von Antje Maly-Samiralow //
Ich bin ja mehr für Wein und alles, was man daraus brennen kann. Whisky ist mir zu scharf. Für Bill Murray würde ich eine Ausnahme machen. Mit dem würde ich sofort einen trinken, auch zwei oder mehr davon.
Murray ist der unangefochtene Meister des maximal minimalen Mienenspiels. Gut möglich, dass Sie den Satz zweimal lesen müssen, musste ich auch beim Schreiben, aber damit ist auch schon alles über Bill Murray gesagt, außer das vielleicht noch: Es gibt einen Schlag von Männern, die werden erst mit den Jahren gut. Gleich einem Baum, dessen Ringe sein Alter bezeugen, erzählen die Falten und Furchen im Gesicht mancher Männer von der Intensität der gelebten Leben, von der nicht mehr nachvollziehbaren Quantität der allein oder in trauter Runde gekippten Whiskys, von schlaflosen Nächten, langen, einsamen Berg- und Wüstentouren und noch viel längeren Lebensstrecken, die keine Frau mitgehen wollte, noch nicht einmal abschnittsweise. Nicht dass ich das je über Bill Murray gelesen hätte, so wie ich überhaupt noch nie etwas über ihn gelesen habe, außer, dass er bei der Hochzeit von George Clooney mit von der Party (nein ich habe mich nicht verschrieben; ich meine tatsächlich die Party) gewesen ist.
Das muss eine Mordsfete gewesen sein. Die Grimassen, die er und Clooney und Mat Damon gezogen haben, waren bühnenreif. Und man sah den wenigen für die bunte Presse freigegebenen Bildern an, dass das die Sause ihres Lebens gewesen sein muss. Wenn man wollte, konnte man aus den Fotos auch noch etwas anderes ersehen: einen Grad von Freiheit, der natürlich bei genauerer Betrachtung monetär unterfüttert ist. Logisch! Wer gibt sich schon das Ja-Wort am Canal Grande und lässt halb Hollywood in die Lagunenstadt einfliegen, wenn er hernach den Rest seines Lebens den dafür aufgenommenen Kredit tilgen muss. Aber das ist nicht die Freiheit, die ich meine. Ich spreche von einer viel größeren und grundlegenderen Freiheit, die man nicht erkaufen kann.
Ich spreche von der Freiheit, Rollen anzunehmen, die einem taugen und sonst nichts, von der Freiheit, ein Leben zu leben, das einem entspricht, dem ureigenen Naturell, den in die Wiege gelegten Begabungen, ein Leben, das die Faul- und Trägheitsmomente ebenso einpreist wie das Ungestüme, die Nächte durchmachen, was auf Dauer für keinen Partner mittrag- und auch nicht lebbar ist.
Solch Freiheit hat ihren Preis. Und Einsamkeit ist ein hoher Preis, sofern sie denn unfreiwilliger Natur ist. Die frei gewählte Einsamkeit hingegen scheint mir der höchste Grad lebbarer Freiheit zu sein. Einen solchen Mann, einen in die Jahre gekommenen kauzigen Connaisseur mit ordentlich Patina im Gesicht spielt Bill Murray im Film On the Rocks. Sie ahnen es: Es wird viel getrunken, viel Whisky, viel on the Rocks, aber nicht nur.
Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen. Doch gibt es: Sophia Coppola hatte bei diesem nüchtern berührenden Film Hut und Hosen auf und an. Ihre klugen, lakonisch erzählten Geschichten gieren geradezu nach einem Hauptdarsteller, in dessen Gesicht sich nicht allzu viel regt, unter dessen Haut und in dessen Adern es indes umso leidenschaftlicher rumort und lebt und leidet.
Wenn ich mich recht entsinne, hat sie seinerzeit mit ihrem mehrfach Oscarprämierten Film Lost in Translation – Sie erinnern sich vielleicht noch an die verzagte Scarlett Johansson, die in dem anonym sterilen Tokioer Hotel genauso lost war wie Bill Murray, der übrigens mit einem Golden Globe für seine Rolle geehrt wurde – Bill Murrays Karriere einen kleinen Klaps versetzt. Die Legende will es, dass er zu jener Zeit nicht mal mehr einen Agenten hatte (was nach richtig viel Freiheit klingt) und die Zusammenarbeit auf recht unkonventionelle Weise zustande gekommen sein muss. Das macht dann noch einen Punkt für Murray, aber auch für Frau Coppola, die sich lebensklug darauf eingelassen hat. Ich hege ja den leisen Verdacht, dass sie einen Narren an Bill Murray gefressen haben muss. Gott sein Dank!
