Deutschland am Scheideweg: Koalitionsvertrag oder staatliche Machtausweitung?

Commentary by Peter Löcke//

Verantwortung für Deutschland. So lautet der Titel des Koalitionsvertrags [1]. Das klingt nach einem Titel, der auch auf jedem beliebigen Wahlplakat als Slogan funktionieren würde. Über dem Slogan sind formschön die Logos von CDU, CSU & SPD platziert. Auf den ersten Blick vermittelt das Deckblatt des 146-seitigen Papiers den Eindruck einer Imagebroschüre. Arbeitet man sich gewissenhaft durch das Kleingedruckte des Gesamtwerks bis hin zur letzten Seite, bleibt dieser erste Eindruck bestehen. Begriffe wie Nachhaltigkeit, Innovation und Resilienz gepaart mit modernen Anglizismen wie Once-Only-Prinzip, Digital-Only und One-Stop-Shop, springen dem interessierten Leser Zeile für Zeile entgegen. Hier waren talentierte Texter am Werk. Chapeau! Zwei handwerkliche Tipps für all jene, die sich an der Quelle informieren möchten: Achten Sie auf den genauen Wortlaut! Die Formulierung „wir werden etwas machen“ hat eine andere Bedeutung als „wir wollen etwas machen“. Letzteres stellt nur eine vage Absicht dar im Gegensatz zu Formulierungen wie „wir veranlassen verpflichtend“. Wenn Sie sich für konkrete Themen interessieren, empfiehlt es sich, das pdf mit der Tastenkombination „strg + f“ und dem entsprechenden Suchbegriff zu durchforsten. Beim Wort Klima etwa wird man 80 Mal fündig. Ich möchte meine kommentierende Analyse auf zwei Aspekte des Koalitionsvertrags reduzieren, die ich für besonders brisant und gefährlich halte. Mehr noch: Ich halte mindestens eine Passage der Imagebroschüre im wahrsten demokratischen Sinne für heimtückisch. Künstliche Intelligenz und Digitalisierung 
Für die einen ein Segen, für die anderen ein Fluch! Die Themen Künstliche Intelligenz & Digitalisierung spalten die Gesellschaft. Das zeigen die Reaktionen auf das „teuflische Experiment“ [2] von Markus Langemann mit der wohl bekanntesten KI ChatGTP. Diese Plattform beschäftigt sich seit Jahren in einem eigenen Format „Digitale Denker“ sowohl mit den Chancen als auch den Gefahren von KI. Hier darf, hier soll man gerne geteilter Meinung sein. Wir bitten aber um Verständnis, dass wir ungehalten darauf reagieren, wenn diesem Portal ausgerechnet bei diesem Thema mangelnde Kompetenz oder gar mangelnde Integrität unterstellt werden. Doch zurück zum Koalitionsvertrag. Auch der setzt sich intensiv mit KI, meist in sprachlicher Kombination mit der Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche auseinander – vom digitalen Euro bis zur digitalen Identität. Die kommende Regierung verknüpft die beiden Themenkomplexe wie hier auf Seite 48: Mit stärkerer Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz stärken wir die Finanzverwaltung. Einhergehend werden wir die digitale Abgabe von Steuererklärungen schrittweise verpflichtend machen. Interessanterweise werden mögliche Gefahren hinsichtlich der Verletzung von Grund- und Bürgerrechten nahezu komplett ausgeblendet. So heißt es auch auf Seite 56: Jeder Bürger und jede Bürgerin erhält verpflichtend ein Bürgerkonto und eine digitale Identität. Verpflichtend. Keine Option, keine Freiwilligkeit. Die neue Regierung macht den Weg zur Digitalisierung zur Bürgerpflicht. Sprachlich hinterhältig geht der Koalitionsvertrag auf Seite 49 vor. Nachdem einleitend die Wahlfreiheit beim Zahlungsverkehr betont und außerdem beruhigend verkündet wird, dass Bargeld als gängiges Zahlungsmittel erhalten bleibt (was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte), liest man folgenden Satz: Wir unterstützen einen digitalen Euro, der sowohl im Groß- als auch im Einzelhandel einen echten Mehrwert liefert sowie das Bargeld ergänzt, die Privatsphäre der Verbraucherinnen und Verbraucher schützt, kostenfrei für Verbraucherinnen