von Diana-Maria Stocker//
Der 21. Deutsche Bundestag hat sich konstituiert. Mit heute gilt die neu gewählte Sitzverteilung im Parlament. Die alte Mehrheit, mit der noch schnell die Schuldenbreme ausgehebelt wurde, ist Geschichte, die lange in die Zukunft nachwirken wird.
Die Parlamentarier haben ihre Sitze eingenommen – die AfD doppelt so viele wie zuvor, im Plenum direkt neben der Union ohne physische Brandmauer. Die Eröffnungsrede durch den Alterspräsidenten Gregor Gysi (Die Linke) amüsierte gelegentlich, irritierte in Teilen und langweilte mit der Zeit – vor allem hinterließ sie einen fahlen Nachgeschmack. Zwischen DDR-Nostalgie, Bürokratiekritik à la „Weihnachtsbaumsteuer“ und moralischen Mahnungen zu dem Umgangston im Parlament, wirkte Gysi wie ein Symbol des ganzen Dilemmas: Ein Altlinker, der über Strukturverwirrung klagt, während er selbst das Gesicht eines politischen Systems ist, das sich in seine eigene Bedeutungslosigkeit hinein organisiert.
Die AfD wiederum protestierte gegen Gysis Berufung – und das nicht ohne Grund. Denn bis 2017 galt eine klare Abmachung: Der älteste Abgeordnete übernimmt das Amt des Alterspräsidenten. Sie wurde gebrochen – aus politischer Opportunität. Es passt ins Bild: Regeln gelten nur noch, wenn sie ins gewünschte Narrativ passen. Ähnlich verhält es sich mit den anspannt schleppenden Koalitionsverhandlungen.
Nach der krachend verlorenen Wahl präsentiert sich die SPD ungebrochen, verstörend, selbstbewusst – oder besser: anmaßend. Trotz der deutlichen Abwahl tritt die Partei auf, als hätte sie das Kanzleramt gerade frisch verteidigt. Forderungen werden gestellt, rote Linien gezogen, Tonlagen angeschärft. Die Partei, die abgestraft wurde, benimmt sich wie die letzte moralische Instanz – und versucht, der Union die Richtung weiter vorzuschreiben, denn auch nach dem utopischen Schuldenpaket wollen die Sozialdemokraten Merz weder in Hinsicht Steuersenkung noch bei der Wirtschaftswende entgegenkommen. Ganz im Gegenteil.
Mittlerweile werden die Beschwerden innerhalb der CDU/CSU lauter, Parteispender unzufriedener, Wähler ebenso. Nach neuesten Umfragen rückt die AfD mit einem Allzeithoch der Union weiter auf die Pelle, während diese in der Wählergunst verliert.
Die CDU/CSU als Spielball ihres aktuellen Verhandlungspartners, der glaubt, in der Rolle des Königsmachers eigene Machtträume ausleben zu dürfen. Die SPD kickt auf Zeit – in der Hoffnung, die Union zermürbt sich selbst oder gibt aus Angst vor Neuwahlen. Doch was, wenn nicht?
Vier Szenarien liegen auf dem Tisch:
- Minderheitsregierung der Union.
Ein demokratischer Kraftakt, untypisch für Deutschland, aber verfassungsrechtlich möglich. Mit wechselnden Mehrheiten und klarem Regierungswillen wäre eine solche Lösung ehrlicher als eine Koalition mit einem destruktiven Partner. Zudem könnte Merz’ Fraktion alle Ministerposten besetzen. Doch der Kanzler in spe schließt das aus. Bisher zumindest. - Kooperation mit der AfD.
Was derzeit noch als politisches Tabu gilt, könnte schneller denkbar werden, als manchen lieb ist – nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit. Merz hat mehrfach bewiesen, dass politische Prinzipien bei ihm eine Halbwertszeit haben. Wenn die SPD weiter blockiert, könnten plötzlich ganz andere Türen aufgehen. - Neuwahlen.
