My coming out

by Peter Löcke //

„Ich bin schwul und das ist auch gut so.“

Wer erinnert sich nicht an diesen legendären Satz? Es war Klaus Wowereit [1], der sich im Jahr 2001 als schwul outete. Wowereits Coming Out war gleichermaßen die Geburtsstunde aller Coming Outs. Zur Kenntnis genommen. So war meine damalige Reaktion. An mein gelangweiltes Achselzucken erinnere ich mich bis heute. Es gab jedoch Literaturwissenschaftler, die anschließend ihr halbes Berufsleben der Interpretation dieses Satzes widmeten, bis Wowereit, liebevoll Wowi genannt, 13 Jahre später bei Anne Will endlich aufklärte. Das „auch“ im Satz diente lediglich als Füllwort. Damit war der Fall hermetisch hermeneutisch abgeschlossen. An Wowereits Outing erinnern sich viele, an seine Zeit als Regierender Bürgermeister und sein Wirken als Aufsichtsratsvorsitzender eines Berliner Flughafens nur wenige. Und das ist auch besser so. 

Damals fing es an. Seitdem scheint sich jede Woche irgendwo irgendwer als irgendwas zu outen. Als homosexuell? Das bringt niemand mehr in Schwulitäten. Das interessiert auch niemanden mehr. Siehe Ralf Schumacher. Schumi der Zweite outet sich, erntet kurzen Beifall für seinen unfassbaren Mut und schon ist das Thema aus der Yellow Press verschwunden. Schumachers Sexualität ist für den Durchschnittsdeutschen in etwa so bedeutsam wie Schumachers Schuhgröße. Und das ist auch am besten so. Um wirklich Aufmerksamkeit zu erregen, um Preise abzugreifen, braucht es 23 Jahre nach Wowereit eine explosivere Form des Coming Outs. Es braucht zitierbare Aphorismen wie den von DJ Barbara Butch [2].

„Ich bin eine fette, jüdische, queere Lesbe und ich bin wirklich stolz auf alle meine Identitäten.“

Ich gehe schwer davon aus, dass auch dieser Satz von heutigen Literaturwissenschaftlern auf links gedreht wird. Mindestens aber ist das Zitat zentrales Thema bei Gender Studies Bachelorarbeiten an deutschen Universitäten. Barbara Butch sagte es 2023 anlässlich einer Pride Preisverleihung. Sie kennen die Dame nicht? Doch. Das tun Sie. Sie war eine von vielen Attraktionen bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris. Barbara saß direkt hinter Dionysos, als vielen Betrachtern beim Zuschauen ihr letztes Abendmahl hochkam. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Die Frau darf alles sein, was Sie behauptet oder sich einbildet. Mein Problem ist nicht ihre zur Schau gestellte Andersartigkeit, nicht ihr provokantes Coming Out. DJ Barbara Butch ist laut eigenem Bekunden ein DJ, ein Discjockey. Das ist ihr Job. Sie ist leider ein miserabler DJ, wenn Sie mich fragen. Ich habe es überprüft. Das ist mein Problem. Mit anderen Worten? Für diese Person würde sich ohne Coming Out niemand interessieren. 

Anders ist das neue Normal. Normal ist das neue Anders. Das ist meine Kritik. Siehe Coming-Out-Berühmtheiten wie Georgine Kellermann [3] oder Tessa Ganserer [4].

Säße Ganserer im Bundestag, wenn Tessa noch Markus wäre? Natürlich nicht. Was ist über Ganserers Kompetenzen bekannt? Gar nichts. Selbst Befürworter wissen wenig bis nichts über seine/ihre Stärken. Ganserers Coming Out im Jahr 2018 war kein Akt von Mut. Es war das Karrieresprungbrett im Leben eines bis dato unbekannten bayerischen Landtagsabgeordneten. Das Gleiche gilt für Georgine Kellermann. Erst das ach so couragierte Coming Out aus dem Jahr 2019 machte aus einem unbekannten WDR-Journalisten eine gefeierte Berühmtheit. Außen- oder Innenpolitik, Geopolitik oder Gesellschaftsfragen – wo liegen die Kernkompetenzen von Georgine? Das wissen selbst Kellermanns Fans nicht. Warum hat sich Kellermann eigentlich nicht in Kellerfrau umbenannt? Das wiederum weiß ich nicht.

