Sin uso

por Peter Löcke //

Ein Small Talk ist kein Zeichen menschlicher Oberflächlichkeit. Zumindest nicht nur. Bei einem sich wiederholenden Dialog handelt es sich zumindest auch um ein Ritual, das als Dosenöffner für ein tiefer gehendes Gespräch dienen kann. Vermeintliche Phrasen innerhalb menschlicher Interaktion können zudem beruhigend wirken. Solche Phrasen geben dem Menschen wie dem Gespräch Halt, Struktur und Sicherheit. Das Leben ist stressig genug. Schon mein Großvater wusste das. 

Die verbale Spontanreaktion meines Opas auf wirklich jede Information bestand in zehn von zehn Fällen aus der Antwort „Das ist ja gediegen.“ Ich weiß bis heute nicht, was der Begriff „gediegen“ bedeutet, obwohl ich gegoogelt habe. Das Wort hat gefühlt hundert Bedeutungen.

Wenn ich ihm stolz von einer guten Schulnote erzählte, wenn ich ihm flunkernd gestand, dass ich zeitnah zur Fremdenlegion gehe, weil ich neuerdings drogensüchtig sei, war seine spontane Reaktion auf diese Informationen unterschiedlicher Tragweite und Wahrheitsgehalt identisch. „Das ist ja gediegen.“ So antwortete er immer. Erst nach seiner Antwort dachte er darüber nach, welche Worte zuvor seinen alternden Gehörgang erreichten. Unsere Dialoge trugen Züge Loriot‘scher Kommunikation. Fans von Vicco von Bülow werden sich erinnern. „Ach was?“ 

Nun ist mein Großvater lange tot. Geblieben sind die Rituale, die Running Gags zwischenmenschlicher Interaktion. Auch bei mir. Wenn jeden verdammten Morgen die freundliche Bäckerin meines Vertrauens feststellt „Das ist aber auch ein Wetter heute“, bestätige ich Sie zuverlässig mit „Das können Sie laut sagen.“ 365 Tage im Jahr stöhnt Sie über das Wetter, 365 Tage im Jahr antworte ich mit „Das können Sie laut sagen.“ 

Vielleicht sollte ich häufiger meine Komfortzone verlassen und sprachliche Unordnung in mein Leben bringen. Einfach weniger oberflächlich sein. Ein Bekannter von mir bietet sich als Versuchskaninchen an. Er ist mir sympathisch, arbeitet als Metzger. So viel bzw. wenig weiß ich von ihm, denn eigentlich kennen wir uns nur aufgrund zufälliger Treffen im gleichen Stammlokal. Unser standardisierter Eröffnungsdialog, der erste Small Talk also, sieht stets wie folgt aus. 

Er: „Und sonst so? Alles klar?“ 

Ich: „Muss.“ 

Er: „Bei mir auch. Nützt ja nix.“

Es ist ein Zeremoniell. Nicht gerade philosophisch, dennoch müssen wir lachen, wenn wir uns so begrüßen. Manchmal reden wir noch über dieses und jenes, in der Regel widmen wir uns aber unserem Getränk, den eigenen Gedanken und leider vermehrt dem Smartphone. Zukünftig möchte ich, dass wieder mehr als ein „Muss“ von mir kommt. Unser nächster Dialog soll eine geistige Tiefe besitzen. Wenn mich mein Bekannter das nächste Mal begrüßt, möchte ich ihn aus seiner Komfortzone holen und meinen sprachlichen Dosenöffner ändern. Nur wie?

Er: „Und sonst so? Alles klar?“ 

Ich: „In Berlin tanzt der Bär, der Löwe und das Wildschwein. Da beißt die Maus keinen Faden ab. In Italien beschwert sich Karl Lauterbach über italienische Verhältnisse. Daraufhin beschwert sich Italien über Karl Lauterbach. Öffentlich Eis zu essen gilt ab sofort als obszön. Öffentliche SM-Spiele vor Kindern gelten ab sofort als Zeichen von Toleranz. Eine Studie des RKI bestätigt die Studien des RKI. Maßnahmen wirken, bevor Maßnahmen in Kraft treten. Merz möchte die Alternative für Deutschland sein. April, April. Die Ursache für die Gewalt in deutschen Freibädern liegt in einer Mischung aus toxischer Männlichkeit, Klimawandel und gestiegener Pommes Frites-Preisen. Sagen Experten. Frauen, die besonders attraktiv und gleichzeitig besonders intelligent sind, haben es besonders schwer. Sagt eine besondere deutsche Außenministerin. In der Sowjetunion Deutschland gibt es nun den ersten ausgelosten Bürgerrat Ernährung. Dort proportional vertreten sind Menschen, die sich wahlweise vegan, vegetarisch oder karnivor ernähren …“

Spätestens hier wird mir mein Bekannter ins Wort fallen. Er hasst es, wenn ich neunmalkluge Fremdwörter verwende. Nachvollziehbar.