Sie gelten als letztes Mittel. Das Risiko? Noch stärkere Verluste für die bisherigen Blockierer – und womöglich ein weiteres Erstarken der AfD und der Linken. - Merz will gar nicht Kanzler.
Er hat nur seine ganz eigene Agenda durchgebracht. Hunderte Milliarden für Rüstung und Waffenlieferungen locker machen. Das war dem Fast-schon-Kanzler auch in der Opposition ein offensichtliches Ziel. Nun ist es ihm gelungen. Sein Naheverhältnis zu entsprechenden Lobbyverbänden und Konzernen kein wirkliches Geheimnis mehr.
Welches Szenario auch immer, die SPD riskiert viel – für wenig. Wer gestalten will, muss Kompromisse machen – nicht Ultimaten stellen. Doch darf es sich dabei nicht um faule Kompromisse handeln, die, wie Merz gelungen, eine schamlose sowie mindestens moralisch verwerfliche Wählertäuschung sind, die die Glaubwürdigkeit seiner Partei stark ramponiert hat.
Und wer glaubwürdig sein will, darf sich nicht zum Gehilfen einer Partei degradieren lassen, die den Wählerwillen ignoriert. Merz muss jetzt beweisen, ob er Kanzler kann – oder nur ein Verwalter fremder Bedingungen ist, egal ob von SPD, Großkonzernen oder Lobbyverbänden.
5 Antworten
Brandmauer gegen rund 20 % der Bevölkerung? Da muss man schon recht bekloppt sein.
Es spricht schon einiges für 4., Merz will gar nicht Kanzler. Zumindest scheint er den Job nicht sonderlich ernst zu nehmen. Wer vorhat, aus Überzeugung Kanzler zu werden, würde ein paar Dinge lieber nicht oder anders machen. Zwei Beispiele:
1. Man zieht keine Brandmauern zu anderen Parteien. Diesbezügliche Fragen lassen sich jederzeit mit unverbindlichen Phrasen beantworten. Wähler wollen Sachpolitik und keine Brandmauern.
2. Man verspricht nicht, Putin ein Ultimatum von 24 Stunden zu stellen, nach dessen Ablauf man Taurus an die Ukraine liefern werde. Damit lassen sich zwar ein paar neue Wähler hinzugewinnen, die auch noch Rambo I bis V im DVD-Regal stehen haben, dafür wenden sich jedoch viel mehr alte ab.
Mit einem umsichtigen und vertrauenswürdigen Kanzlerkandidaten hätte die CDU/CSU ohne weiteres 35 Prozent erreichen können. Mir fällt jetzt nur kein Name ein.
Ich schließe mich Gerhads Kommentar komplett an. Außerdem nehme ich den Satz “Wer gestalten will, muss Kompromisse machen – nicht Ultimaten stellen” mit auf meinen Weg. Ich finde, er hat eine Art Allgemeingültigkeit im Job, in der Familie, im Freundeskreis. Danke dafür.
Eine Minderheitsregierung wäre für mich die beste Lösung, damit könnten alle Wahlversprchen umgesetzt werden mit Hilfe der AFD. Mir ist aufgefallen, dass im Bundestag die Grünen direkt neben der CDU angeordnet wurden, normalerweise sitzen da die SPD. Soll das vielleicht schon auf einen anderen Koalitionspartner der CDU hinweisen, nämlich die Grünen anstatt der SPD ?
Ein schwierige Lage. Merz kann nicht Kanzler sondern nur Merz. Ich frage mich, was ist besser? Noch einmal richtig mit Gas bergab bis der Letzte begriffen hat, was er gewählt hat und dann ein Neuanfang oder die Hoffnung auf neue Erkenntnis. Immerhin haben die Verbrechen von Schuldentor zur Hölle, Klima und Corona die Abgeordneten des letzten Bundestages begangen. An eine Minderheitsregierung oder gar konservative Koalition mit Merz glaube ich nicht.