Die Kosten

von Bartender B. Stehle //

Gespräche mit Fremden eröffnen zuweilen ganz neue Perspektiven. Es ist, als ginge man an einer hohen Mauer entlang, ohne zu sehen, was sich dahinter verbirgt, und plötzlich öffnet jemand eine Tür und gibt den Blick frei. Zuvor hatte man sich vielleicht vorgestellt, wie es dahinter aussehen könnte, meistens jedoch wird man diesem Bereich schlichtweg keine Beachtung geschenkt haben. Die Interaktion mit Gästen kann einen solchen Charakter aufweisen. In diesem Fall war es der Einblick in eine Immobilie. Ein wohlsituierter Gast erzählte von seinem Anwesen, genauer gesagt von seinen vielen Projekten, um dieses Instand zu halten. Dabei sagte er einen bemerkenswerten Satz: Das Problem bei großen Anwesen sei häufig gar nicht der hohe Anschaffungspreis, so etwas könne man irgendwie stemmen. Das Problem sei der Aufwand und die Kosten für den Unterhalt. Wenn man fiskalisch von Monat zu Monat denkt, mögen einem solche Gedanken befremdlich erscheinen. Dennoch hallte der Satz nach.

Nach diesen einleitenden Worten sollen zwei weitere Beispiele den Rahmen dieser Kolumne verdeutlichen. Im Winter 2023 fielen zeitweise so große Schneemengen, dass das Wort Erderwärmung vorübergehend aus dem Wortschatz gestrichen wurde. Auffällig war, dass diese Schneemengen in einer deutschen Millionenstadt nahezu unberührt liegen bleibendurften. Es wurde schlichtweg so gut wie nicht geräumt. Einige Straßenbahnlinien fuhren über eine Woche lang nicht. So wurde deutlich, wo die Stadt in den letzten Jahren gespart hatte.
Ein weiteres Beispiel, aus gegebenem Anlass, sind die vielen Überreste einer überschwänglichen Silvesternacht. Es ist eine rein anekdotische Anmerkung, aber die Erinnerung an das Staunen über die blank geputzten Straßen bereits am 1. Januar sind ebendies, ferne Erinnerungen. Wahrscheinlich fallen den meisten Lesern an dieser Stelle selbst unzählige Beispiele für den sich offenbarenden Verfall ein. Das Schienennetz, die Brücken sowie der Zustand vieler Straßen sind hierbei wahrscheinliche Kandidaten.

Es ist anzunehmen, dass viele dieser Missstände anteilig gesellschaftlich oder politisch mitverursacht sind. Das Problem geht aber vermutlich darüber hinaus und betrifft keineswegs nur Deutschland, wie zahlreiche Berichte zum Beispiel aus den USA zeigen. Zurück zum Anfang dieses Textes: Es ist eine Sache, etwas zu erwerben oder zu bauen und eine andere, es zu erhalten. Dieser Umstand lässt sich auf weitere Lebensbereiche übertragen: Es ist leichter, zwei Monate lang eine ehrgeizige Diät einzuhalten als sich dauerhaft vernünftig zu ernähren.
In den letzten beiden Jahrhunderten haben die westlichen Industrienationen einen beispiellosen Ausbau der gesellschaftlichen Infrastruktur erlebt. Diese Projekte waren häufig populär. Sie waren Investitionen in eine wachstumsorientierte Zukunft und führten zu einem komfortableren Leben mit neuen Möglichkeiten und kürzeren Wegen. Der Erhalt dieser Infrastruktur erfordert jedoch einen enormen Aufwand und bindet große Ressourcen. Den Politikern, die theoretisch den Wählern dienen, in Wirklichkeit aber vor allem wiedergewählt werden wollen, bleibt damit weniger finanzieller Spielraum für attraktivere Projekte. Der Umgang mit dieser inhärenten Herausforderung der repräsentativen Demokratie kann bestenfalls als unreif bezeichnet werden. Er zeigt auch exemplarisch, dass Politiker dem Wähler wie einem Unmündigen gegenübertreten, indem sie komplexe Zusammenhänge vermeiden und populistische Positionen bevorzugen.