Er: „Was zum Teufel ist eine karnivore Ernährung? Sprich Deutsch mit mir.“

Ich: „Das sind Menschen, die Fleisch essen. Du bist übrigens der Metzger. Nicht ich.“

Er: „Bin ich auch. Nützt ja nix.“

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7 respuestas

  1. Das Bundes”gesundheits”ministerium lässt hier wieder großflächig plakatieren, wie mit “Long-Covid” im Berufsalltag umgegangen werden kann, und es werden Beratungsstellen angeboten usw.

    Ich würde dazu gerne an das Ministerium schreiben, weiß aber inzwischen: Nütz ja nix…

  2. Ein sehr amüsanter, erhellender und auch zeitkritischer Artikel, der mich heute Morgen sehr zum Schmunzeln gebracht hat.
    Das gilt ebenfalls für die Kommentare. Diese Seite ist lesenswert!

  3. Apropos Fremdwörter: Fremde, also Ausländer, für die alle deutschen Wörter Fremdwörter sind, nutzen nach meiner bescheidenen Beobachtung ritualisierte Floskeln liebend gern als Ausdruck höflicher Zuwendung. Das fiel mir schon zu Studentenzeiten auf, als ich selbst es in vollen Zügen genoss, an der großen Uni lauter Leute aus aller Herren Länder kennen zu lernen von Costa Rica über Chile bis China, mittendrin Israel und der Iran, zu dem ich ein besonders intensives Verhältnis entwickelte. Standardbegrüßung in ungefähr neun von zehn Fällen: „Hallo! Wie geht’s?“ Einfach zu erlernen und doch mit großer Bandbreite an Intensität der Zuwendung zu versehen – der Ton macht die Musik. Und die ist nicht durch Worte auszudrücken! Nun wurde in ungefähr neun von zehn Fällen als Antwort „Gut!“ erwartet, was mich schon damals anspornte, gelegentlich Unordung in das Leben der höflichen Fremden zu bringen und abweichend mit einem „Geht so.“ zu antworten. Besonders dann, wenn mir selbst an mehr Dialog gelegen war. Die Art der Reaktion auf den gediegenen Dosenöffner zeigte dann, ob dies möglich war oder eher unerwünscht.

    Vor etlichen Jahren allerdings, wieder nach meiner bescheidenen Beobachtung, wurde die formell ergebnisoffene Floskelfrage „Wie geht’s?“ durch das ziemlich fordernde „Alles gut?“ abgelöst. Ich hasste das! 2020 schlug in eben diese schon wunde Kerbe das geradezu obszöne aufdringliche „Bleiben Sie gesund!“ und erntete bei mir die verdiente Reaktion: abgrundtiefen Hass!

    Zu meinem Leidwesen ist es Zuwanderern ziemlich egal, welche Floskel gerade im Deutschen gebräuchlich ist als höfliche Begrüßung, so dass sie selbstredend die heute übliche, wenig offene Frage „Alles gut?“ dazu verwenden und mir die gut gemeinte Zuwendung trüben, beispielsweise die Betreiber der Pizzeria nebenan. Kurden aus dem Irak übrigens, die ich wirklich sehr gerne mag! Gelegentlich gönne ich mir dann den neuen kleinen Dosenöffner „Nicht alles!“ … warte ein paar Sekundenbruchteile, um die emotionale Lage zu ergründen und notfalls ein die Situation wieder entspannendes „Aber das meiste!“ hinterher zu schieben. Ober eben ein paar Sätze mehr zu tauschen …

  4. Köstlich.
    Kenne ich so ähnlich von der Maloche. Eine notorische Quasselstrippe berichtete morgens zu Beginn der Frühschicht ausführlich über sein Wochenende um dann zu fragen: Wie geht es Dir? Meine Antwort war “Jo”.
    Der liebe Kollege konnte sich gar nicht einkriegen, aber ich als Norddeutscher hielt das für eine erschöpfende Auskunft, am Montagmorgen um halb Sechs.

  5. Oh, wie lange habe ich das wunderbare Wort “gediegen” nicht mehr gehört oder gelesen, das so viel auszudrücken vermag. Und geradezu perfekt ist, um den CdkW zu beschreiben.
    Vielen Dank, Herr Löcke, für diese Köstlichkeit zur Mittagszeit!

  6. Empfehle “Starckdeutsch” (Matthias Köppel)
    Vielleicht auch was für Sie, zur Erheiterung, werter Herr Langemann, und vielleicht auch für den Herrn “Nützt ja nix”. Denn:
    DAS GANZE MARIONETTENTHEATER IST EINFACH NUR NOCH UNERTRÄGLICH!

    Saludos cordiales

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