Wo waren Sie am 25. September 1986?

von Markus Langemann • CdkW – Jazz

Ich war ein junger Mann und saß an diesem Tag bei abendlichen spanischen Spätsommertemperaturen im Estadio Santiago Bernabéu in Madrid. Allein war ich dorthin gereist. Wahrscheinlich ein Flug von München nach Madrid. Die Erinnerung an das Reisemittel ist verblasst, die Erinnerung an die Stunden im Stadion ist klar und brillant – seit Jahrzehnten.

Den Gänsehautmoment fühle ich noch heute, als der Mann, für den ich hierhergereist bin, den ich erstmals live sehen wollte, auf einer gigantischen Leinwand erschien.

Vorfahrt einer schwarzen Limousine hinter dem Stadion, Backstage. Im Stadion setzt der voluminöse Sound des London Philharmonic Orchestra ein. Der Chairman of the Board steigt aus dem Wagen. Lässig. Die Kamera vor ihm, die Bilder live und übergroß auf der Leinwand im spanischen Stadion.

Die Menschen springen auf, der Applaus brandet auf. 

Sein langer Gang durch die Katakomben wird übertragen ins Stadion. Das Orchester swingt intensiv. Er tänzelt von Backstage die Bühnentreppe hoch, jetzt sehe ich ihn mit eigenen Augen aus dem hinteren, dunklen Bereich der Bühne auftauchen. Unvergleichlich beschwingt und leicht geht er zielgerichtet dem Bühnenrand, in das strahlende Bühnenlicht, entgegen. Er greift nach dem Mikrofon auf dem Ständer, nimmt es heraus. Natürlich hat es noch ein Kabel. 

Die Musik wird intensiver, kein Break. Er fängt einfach an zu singen. On point. „Fly me to the Moon“ – Frank Sinatra. WoW!

 

„Ol’ Blue Eyes“ erhielt für diesen Auftritt die persönliche Rekordgage von einer Million Dollar. „It’s a record“. Er konnte nicht nein sagen.

Am 17. Dezember 2019 starb Arsenio Marcos Rodríguez im Alter von 76 Jahren in der spanischen Stadt Bilbao. Seinen Namen kennen die meisten Menschen bis heute nicht, ihm habe ich diese Erinnerung zu verdanken. Ich habe erst vor wenigen Wochen von diesem Mann und seiner Geschichte erfahren.

 

Manuel Muñoz, spanischer Sinatra-Aficionado, schreibt Ihnen hier über die Entstehungsgeschichte dieses Konzertes, das Arsenio Marcos Rodríguez ermöglichte. Rodríguez erfüllte sich einen Lebenstraum – und schenkte mir nebenbei eine lebenslange Erinnerung, so auch diesen Moment:

Der letzte Song des Konzertes – natürlich „My Way“. Er klemmt das Mikro zurück auf den Ständer. Das Orchester spielt. Er geht von der Bühne. Ein Feuerwerk über dem Stadion setzt ein, die Kamera begleitet ihn Backstage in die Limousine. Das Orchester spielt immer noch. Der Wagen rollt los. Das Letzte, was ich auf der Leinwand sehe – die Rücklichter. Das Feuerwerk über dem Estadio Santiago Bernabéu dauert an.

Als Sinatra doch noch nach Madrid kam - und alle schief ging

von Mahnuel Muñoz //

Arsenio Marcos Rodríguez wurde in Sabero (León) geboren und hütete in seiner Jugend Kühe. Eines Tages, mit mehr Träumen als Gewissheiten, nahm er den Zug nach Bilbao auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Er arbeitete einige Jahre als Transportunternehmer mit einem bescheidenen Motorrad und schaffte es, sich einen prominenten Platz in der Geschäftsszene von Bilbao zu sichern, während Frank Sinatras Musik wie der Soundtrack seines Aufstiegs klang. Er leitete einige der renommiertesten Nachtclubs seiner Zeit und machte 1986 Schlagzeilen in der spanischen Presse, als er sich einen Traum erfüllte: Frank Sinatra sollte in Spanien auftreten. Das gewählte Datum, der 25. September 1986, und der Ort, das legendäre Santiago-Bernabéu-Stadion, Tempel der Erfolge von Real Madrid.
Das Konzert geht als einer der größten kommerziellen Misserfolge in die Geschichte von Frank Sinatra ein. Es heißt, dass von den 65.000 Eintrittskarten, die die Organisation erwartete, nur etwa 11.000 verkauft wurden und dass zwischen 16.000 und 18.000 verschenkt wurden, um nicht das traurige Bild eines praktisch leeren Stadions bieten zu müssen. Frank Sinatra hängte bei praktisch allen seinen Konzerten auf der ganzen Welt das Schild „Keine Sitzplätze“ auf. Was geschah in Madrid?



