von Antje Maly-Samiralow //
Mode ist weitgehend eine weibliche Domäne, und das, obwohl es ein Mann war, der die saisonalen Moden, so wie wir sie heute sehen, desweilen bestaunen, schon mal pikiert eine Augenbraue heben und dann doch mitmachen, kreiert hat. Dem Sonnenkönig höchstpersönlich wird der regelmäßige Wechsel der Kleiderordnungen zugeschrieben. Ludwig XIV. ging nicht nur als Prototyp des absolutistischen Herrschers in die Geschichte ein, der Mann mit der Allongeperücke war die erste Stilikone, lange, bevor die schlecht, aber auffallend auffällig gekleideten Influencerinnen (von denen nicht wenige mittlerweile als Unternehmerinnen reüssiert haben) solange auf den Bildflächen ihrer Smartphones erschienen sind, bis die großen Modemagazine sich geschlagen gaben und den Mädels Einzug in ihre Pantheons gewährten.
Doch damit nicht genug. Selbst die heiß begehrten Plätze in den front rows der großen Schauen, eigentlich das Refugium von Chefredakteurinnen namhafter Blätter und Hollywoods A-Prominenz, werden zunehmend von den Selfmade-Fashionistas in Beschlag genommen.
Es ändern sich nicht nur die Moden. Auch das Koch-Kellner-Konstrukt fährt Karussell. Was angesagt ist und in welcher Kombination, ob XXL-Shopper oder diese winzigen Mini-Bags, in denen nicht einmal ein anständiges Smartphone Platz hat, vom Chiwawa nicht zu reden (der wird derweil in der fünf Blocks weiter parkenden Limo mit veganem Sushi bei Laune gehalten), geben zunehmend Influencerinnen vor. Die Stars unter den Stilikonen sind – Chapeau, Chapeau! – mit einem sensationellen Talent für Selbstvermarktung gesegnet. Sie beherrschen die Ökonomie der Aufmerksamkeit aus dem Effeff und wissen, wie und wo man in welchem Look auftauchen muss, um Kassa zu machen.
Nun, ob Ludwig Quatorze die Schule der Aufmerksamkeitsökonomie begründet hat, ist nicht überliefert. Dass er Sonne, Mond und Sternen gleich die zu seiner Zeit mobilisierbare Aufmerksamkeit auf sich vereinen konnte, gilt als gesichert. Das begann mit den allmorgendlichen Huldigungen in seinem Schlafgemach, die für seine Bediensteten auch dann obligatorisch waren, wenn der König das Bett bereits verlassen hatte und gipfelte in einem Personenkult, der seinesgleichen suchte. Mit dem Bau von Schloss Versailles, wo sage und schreibe 5000 Menschen lebten, versammelte er die aufmüpfigen Adeligen um sich und band sie gleichsam an seinen Hof. Dort, an seinem Hof, gab Ludwig vor, was en vogue war. Und alle, die mit ihm im Luxus schwelgen wollten, folgten ihm auf seinen Modetrips. Was Ludwig trug, galt nicht nur in Frankreich als très chic, sondern weit über die Grenzen des Bourbonenreiches hinaus. Die europäischen Adelshöfe überboten sich im Nachahmen seiner Kleidungsstile. Aus Frankreich kam der letzte Schrei. Und weil sich das Modekarussell auf Geheiß des Sonnenkönigs drehte, man unmöglich im Gewand des Vorjahres bei Hofe erscheinen konnte, sondern die aktuelle, die neue Mode zu tragen hatte, in Versailles, in Wien, in Milano und bald schon überall, etablierte Ludwig peu à peu eine Modeindustrie, von der Frankreich bis heute profitiert.
Die sich immer aufs Neue ändernden Gewänder mit ihren aufwändigen Applizierungen, Feder- und anderem Tierhaarbesatz, Broschen, Spitzen und Brokatbesätzen mussten gefertigt werden, feines Tuch gewoben, Wolle gekämmt, Leder gegerbt. Ausgefeilte Handwerkskunst war gefragt, emsige Näherinnen und kundige Hutmacher. Die in Lyon ansässige Seidenindustrie lieferte schillerndes Material. Kleine, feine Manufakturen etablierten sich. Kurzum: Ludwig verstand es nicht nur, alle Aufmerksamkeit und alle Macht auf sich zu vereinen. Er nutzte dieses absolute Alleinstellungsmerkmal, um sein Reich wirtschaftlich zu stärken.
In Frankreich ist Mode ein Kulturgut. Über Mode zu sprechen, sich damit auseinanderzusetzen und ihr zu huldigen gilt dort nicht etwa als oberflächlich, ganz im Gegenteil: Es zeugt von Kultiviertheit, von Bildung und von einem ästhetischen Grundempfinden, das man nicht lernen und das man für kein Geld der Welt kaufen kann. Das bekommt man in die Wiege gelegt oder man bekommt es nie.
Nun, die Schönen und Reichen am Hofe Ludwigs konnten nicht anders als sich seinem Modediktat zu unterwerfen. Sie waren gewissermaßen abhängig anwesend und mussten dabei sein. Wer heute freiwillig die Looks von Influencerinnen und Fashionistas kopiert, im Luxusoriginal oder in der Billigversion aus einer der vertikalen Modeketten, kann vieles für sich in Anspruch nehmen – möglicherweise up to date zu sein und irgendwie immer dabei – aber wie gesagt: Guten Geschmack, Stil, gar einen eigenen kann man nun mal nicht erwerben, nicht käuflich und auch sonst nicht.