by Peter Löcke //
Es ist schwierig genug, eine schwule Person, einen Menschen mit anderer Hautfarbe oder in manchen Situationen gar eine Frau zu kritisieren. Warum? Es besteht immer die Gefahr, dass dem Kritiker als Totschlagargument Homophobie, Rassismus oder Misogynie unterstellt wird. Davon lasse ich mich nicht beirren. Schließlich bin ich mir bewusst, dass sich meine Kritik ausschließlich auf die Äußerungen und Handlungen der kritisierten Person bezieht und nicht auf eine wie auch immer geartete Andersartigkeit.
Anders verhält es sich bei Menschen jüdischen Glaubens. Ich gestehe, dass mir hier Kritik generell schwerfällt. Hier verspüre ich eine historische Schuld, die es mir auch im Jahr 2025 verbietet, Kritik zu üben. Ich möchte niemals auch nur in die Nähe des Antisemitismus-Verdachts geraten, so unberechtigt der Vorwurf auch sein mag. Liegt das an einem verinnerlichten Schuldkult oder liegt das an einer verinnerlichten historischen Verantwortung? Darüber kann man trefflich streiten. Was ich jedoch kritisiere, ist der verlogene Umgang deutscher Medien und Politiker mit prominenten Juden. Der Umgang ist geprägt von Heuchelei, Doppelmoral und Instrumentalisierung für eigene Zwecke.
Margot Friedländer & Michel Friedman! So heißen die beiden bekanntesten in Deutschland auftretenden Juden. Sie sind dauerpräsent in deutschen Medien. Wie stellen sich die beiden selbst dar und – noch wichtiger – wie werden sie in der veröffentlichten Meinung dargestellt? Ladies first!
Die Zeitzeugen des deutschen Nationalsozialismus, Täter wie Opfer, sterben aus. Margot Friedländer [1], Jahrgang 1921, gehört zu den letzten Überlebenden des Holocaust. Frau Friedländer ist, so zynisch das klingen mag, ein lebendes Denk- und Mahnmal. So, wie Scholz und Habeck vor einer Woche zu einem bizarren Fotoshooting im Konzentrationslager Ausschwitz weilten, lässt kaum ein deutscher Politiker oder Journalist die Möglichkeit für ein gemeinsames Selfie oder Bild mit Margot Friedländer aus. Das halte ich für penetrant bis geschmacklos, weil es der eigenen Profilierung dient. Und verlogen ist es außerdem.
Erinnern Sie sich an das Frühjahr 2022? Da veranlasste die Bundestagsvizepräsidentin Bärbel Bas eine Allgemeinverfügung [2], die bis zum 24. April 2022 gelten sollte. Verfügt wurden Abstands- und 3G-Regel und vor allem eine FFP2-Maskenpflicht für den gesamten Deutschen Bundestag. Das Virus musste eingedämmt, die Vulnerablen geschützt werden. Das hinderte Bärbel Bas am 7. April 2022 nicht daran, in Ihren Räumlichkeiten ein hübsches Erinnerungsfoto mit der damals 100-jährigen Margot Friedländer schießen zu lassen (siehe Bild ). Ohne Maske. Und auch die lebensnotwendigen anderthalb Meter Abstand kann ich auf dem Bild nicht erkennen.
Schlimmer noch als die der eigenen Eitelkeit dienenden Fotos mit der Holocaustüberlebenden erscheint mir die politische Instrumentalisierung. Natürlich warnt Margot Friedländer vor einem Aufflackern von Antisemitismus. Gut so. Sie warnt aber vor jeder Form des Judenhasses. Anders als in den Leitmedien kolportiert, sieht Margot Friedländer die größte Gefahr in der deutschen Migrationspolitik und nicht von rechts kommend [3].
„Das ist ganz entsetzlich. Ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist. Das ist seit drei, vier Jahren wieder so. (…) Weil wenn man hier lebt, muss man sich auch dem Sinn der Gesellschaft und was Deutschland will hier anpassen. Diese Migration, die gekommen ist, da sind welche schon als Kleinkinder mit Antisemitismus aufgewachsen und aufgehetzt worden. Ich bin nicht überrascht. Nur enttäuscht und traurig. Ich hasse nicht. Aber ich bin traurig.“
Diese Sätze äußerte Margot Friedländer in einem Interview mit dem WDR am 9.11.2023. Ich verneige mich vor dieser Frau und Ihrem langen Leben. Statt für ein Selfie mit der heute 103 Jahre alten Frau anzustehen, sollte man Ihr besser zuhören.
Von Margot zu Michel, von Friedländer zu Friedman. Der musste die Gräueltaten des NS-Regimes nicht am eigenen Leib erfahren. Doch auch der 68-jährige Michel Friedman verlor viele seiner Familienmitglieder im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau [4]. Dafür verdient er bis heute tiefe Anteilnahme. Anders als Margot Friedländer verortet Friedman Antisemitismus zuvorderst auf der rechtsextremen Seite. Er verortet ihn heute bei der AfD. Das ist nichts Neues. Schon im Jahr 2014 kam es in seiner eigenen Talkshow zu einem heftigen Disput mit dem damaligen AfD-Chef Bernd Lucke. Friedman rückte Lucke und die AfD als Ganzes auf recht aggressive Art und Weise in die Nähe der NPD. Das wiederum ließ sich Lucke nicht gefallen und verließ nach elf Minuten erbost das Studio (5).