Die Behörden und die aufgebrachte Presse stellten der Organisation der Veranstaltung alle möglichen Hindernisse in den Weg. Die begrenzte Werbung war negativ, und der eigensinnige und unternehmungslustige Arsenio, der abfällig „Der Hirte“ genannt wurde, wurde als Eindringling und unerfahren disqualifiziert. Xavier Cugat, der legendäre katalanische Dirigent, der in den 1940er Jahren mit Sinatra aufnahm, war besonders bissig: „Die wissen nur, wie man Höschen und Nachthemden verkauft“, schnauzte er und bezog sich dabei auf Arsenio und sein Team. Anscheinend lag Cugats Verärgerung daran, dass er zuvor erfolglos versucht hatte, die Stimme zu engagieren; diese Geschichte verdient es, separat erzählt zu werden, was ich in den nächsten Tagen tun werde.


Die Ticketpreise waren sehr hoch und der Hauptvertriebskanal, das Kaufhaus El Corte Inglés, kündigte den Vertrag mit der Organisation am Tag vor dem Konzert, offiziell aufgrund von Arsenios Vorschlag, die Preise zu senken, um das wirtschaftliche Debakel zu mildern.
Außerdem erlebte Spanien zu dieser Zeit die letzten Atemzüge der Movida Madrileña (für die internationalen Mitglieder der Gruppe: Es handelte sich um eine gegenkulturelle und künstlerische Bewegung, die in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco in Madrid entstand. Sie zeichnete sich durch eine innovative Form des verbalen und ästhetischen Ausdrucks aus, die in Musik, Film, Literatur und Fotografie entwickelt wurde) und Sinatra wurde als Relikt der Vergangenheit, als Vertreter des amerikanischen Imperialismus, als vulgärer und unhöflicher Mafioso wahrgenommen. Niemand kam auf die Idee, eine Studie über die Akzeptanz des Sängers durchzuführen und den Veranstaltungsort, den Ort und den Preis der Sitzplätze an die Realität anzupassen.

Das Konzert hingegen präsentiert einen kommunikativen und brillanten Frank Sinatra, der mit Unterstützung des London Philharmonic Orchestra auf hervorragende Weise seinen Strauß großer Hits singt und mit dem großartigen „Granada“ ein köstliches Zugeständnis an die nationale Folklore macht. Einige Audio- und Videoaufnahmen, die privat kursieren, belegen dies. Der Radiosender Cadena SER berichtete über das Konzert und versuchte, es angemessen zu behandeln, mit einigen begeisterten Kommentatoren, die ihre Bewunderung für den Sänger nicht verhehlten, und als Krönung gab es ein Feuerwerk, das den Himmel der Hauptstadt erleuchtete. 
Arsenio wusste, dass sein großer Traum auf dem Rasen des Stadions zu seinem finanziellen Ruin führen würde, aber niemand konnte das Lächeln von seinem Gesicht und seine Zufriedenheit darüber, dass er es geschafft hatte, Sinatras Schwur zu brechen, nie wieder in unser „verdammtes Land“ zurückzukehren, auslöschen.

Frank Sinatra 1986 im Bernabeu Stadion, Madrid

 

Set-List

Fly Me To The Moon
Without A Song
What Now My Love
I’ve Got You Under My Skin
Bewitched
Where Or When
witchcraft
My Heart Stood Still
New York New York
Grenade
Summer Wind
night and day
I Get A Kick Out Of You
Come Rain Or Come Shine
L.A.Is My Lady
The Girl From Ipanema
April In Paris
The Lady Is A Tramp
For Once In My Life
Mack The Knife
All The Way
Strangers In The Night
My Way

 

An.d. Red.: Am 26. Januar 1980 gab Frank Sinatra im Maracanã Stadium, Rio De Janeiro, Brasilien, ein denkwürdiges Konzert. Es war ein historisches Ereignis, da 175.000 Zuschauer das Stadion füllten, was einen Rekord für das größte zahlende Publikum für einen Solokünstler aufstellte.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Herzlich Willkommen auf dieser Plattform des kultivierten Austauschs von Argumenten.

Wir haben verlernt Widerspruch aushalten zu können. Hier darf auch widersprochen werden. Ich möchte Sie bitten, dabei wertschätzend und höflich zu bleiben. Beleidigungen und Hasskommentare werden künftig ebenso entfernt, wie Wahlaufrufe zu Parteien. Ich behalte mir vor, beleidigende oder herabsetzende Kommentare zu löschen. Dieses öffentliche Forum und die ihm innewohnende Möglichkeit Argumente und Meinungen auszutauschen, ist der Versuch die Meinungsfreiheit – auch die der anderen Meinung – hoch zu halten. Ich möchte hier die altmodische Tugend des Respektes gepflegt wissen.

„Kontroversen sind kein lästiges Übel, sondern notwendige Voraussetzung für das Gelingen von Demokratie.” Bundespräsident Dr. h.c. Joachim Gauck a.D., vor nur 5 Jahren in seiner Rede zum Tag des Grundgesetzes.

de_DEGerman