und Verbraucher nutzbar ist und die Finanzstabilität nicht beeinträchtigt. Nach der Betonung der finanziellen Wahlfreiheit wird umgehend die Unterstützung des digitalen Euro hervorgehoben, der allen Ernstes die Privatsphäre schützen werde. Das ist dreist. Doch es geht noch erschreckender, ebenfalls nachzulesen auf Seite 49. Wir werden ein administratives, verfassungskonformes Vermögensermittlungsverfahren schaffen mit dem Ziel, verdächtige Vermögensgegenstände von erheblichem Wert sicherzustellen, bei denen Zweifel an einem legalen Erwerb nicht ausgeräumt werden können (Suspicious Wealth Order). Das letzte Zitat ist besonders dystopisch, denn hinter diesen harmlos klingenden Worten verbirgt sich eine Beweislastumkehr. Dort steht übersetzt „Im Zweifel für den staatlichen Ankläger!“ So wie Nancy Faeser am 16. März 2022 von einer Beweislastumkehr im Disziplinar- und Beamtenrecht träumte [3], möchte der Staat dieses Prinzip nun auf privaten Besitz anwenden. Gehört der Goldring, das Gemälde, der alte Golf wirklich Ihnen? Beweisen Sie bitte den legalen Erwerb, ansonsten sieht sich der Staat gezwungen, den verdächtigen Vermögensgegenstand sicherzustellen. Bares ist Wahres? Nicht in der schönen neuen Koalitionswelt. Doch es geht noch heimtückischer. Umgang mit Desinformation und Heimtücke
Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen, die Veröffentlichung vermeintlicher Fake News soll zur Verteidigung der Demokratie verfolgt und geahndet werden. Dieser Teil des Koalitionsvertrags wird gerade am hitzigsten öffentlich diskutiert. Auch dieser Plan ist dreist, weil er von Parteien und Menschen erdacht wurde, die nachweislich und wiederholt in den letzten Jahren gelogen haben, dass sich die Balken biegen. Angefangen bei Corona bis hin zu falschen Wahlversprechen. Dieser Plan macht außerdem Angst, weil er an ein Orwellsches Wahrheitsministerium erinnert. Hoffnung macht, dass immer mehr selbsternannte Leitmedien aufbegehren und sich kritisch zeigen. Doch überzeugen Sie sich an der Quelle. Der Passus steht auf Seite 123. Ich möchte mit Ihnen ein sprachliches Experiment machen, bevor Sie das tun. Wer bewusst eine falsche Tatsachenbehauptung aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, die freiheitlich demokratische Grundordnung oder das Ansehen der Bundesregierung, ihrer Amtsträger oder der hinter der Regierung stehenden staatsfernen Verbände der Zivilgesellschaft, schwer zu schädigen, wird, soweit nicht eine noch schwerere Strafe angezeigt ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn er die Behauptung öffentlich aufstellt oder verbreitet, nicht unter drei Monaten bestraft. Wer die falsche Tatsachenbehauptung unbewusst aufstellt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monate, mindestens mit einer Geldstrafe belegt. Halten Sie eine solche Gesetzesformulierung für möglich? Vermutlich schon. Steht das dort auf Seite 123? Nein, das steht dort nicht. Es könnte aber dort stehen, denn auf diesen Pfad bewegt sich Deutschland. Es handelt sich bei meinem Zitat also um Fake News. Das halte ich hier für entschuldbar, weil ein Sprachexperiment angekündigt wurde. In fast identischer Form findet man dieses Zitat jedoch woanders. Ich habe lediglich alte Begriffe durch moderne Worte ersetzt. So machen das Menschen, die Imagebroschüren schreiben. Das Originalzitat finden Sie als Gesetzestext bei den Quellen. Laut Wikipedia diente das Gesetz dazu, das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken und alle kritischen Äußerungen zu kriminalisieren. Es handelt sich beim Original um Paragraph 3 vom „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen“ vom 20. Dezember 1934. Es ist besser bekannt unter dem Namen Heimtückegesetz [4].

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