Mit etwas Abstand kann konstatiert werden, dass wir, ganz allgemein gesprochen, durch unzählige „Anschaffungen“ eine sehr komplexe Welt geschaffen haben und weiter schaffen. Es wäre an der Zeit sich zu fragen, in welchem Verhältnis dies zum Wohlbefinden der Menschen steht bzw. dem Wohlergehen der Gesellschaft beiträgt, was ja das eigentliche Ziel ist. Das moderne Leben bietet uns zwar unzählige Möglichkeiten und großen Komfort, ist aber auch von einer großen Unübersichtlichkeit geprägt, die uns unbewusst überfordert und zu unruhigen Wesen werden lässt. Wünschenswert wäre eine reflektierte Bestandsaufnahme und ein sachlicher gesellschaftlicher Dialog, der mit der Klärung einer wichtigen Frage beginnt: Wo wollen wir überhaupt hin und was benötigen wir dafür?

Da es viel schwieriger ist sich von materiellen und immateriellen Dingen zu lösen, als sie gar nicht erst anzuschaffen, könnte eine Maxime für den Einzelnen für das kommende Jahr lauten, das Erstellen jedes neuen Accounts, jede weitere Anschaffung und jede weitere Zusage in dem Bewusstsein zu treffen, dass diese Entscheidung einen, wenn auch unbewusst, weiter begleiten und verpflichten wird.

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3 Antworten

  1. P.S.: Die Schuldenorgie wurde mit dem Mäntelchen „Keynesianismus“ behängt. Eine bare Unverschämtheit gegenüber einem der hellsten Köpfe der Wirtschaftswissenschaft, John Maynard Keynes. Er hatte davon nichts geschrieben, sondern nur von einem „atmenden Staatshaushalt“, der in Zeiten einer Konjunkturflaute mit staatlichen Investitionen über Verschuldung einspringt, die in Zeiten guter Konjunktur wieder abgebaut werden sollen. Den zweiten Teil des Satzes hat die Politik unterschlagen.

  2. Politik ist das Feld der Scharlatane. Deshalb ist das Rechnungswesen der öffentlichen Hand eine einfache Einnahmen- / Ausgaben-Rechnung wie zu Kaisers Zeiten. (Als Bismarck die Einkommensteuer auf 3 % anhob, und ein Sturm der Entrüstung losbrach) Keine Aufwand – / Ertragsrechnung und keine Vermögensrechnung. Hätten wir das, was ohne weiteres möglich wäre, würde sofort klar, dass die Staatshaushalte, die Infrastruktur und die staatlichen Dienstleistungen heruntergewirtschaftet sind. Erfasst würden die Folgekosten der Investitionen, die nötigen Erhaltungsabschreibungen, oder gar Mittel für Innovationen, damit die Infrastruktur in Schuss gehalten werden kann. Dargestellt würden in Sozialbilanzen die Erträge politischer Investitionen im Verhältnis zu ihrem Aufwand. Es gibt seit den Siebziger Jahren ganze Bibliotheken in der Volkswirtschaft dazu. Aber die Politiker wollen das nicht. – Das Ergebnis ihrer Verweigerung lässt sich heute besichtigen: Zuerst kam der Steuerstaat: Die Mittelschicht wurde konsequent geschröpft, sie hat die Party bezahlt, die Politiker mit den mehr als fünfzig Prozent Steuern und Abgaben angerichtet haben. Als das nicht mehr ausreichte, kam der Schuldenstaat: Es wurde jedes Jahr mehr Geld ausgegeben als eingenommen wurde. Schuldenberge wurden in über 150 Schattenhaushalten versteckt , „Sondervermögen“ genannt. (Ist es nicht putzig?) An die Oberschicht und deren Vermögen und Einkommen ging keiner ran. Dafür stiegen die Kapitaleinkommen gegenüber den Arbeitseinkommen um 7 Prozentpunkte. Und sind damit wieder so hoch wie in der Weimarer Republik. So sieht es aus.

  3. Ein so konsequenter Vergleich zwischen privater Verpflichtung, sein Eigentum zu pflegen und der öffentlichen Verpflichtung, unser aller “Eigentum” instand zu halten, trifft es auf den Punkt. Da sich aber leider die von uns für diese Aufgabe Gewählten trotz dafür auch von uns bereit gestellter Mittel wohl nicht zuständig fühlen, müssen wir bei der nächsten Gelegenheit, das Personal auszutauschen, auch darauf achten, die richtigen Hausmeister zu wählen und nicht nur das richtige Lehrpersonal, das uns als Klugscheißer immer noch erklären wird, welche Aufgaben wir eigentlich selbst erledigen sollten.

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