-Dirk Zimmermann. So heißt der arg in der Kritik stehende Schulleiter des Richard-Wossidlo-Gymnasiums in Ribnitz-Damgarten, der die Polizei in seine Schule rief. Ein Hinweisgeber machte den Schulleiter zuvor darauf aufmerksam, dass ein 16-jähriges Mädchen vermeintlich gefährliche rechtsextreme Inhalte auf TikTok verbreite. Handelte es sich bei der anschließenden Gefährderansprache um ein übergriffiges polizeiliches Verhör oder um ein freundliches Aufklärungsgespräch? War der Anlass wirklich nur ein harmloses Schlumpf-Video oder steckt mehr dahinter? Griffen Polizei und Schulleiter zu Stasi-Methoden oder handelten sie streng nach Vorschrift? Nichts Genaues weiß man nicht. Gefühlt hat sich bereits ganz Deutschland zu dem Vorfall geäußert bis auf die Person, die den Vorgang eingeleitet hat. Der Schulleiter selbst hat noch keine Stellungnahme abgegeben. Daher halte ich mich mit einem Urteil zurück.

Menschen verstehen statt sie aus einem Impuls heraus zu verurteilen. Lassen wir also Jan-Dirk Zimmermann zu Wort kommen. Am 5. Mai 2022, vor knapp zwei Jahren also, gab der Schulleiter dem „Spaß am Lesen Verlag“ ein Interview. Bilden Sie sich an der Quelle ein eigenes Urteil! In diesem alten Interview geht es naturgemäß nicht um den heute heiß diskutierten „Fall Loretta“. Dennoch hilft es, in die Gedankenwelt des Schulleiters einzutauchen. 

„Welche Folgen von Schulschließungen und Distanzlernen beobachten Sie bei den Schülerinnen und Schülern?“

Zimmermanns Antwort auf diese Frage soll in den Vordergrund gestellt werden. Seine Antwort macht mich in mehrfacher Hinsicht wütend. Hier an der Quelle halte ich begründete Kritik für legitim.

 „Bei ungefähr einem Drittel der Schülerinnen und Schüler einer Klasse sehe ich negative Veränderungen. Das betrifft besonders Kinder und Jugendliche, die auf Grund des sozialen Status oder der Wohnlage keinen Zugang zum Internet oder zu einem Rückzugsraum hatten. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die in der Folge kein Sprachbad mehr nehmen konnten, haben große Lücken. In den verschiedenen Fächern lassen sich Lernrückstände von einem bis zu eineinhalb Jahren beobachten. Darüber hinaus bestehen psychische Auffälligkeiten bis hin zu suizidalen Gedanken, die teilweise Klinikaufenthalte erforderlich machen. Pro Jahrgangsstufe gibt es aber auch etwa zwei bis drei Schülerinnen oder Schüler, die besser geworden sind. Für Autistinnen und Autisten beispielsweise war diese Zeit extrem leistungsfördernd.“

Negative Veränderungen also bei einem Drittel der Schüler. Außerdem erhebliche Lernrückstände, psychische Auffälligkeiten, suizidale Gedanken und Klinikaufenthalte. 

Bei allem Respekt: Vor genau diesen Kollateralschäden bei einer ganzen Generation von Jugendlichen haben kritische Menschen im Jahr 2020 gewarnt. Sie haben es vorhergesagt. Genau das werde passieren sollte es zu längeren Schulschließungen kommen. Diese Kritiker wurden ignoriert und diffamiert. Zimmermann analysiert im Mai 2022 nüchtern das, wovor mutige Menschen zwei Jahre zuvor eindringlich gewarnt haben. Nur lese ich in der Antwort keine Spur von Selbstkritik und Eigenverantwortung. Selbstverständlich hat der Schulleiter die Schließungen nicht veranlasst. Das nicht. Das tat er ebenso wenig wie alle anderen Schulleiter Deutschlands. Die Pädagogen haben aber etwas anderes getan. Sie haben sich für Anordnungen und Vorschriften entschieden und gegen das Wohl der Kinder. Sie haben blinden Gehorsam mit Solidarität verwechselt. Sie haben sich Ohren und Augen zugehalten als es darauf ankam. 

In der Antwort des Jan-Dirk Zimmermann steht noch etwas anderes mit Skandalpotenzial. Es geht um das Thema Inklusion.