Von Georgine zu Georg, zu Georg Restle. Kellermanns WDR-Kollege hat sich nicht geoutet. Das nicht. Allerdings forderte er in einem Tagesthemen-Kommentar noch mehr Outings. Vor allem müsse Schluss sein mit diesen Einzel-Outings. Es brauche Gruppen-Outings homosexueller Fußballer. Als ich das hörte, war es wieder da. Mein zur Kenntnis nehmendes Wowereit-Achselzucken. Verstörend fand ich lediglich, dass der Restle-Georg davon träumt, deutsche Stadien mit Tausenden von Regenbogenflaggen zu fluten. Lieber Herr Restle, das halte ich für eine schlechte Zeichensetzung. Vor mehr als 90 Jahren wurde Deutschland schon einmal mit einer anderen Flagge geflutet. Das ging nicht gut aus.

Gesellschaftliche Toleranz und Akzeptanz gleicht den Antworten eines Türstehers. Du kommst hier nicht rein! So mag es lange gewesen sein. Diese Zeiten sind jedoch lange vorbei und das ist auch gut so. Für dich gibt es kostenlosen Eintritt und Freigetränke, weil du dich als Gewürz einer LGBTQ-Buchstabensuppe definierst! Auch das ist schlecht, weil das nicht die Lösung sein kann. 

Ach ja. Mein Coming Out. Fast hätte ich die Überschrift vergessen. Die diente nur dazu den Leser neugierig zu machen. Pardon.

Ich oute mich als höchst durchschnittlichen Menschen. Mein Privatleben sollte privat bleiben. Über meine Identität mache ich mir ebenso wenig Gedanken wie über meine Pronomen. Allerdings plädiere ich dafür, dass besitzanzeigende Pronomen wie „mein & dein“ nicht abgeschafft werden. Das kommunistische Zeitgeist-Phänomen finde ich uncool und auch schlecht so.

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6 Responses

  1. Ich bin Mutter von sechs Kindern.
    Wir haben dieses Thema, ob ich Mädchen oder Junge zur Welt gebracht hab, niemals in Zweifel gezogen und es uns auch nie vorstellen können, das sowas mal zur Debatte steht.
    Ein Mädchen war ein Mädchen und ein Junge war ein Junge.
    Das heißt nicht, das ihre Vorlieben, Eigenarten und Fertigkeiten darauf beschränkt waren.
    Ganz im Gegenteil.
    Meine jüngste ist ein selbstbewusster Teenager und trotzdem begegnet ihr überall, diese gewisse Feindseeligkeit, das sie ein klares Bewusstsein hat, darüber das sie ein Mädchen ist.
    Ich als Mutter muss stets wach sein und offene ehrliche Gespräche führen, um zu erfahren, wie sie denkt und fühlt.
    …dies nur als kleine Episode aus dem Alltag mit Kindern.
    Das was Sie hier beschreiben, lieber Herr Löcke, ist ein wirklich weitsichtiges und gut gewähltes Thema.

    Es gäbe dazu so viel zu sagen…schön das wir es hier zusammen tun können.

    liebe Grüße,
    Tilda

  2. Normal ist schon außergewöhnlich.
    Ich frage mich immer, weshalb lassen wir uns das gefallen bzw. warum nehmen wir es nicht mit einem Achselzucken? Sind diese ganzen Irren die Aufmerksamkeit wert? Wir, die Normalen, sollten wieder das Ruder übernehmen. Aber dazu geht es uns wohl zu gut, dass es eine Anstrengung wert ist. Viele Grüße Thomas Senn

  3. Dear Mr. Löcke,
    heute bin ich g a n z mutig und oute mich als Normalo. Hoffe inständig, dass alle über mein Outing hinwegkommen und keinen dauerhaften Schaden an Körper und Zeitgeist nehmen.
    VG RA

  4. DANKE für jedes einzelne Wort, das, einem kühlenden Pflaster gleich, sich lindernd auf die geschundene Seele einer ganz normalen Frau legt, die ihr Geschlecht, ihre Muttersprache, ihren Beruf und die Wahrheit ebenso achtet und liebt, wie Sie

  5. Lieber Herr Löcke (ich hoffe, ich darf diese etwas vertrauliche Anrede benutzen), ich bin sowas von froh, diese wunderbaren Zeilen von Ihnen zu lesen. Ein Bruder im Geiste, möchte ich jetzt einmal vorwitzig und frech behaupten. Ich kenne Ihr Alter nicht. Ich bin Baujahr 1955 und ich muss zugeben, dass der Irrsinn, der sich außerhalb meiner vier Wände abspielt, für mich bisweilen nur schwer auszuhalten ist. Manchmal rückt er mir via Bildschirm ja sogar im Haus auf die Pelle. Deshalb ist es ein Labsal für die Seele, jemanden wie Sie, einen Gleichgesinnten sozusagen, neben sich zu wissen. Tausend Dank dafür.

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