Was rund um Michel Friedman aktuell in den Medien passiert, ist bekannt. Heute ist Friedman gern gesehener Redner auf Gedenkfeiern und Demonstrationen gegen Rechts. Obwohl nur Karteileiche ohne Mandat, verkündete er jüngst spektakulär seinen Austritt aus der CDU, weil diese mit der AfD kollaboriert habe. Ich nehme das alles zur Kenntnis ohne es zu bewerten.
Auch seine Vergangenheit nehme ich ohne Bewertung zur Kenntnis. Koks, Zwangsprostituierte aus der Ukraine, dazu Friedmans damaliger Künstlername „Paolo Pinkel“, der auf einen nicht ganz so gewöhnlichen sexuellen Fetisch hindeutet? Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein! Ich verurteile das nicht, weil ich kein Moralist bin und genügend eigene Schwächen habe.
Nur verurteile ich die Doppelmoral von Michel Friedman und der ihn unterstützenden Medien und Parteien. Wie kann ein Mensch als moralischer Leuchtturm auf Deutschlandtournee gehen, dabei vom moralischen Olymp predigen angesichts seiner persönlichen Vergangenheit und Schwächen? Was braucht es dafür? Ich suche nach einem Wort außer Doppelmoral, Heuchelei und Pharisäertum. Für diese Eigenschaft gibt es ein wunderschönes jiddisches Wort.
Chuzpe! Das gesuchte Wort heißt Chuzpe.
Sources
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Margot_Friedl%C3%A4nder
[2] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw11-allgemeinverfuegung-883552
[3] https://www1.wdr.de/nachrichten/margot-friedlaender-102.html
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Michel_Friedman
[5] https://www.welt.de/vermischtes/article125077965/AfD-Chef-Lucke-verlaesst-erbost-Friedman-Talk.html
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4 Responses
Ich möchte nichts zu Frau Friedländer sagen, was mich verwundert ist die Tatsache, dass eine im hohen Grade unmoralische Person, ein Selbstdarsteller, eine erkennbar narzisstische Persönlichkeit die Opfern des Nationalsozialismus benutzen kann um seine völlig unmaßgeblichen Meinungen mit dem Anstrich des Bedeutungsvollen versehen zu können und die Meinungsmacher des ÖR Rundfunkes dieser Scheinheiligkeit eine Bühne geben.
Dieser Herr Friedman war für mich schon immer unsympathisch,Arrogant und vieles andere mehr, aber schön zusehen wie jetzt alle
Möchtegern “Demokraten” und oder selbst ernannte am Rad drehen. Die Synonyme zu Chuzpe und
Bedeutung: Dreistigkeit Kühnheit Frechheit Respektlosigkeit Schamlosigkeit Unverschämtheit Unverfrorenheit Toupet Ungehörigkeit Ungeniertheit Aplomb Impertinenz Insolenz Plumpheit Schmutzigkeit Rotzigkeit Dummdreistigkeit, passend oder eher maßgeschneidert für die meisten “Demokraten”
Ich muss gestehen, es überkommen mich ähnliche Gedanken, wenn es um diese beiden Personen geht. Sie reisen beide auf einem Ticket, wobei ich Frau Friedländer nur ehrenwerte Motive unterstelle. Aber, man kann auch in Ehren irren. Irren, was die politische Lage und die Wurzeln von Faschismus angeht. Nicht alle können oder wollen die 800 Seiten von Hannah Ahrends Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ lesen. Frau Friedländer ist sozusagen die Volksausgabe davon, mit all ihren Schwächen. Dass sie so gnadenlos von Politikern instrumentalisiert wird, ist nur denen vorzuwerfen. Viele von ihnen wissen es nicht besser. Einige sind gewöhnt, alles zu instrumentalisieren. Wenn es nur einem vermeintlich guten Zweck dient. Und sei es, wiedergewählt zu werden. Deshalb muss man Nachsicht mit ihnen haben. – Bei Herrn Friedmann ist die Lage anders. Der instrumentalisiert sich selber. Schamlos. Seit Jahrzehnten. Nun, es gibt offensichtlich Menschen, denen es gefällt. Oder sind das nur Medienleute und Politiker, die ihn wiederum instrumentalisieren?
Dear Mr. Löcke,
eigentlich wollte ich auf einige Punkte Ihres Beitrages eingehen, letztendlich stellte ich aber fest, dass darin doch alles gesagt ist.
Nur so viel, meine eigene Mutter befindet sich im 102. Lebensjahr, ich habe in ihrer Gegenwart nie Maske getragen, allerdings erlitt sie nach der 3. Spritze vom “Gesundheitsamt” (entgegen des Rates ihres Hausarztes) ein Vorhofflimmern mit entsprechenden Folgen, das ihr zwar viel Kraft, aber nicht den Lebensmut genommen hat.
Herrn Friedman bin ich seinerzeit bei unterschiedlichen Anlässen persönlich begegnet, und ich frage mich auch heute, wie er noch immer seinen Anspruch der “moralischen Instanz” bewahren kann. Einen Menschen, der sich als moralische Instanz betrachtet und, vor Allem, auch so vermarktet wird, stelle ich mir jedenfalls anders vor.