Für Autistinnen und Autisten sei die Zeit der Schulschließungen extrem leistungsfördernd gewesen. Auch diese Feststellung des Schulleiters ist keine Überraschung. Kritiker der Inklusion behaupten das schon länger. Ironischer Weise waren die Schulschließungen ein großer Feldversuch dafür, wie sich „benachteiligte“ Kinder entwickeln, wenn sie nicht in den Regelschulbetrieb gedrängt werden. Was passiert nun mit den autistischen Kindern bei wieder geöffneten Schulen? Diese Kinder werden wieder in den „normalen“ Schulalltag integriert. Zu ihrem eigenen Nachteil, zum Vorteil der Weltanschauung „Inklusion um jeden Preis“. Inklusion mag in einigen Fällen pädagogisch richtig sein, in anderen Fällen jedoch nicht. Sie wird weiter per Vorschrift angeordnet. 

Was wird zurzeit empfohlen und angeordnet? Bildungsministerin Stark-Watzinger schlägt  Zivilschutzübungen für Schüler vor. Sie möchte Jugendoffiziere in Schulen und ein „unverkrampftes Verhältnis“ zur Bundeswehr. Der Lehrerverband begrüßt das. Werden Schulleiter und Lehrer erneut nach Anordnung, Vorschrift und zum Wohl der Politik handeln? Oder handeln sie endlich nach Kindeswohl?

Der Mensch empört sich bei persönlichen Geschichten wie der Geschichte der 16-jährigen Schülerin Loretta. Weil hier vieles noch unklar und widersprüchlich erscheint, da Quellen fehlen und sich der Schulleiter noch nicht geäußert hat, enthalte ich mich eines Urteils. Es gibt jedoch Millionen Kinder mit Lernrückständen bis hin zu psychischen Problemen aufgrund einer unmenschlichen Politik der letzten Jahre. Diese Kinder haben wie Loretta ein Gesicht und einen Namen. Und niemand, kein Politiker, kein Lehrerverband, kein Schulleiter übernimmt für das Leid dieser Kinder Verantwortung. 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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5 Antworten

  1. Dank an Herrn Dr. Herbert Wessel für den Hinweis auf die Möglichkeit des Remonstrierens, von der m. E. selten Gebrauch gemacht wird. Woran liegt es?

    1. Linientreue ist einfacher als Gesetzestreue. Wer heute das Wort Ehre in den Mund nimmt, wird vielfach für irgendwie seltsam, wenn nicht sogar unberechenbar, gehalten. Schnell ist man dann umstritten.

  2. Meiner Meinung nach war für den Schulleiter indiziert, zunächst aufzuklären, welche Tatsachen geäußert worden sein sollen und (!) wer der Blockwart ist,der hier inkriminiert,in memoriam Causa Aiwanger, anstatt sich auf (welche ominösen) Vorschriften zu berufen. Seine minderjährigen ihm anvertrauten Schüler sind zuallererst schutzwürdig, bevor diese Bloßstellung coram publico mit drei Polizisten Schaden angerichtet hat. Der Schulleiter hätte sich sofort entschuldigen müssen und zwar öffentlich.

  3. Der Schulleiter Zimmermann berief sich auf Vorschriften.
    M.E. hat er pädagogisch in mehrfacher Hinsicht versagt.
    Sein folgenschwerstes Versäumnis war es, gleich die
    “Kavallerie” auffahren zu lassen, anstatt zuerst mit der Schülerin und ihren Eltern zu sprechen.
    Wir können nur mutmaßen, was ihn dazu veranlasst hat.
    War es evtl. seine politische Gesinnung, seine
    Lehranstalt vor jedem
    “rechten” Einfluss zu schützen?

    Worauf beriefen sich noch mal die Angeklagten im Nürnberger Auschwitz – Prozess? Hieß das Wort nicht auch Vorschrift?

    Wenn es so leicht wäre, auch das widerlichste Verbrechen zu rechtfertigen, hätte kein
    Nazi – Täter verurteilt werden dürfen, denn all’ diesen schrecklichen Verbrechen lagen Vorschriften zugrunde.

  4. So wie ich es verstanden habe, hat sich Herr Zimmermann auf Anweisungen berufen, hätte er diese als widerrechtlich wahrgenommen, hätte er remonstrieren können oder vielleicht sogar müssen. Ähnlich ist es bei den Polizisten, sie können sehr wohl die rechtliche Lage einschätzen. Dieser Vorfall zeigt die tatsächliche Rechtspraxis im Öffentlichen Recht und im Strafrecht. Ich möchte in heutiger Zeit kein Beamter sein, ich sehe in meiner Tätigkeit viele Menschen, die unter ihren Arbeitsbedingungen seelisch leiden, überproportional viele davon sind Beamte. Diese extreme Hierarchie, die teilweise absurden Erlasse und Anweisungen und das oft grausame Betriebsklima fordern ihren Tribut. Wenn man dann auch noch überdenkt, was man den ganzen lieben Tag so treibt, ja dann ist es nicht mehr schön…

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