Und welche Rolle hatte sie ihm seinerzeit zugedacht? Die des Whisky trinkenden einsamen Wolfes. Das scheint überhaupt die Rolle seines Lebens zu sein. Schaut man sich die Wes Anderson Filme an, in denen Murray samt und sonders mal große oder auch mal kleinere Rollen innehatte, aber immer mit von der (dieses Mal korrekt:) Partie war, waren es allesamt Rollen, die ihm auf den Leib geschrieben zu sein schienen.
Im letzten Anderson Film von 2021 – The French Dispatch – läuft Murray zu Hochform auf, so wie in Die Tiefseetaucher, The Royal Tenenbaums, Darjeeling Limited (wenn auch in einem hastigen und viel zu kurzen Gastauftritt) o The Grand Budapest Hotel, allesamt Filme von Wes Anderson. Sie ahnen es, ich bin nicht nur ein stiller Fan von Bill Murray, sondern auch von Wes Anderson und seiner gesamten Schauspielcrew. Ich habe höchsten Respekt vor seiner Gabe, eine Hand voll grandioser Künstler um sich zu scharen und diese – egal wie surreal und durchgeknallt die Geschichten auch sein mögen /// oder gerade deshalb – ein ums andere Mal ans Set zu holen.
Ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie sie sich bei der Premierenfeier oder auf einer der vielen Festivalempfänge mit loser Fliege und aufgekrempelten Ärmeln, die Damen dezent derangiert mit zerzaustem Haar und nicht mehr ganz eindeutig in der Artikulation zuprosten und rufen: „Wes, was machen wir als nächstes? Ruf mich an, egal was, ich bin dabei…“
Und Owen Wilson, Jason Schwartzman (die beiden – dies nur am Rande – haben auch am ein oder anderen Drehbuch mitgeschrieben) die alles überstrahlende Tilda Swinton, der hochsensible Adrien Brody, die Ikonengleiche Angelica Huston, Edward Norton, Luc Wilson, der großartige Jeff Goldblum, die noch viel großartigere Frances McDormand und der in diesem Leben von niemandem mehr erreich- geschweige denn einholbare Ralph Fiennes brüllen, nuscheln und säuseln: „Ich auch, ruf mich an Wes! Unbedingt!“
Das ist die Art von Freiheit, von der Clooneys Hochzeitspartyfotos, Sophia Coppolas Geschichten und die Filme von Wes Anderson zeugen. Die machen einfach, wozu sie Lust haben. Deshalb sind sie so verdammt gut. Und ihre Lust steckt an.
Übrigens Roman Coppola, auch er Sohn des großen Francis Ford Coppola und folglich Sophias Bruder hat an einigen Anderson Filmen als Coautor und Coproduzent mitgewirkt. Das scheint ein Familiending zu sein.
Sophia Coppola treibt es mit der Lust an der künstlerischen Freiheit so weit, dass sie Bill Murray in ihren Filmen singen lässt. (Ich sag ja: die hat einen Narren an ihm gefressen.)
Haben Sie Bill Murray schonmal singen gehört? Nun ja, es hat eher was von Sprechgesang als vom Anschwellen und Abklingen harmonischer Tonfolgen, aber es hat was, vor allem seine freestylischen Phrasierungen.
Legendär ist jener Heiligabend, an dem Bill Murray den Conférencier einer Weihnachtsshow geben soll, live aus dem New Yorker Carlyle Hotel. Geladen ist das Who des Who des Showbizz. Allein, die Gäste kommen nicht. Ein Blizzard hat ihre Anreisen verunmöglicht.
A Very Murray Christmas von Sophia Coppola ist mehr als nur ein melancholisch gediegener Film. Es ist eine Hommage an einen Ausnahmekünstler, dem alles so leicht von der Hand zu gehen und der gar nicht zu spielen scheint, wenn er spielt und der – nachdem die ganze Weihnachtsgala ins Wasser zu fallen droht – zu sagen scheint: „Scheiß drauf, dann schmeißen wir halt unsere eigene Party“ und mit den wenigen Gästen und Angestellten des Hotels, die in dieser Heiligen Nacht im Carlyle festsitzen, Weihnachtslieder singt. Die Flaschen der Bar sind voll und die vor ihnen liegende Nacht lang. Am Ende wird doch noch alles gut. Zwei Prominente schneien rein: Miley Cyrus und George Clooney retten den Abend und das, was an Show noch machbar ist. Miley als Bunny, Clooney als George und Bill in seiner Paraderolle. Ganz großes Kino! Zum Schreien schön und komisch und traurig zugleich. Mehr Film geht nicht.
So, ich wäre dann mal so frei: Cheers! Auf Bill, Sophia und die letzten freilebenden Exemplare der Gattung Mensch.
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Schön.