Kommentar von Peter Löcke//
Dort sitzt er auf dem Podium. Dort sitzt im Mai 2025 der nun offizielle Innenminister Alexander Dobrindt statt der noch geschäftsführenden, bereits abgelösten Innenministerin Nancy Faeser Anfang April. Konstant dabei und Vorgängerin wie Nachfolger auf dem Podium begleitend BKA-Präsident Holger Münch.
Am 20. Mai 2025 wurde den Hauptstadtjournalisten erneut eine Kriminalstatistik präsentiert. Präsentiert wurde sie gemeinsam von Bundesinnenministerium (BMI) und Bundeskriminalamt (BKA) auf der Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin. Statt der am 2. April vorgestellten allgemeinen polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) handelte es sich bei der aktuellen Präsentation um die Fallzahlen für ausschließlich politisch motivierte Kriminalität (PMK). Bei den vielen Zahlen, Statistiken und Abkürzungen kommt man schon mal durcheinander.
Unterteilt werden besagte Straftaten in sogenannte Phänomenbereiche, in links wie rechts motivierte Straftaten, in Vergehen aufgrund ausländischer oder religiöser Ideologie. Das politmediale Echo auf die PK wie hier von der Tagesschau [1] lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Besorgniserregende Zuwächse in allen Bereichen, das größte Problem mit einem Anteil von 50 Prozent heißt weiterhin Rechtsextremismus. Die Fallzahlen steigen und bei steigenden Fallzahlen werden – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche – politische Maßnahmen gefordert. So weit so normal also. Taucht man jedoch tiefer in die veröffentlichte 34-seitige Polizeistatistik [2] ein, türmen sich Fragen auf.
Wie kamen die Fallzahlen zustande? Was steht im Kleingedruckten der PMK? Was steht dort nicht, obwohl es eigentlich dort stehen sollte?
Es folgt eine Kritik an der fragwürdigen Art und Weise der statistischen Erfassung von BMI und BKA. Es folgt ein Versuch, Antworten auf offene Fragen und Probleme zu finden. Wie heißt es so schön laut Redensart? Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!
Das Problem „Eingangsstatistik“
Politisch motivierte Straftaten werden – anders als Straftaten der Allgemeinkriminalität bei der „Polizeilichen Kriminalstatistik“ (PKS) – grundsätzlich bereits zu Beginn des Verfahrens zugeordnet (sogenannte Eingangsstatistik).
So steht es gleich zu Beginn auf Seite 3 der PKM bei den Erläuterungen zur Methodik der Erfassung. Was bedeutet dieser Satz konkret? Der Satz bedeutet, dass bereits ein Urteil gefällt wird noch bevor polizeilich ermittelt wird. Das heißt noch konkreter: Hakenkreuz gleich rechtsextrem. Punkt. Bleibt die Ermittlung erfolglos, bleiben Täter und Tatmotiv unbekannt, bleibt die erste vermutete Einschätzung „rechtsextrem motiviert“ bestehen. Das wiederum führt zu skurrilen Erfassungen, die bei kopfschüttelnden Nachfragen von Bürgern auch so von den zuständigen Polizeidienststellen in den sozialen Medien bestätigt werden. Wenn etwa das Auto oder das Büro eines AfD-Politikers von Unbekannten mit einem Hakenkreuz beschmiert wird, geht diese Tat als rechtsextrem motiviert in die Statistik ein. Auch die Möglichkeit, dass ein typisches Nazi-Symbol von einem antisemitischen Islamisten platziert wurde oder es sich gar um eine „false flag“-Aktion eines Linksextremisten handelt, wird in der Eingangsstatistik bis zum Gegenbeweis ausgeschlossen. Woran liegt das?
Die PKM des BKA wird zusammengefügt durch Meldungen der Landeskriminalämter, der LKAs. Diese haben Dienstanweisung, wie sie politisch motivierte Kriminalität statistisch zu erfassen haben. So steht auf Seite 17 des Behörden-Formulars „Ausfüllanleitung zur Kriminaltaktischen Anfrage in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KTA-PMK)“ [3] folgender Satz, der für sich spricht:
Von Unbekannt verübte rechte Propagandadelikte, insbesondere die Verbreitung und Verwendung verbotener nationalsozialistischer Symbole, wie z. B. Hakenkreuze und SS-Runen, sind dem Phänomenbereich PMK -rechts- zuzuordnen, wenn keine gegenteiligen Tatsachen zur Tätermotivation vorliegen.
Das Problem Propagandadelikte
Gewalt ist nicht Gewalt. In groben Zügen werden Gewaltdelikte in drei Sparten unterteilt: in tatsächlicher körperlicher Gewalt, in Äußerungsdelikte (Hasskriminalität), in Propagandadelikte. Unter Propagandadelikten versteht man das Verbreiten von Symbolen und Inhalten, die als verfassungswidrig gelten. Das sind typischerweise Graffitis von Hakenkreuzen an Häuserwänden, das Rufen von Parolen wie „Heil Hitler“, allerdings vermehrt auch das Singen falscher Lieder. Stichwort Sylt und Döp-Döp. Nun haben auch große Medien festgestellt, dass die Propagandadelikte den Löwenanteil unter den politisch motivierten Straftaten darstellen.

Wenig thematisiert wird die Diskrepanz in diesem Hauptdeliktsfeld, die sich, was rechts-links angeht, um einen Faktor von mehr als 100 unterscheidet. In nackten Zahlen ausgedrückt? Es gab 2024 lediglich 234 linke Propagandadelikte im Gegensatz zu 26.318 rechten. Hier ein statistisches Grundrauschen, dort eine Explosion der Fallzahlen. Woran liegt das? Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas wühlen und landet bei einer Anfrage aus dem Jahr 2018 [4, Seite 38]. Die AfD-Abgeordnete von Storch wollte wissen, welche Kriterien für ein linkes Propagandadelikt erfüllt sein müssen und welche konkreten linken Propagandadelikte es gibt. Auch hier spricht die damalige Antwort des Staatssekretärs Hans-Georg Engelke für sich. Der Kernsatz?
Eine Auflistung von Kennzeichen und Symbolen, die dem Phänomenbereich PMK-links zugeordnet werden, existiert nicht.
Das ist seltsam. Geht man als Bürger mit offenen Augen durch die Lebenswirklichkeit, begegnen jedem Menschen etliche Graffitis und Symbole, die auf eine linke bis linksradikale Gesinnung schließen lassen. Dazu gehören „ACAB“, das numerische Pendant „1312“ sowie viele andere Antifa- oder Anarcho-Symbole. Sie werden nur anders als rechte Propagandadelikte selten bis nie statistisch erfasst.
Das Problem der sich selbst erfüllenden Prophezeiung
Das größte Problem Deutschlands ist und bleibt der Rechtsextremismus. So lautet das veröffentlichte Meinungsbild. Als Beleg dienen Fallzahlen wie die Zahlen der am 20. Mai 2025 vorgestellten PKM. Was hat das zur Folge? Das hat noch mehr Experten, noch mehr Beauftragte und Beratungsstellen, noch mehr Institutionen im edlen Kampf gegen Rechts zur Konsequenz. Die dahinterstehende Logik? Ziel muss sein, im Kampf gegen Rechts die Fallzahlen zu drücken. Und genau dort liegt der Gedankenfehler. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Heerscharen an Organisationen sorgen lediglich dafür, dass mehr Rechtsextremismus erfasst und benannt wird. Die rechten Fallzahlen steigen durch mehr Beobachtung. Das wiederum legitimiert mehr Beobachtung im Kampf gegen Rechts. Diese sich selbst erfüllende Prophezeiung gleicht dem PCR-Test der Pandemie. Je mehr PCR-Tests, umso mehr positiv Getestete, umso mehr Pandemie. Je mehr Pandemie, umso mehr muss flächendeckend getestet werden.
Die Methodik funktioniert selbstverständlich auch umgedreht. Wenige Organisationen im Kampf gegen Islamismus und Linksextremismus bedeuten geringe Fallzahlen. Geringe Fallzahlen bedeuten noch weniger Mittel. Auch dabei handelt es sich um einen Kreislauf.
Diese zur Diskussion gestellte These ist an einem aktuellen Fallbeispiel belegbar. An hessischen Schulen explodierten im Jahr 2024 sowie im angebrochenen Jahr 2025 die rechtsextremen Vorfälle um mehrere Hundert Prozent [5]. Waren es im Jahr 2023 „nur“ 37 Vorfalle, so stieg diese Zahl auf 167 im Jahr 2024. Wie ist eine Verfünffachung von Rechtsextremismus an hessischen Schulen von einem Jahr zum nächsten erklärbar? Die Antwort liegt im Kleingedruckten des Artikels. Das hessische Kultusministerium hatte sämtliche Schulen angewiesen, vermehrt auf Rechtsextremismus zu achten und diesen vermehrt zu melden.
Das Problem Betriebsblindheit
Und bist du nicht willig so brauch‘ ich Gewalt? Diesen Satz lasse ich mir als Mensch in der Ballade vom Erlkönig gefallen, nicht aber als Bürger vom deutschen Staat. Phänomenbereiche über wie auch immer motivierte politische Gewalt gibt es mittlerweile genug. Der Staat beobachtet diese Gewalt, verfolgt sie, erfasst sie in Statistiken. Nur ein Gewaltphänomen beobachtet der Staat nicht. Die Gewalt, die vom Staat selbst ausgeht, wird auch weiter nicht erfasst.

2 Antworten
Die beiden letzten Sätze sind besonders wichtig!
Die Gewalt durch den Staat, insbesondere zur Zeit von Corona ….
Nach meinem Empfinden war dieser Staat einige Jahrzehnte auf dem rechten Auge blind. So wurde der linksextreme RAF-Terror in den 70ern rigoros bekämpft, bei den zahlreichen rechtsextremen Delikten (Anschlag Münchner Oktoberfest 1980, NSU, Brandanschläge auf Flüchtlingsheime etc.) war das Interesse an Aufklärung meines Erachtens eher gering. Von dem Münchner Oktoberfest habe ich erst ca. 30 Jahre später erfahren. Offenbar wurde das medial totgeschwiegen. Ich war damals sehr jung und habe mich dafür noch nicht interessiert. Aber die RAF-Terroristen waren omnipräsent und die Namen bei mir eingemeißelt. Diese Blindheit hat sich offenbar schleichend auf das linke Auge verschoben und zwar so schleichend, dass ich mich auf einen genauen Zeitpunkt gar nicht festlegen möchte. Natürlich ist das alles kein Zufall und politisch gewollt. Dieses Spiel mit den Statistiken und den Fallzahlen (wenn ich das Wort schon höre…..) ist im Prinzip ja immer gleich und im Grunde nur Panikmache und ein Ablenkungsmanöver. Dass der Staat seine eigene Gewalt nicht erfasst, ist aus deren Sicht natürlich nachvollziehbar. Wer klagt sich schon selber an? Vielen Dank für die lesenswerte Kolumne!