von Antje Maly-Samiralow //
Zum Fischmeister ist der Name einer Wirtschaft in Ambach, einem verträumten Dorf am Ostufer des Starnberger Sees. Nach Ambach gelangt man mit dem Auto, mit einem Schiff der Starnberger Seeschifffahrt, dem eigenen Boot oder einem anderen wassertauglichen Transportmittel. Manche Gäste landen auch mit dem Stand-Up-Board an, kaufen sich eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen und paddeln gestärkt wieder von dannen. Der Fischmeister ist ein Ausflugslokal wie aus dem Bilderbuch: Innen Holz getäfelt und mit alten Dielenböden, das Essen vom Feinsten, die Weine gut bis richtig gut, die Kuchen wie von der Oma, in jedem Fall selbstgebacken, so wie das nach all den Jahren noch immer gute Nuss Brot – das riecht man und das schmeckt man.
Das Personal ist zum Teil schon so lange dabei, dass man sich unwillkürlich fragt, ob man selbst allmählich in die Jahre gekommen ist, solange steht der Michel schon am Ausschank und zapft stoisch Bier um Bier, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, egal wie lang die Schlange und wie durstig die Gäste. Die Lebensfreude der ewig gut gelaunten Susanne springt förmlich über, wenn sie die im überquellenden Wirtshausgarten wartenden Neuankömmlinge vertröstet, bis vielleicht doch noch ein Tisch frei wird. Aber beim Fischmeister setzt man sich eh dazu, da rückt man zusammen und kommt ins Gespräch mit wildfremden Menschen, die man hernach nie wieder sieht. Man staunt über das gute Essen, ergötzt sich am Ausblick und freut sich des Lebens, wie es schöner nicht sein kann an einem Sommertag am See.
Es gab Jahre, da sind wir zwei-, dreimal die Woche von München rausgefahren und erst spät in der Nacht, wenn die Lichterketten im Garten ostentativ ausgeknipst wurden, wieder zurück in die überhitzte Stadt. Die Parkplatzsuche war noch jedes mal eine Herausforderung. Aber die hat man in Kauf genommen, wusste man doch, dass man hernach für die Pein entlohnt werden würde. Gestern war ich nach vielen Jahren der Abstinenz zum ersten Mal wieder in Ambach. Ich hatte einen Gast und wollte ihm etwas zeigen, was es so an keinem anderen Ort gibt. Es gibt viele einzigartige Orte auf der Welt, die einen Besuch wert sind, und viele mögen sehenswerter, attraktiver und beschaulicher sein. Aber nirgends ist Sommerfrische so frisch und wärmend zugleich, nirgends fühlt man sich den anderen Gästen, den Eisschleckenden Kindern und den um eine Krauleinlage buhlenden Hunden so verbunden wie beim Fischmeister. Es liegt ein Geheimnis über diesem Ort, das zu lüften man nicht einmal in Erwägung ziehen sollte. Magie ist nur solange reizvoll, solange sie magisch ist. Wer sie zu entzaubern sucht, kann nur enttäuscht werden.
Mein Gast war jedenfalls selig und fragte gleich nach Übernachtungsmöglichkeiten in Ambach. Kann man sicher, ich weiß nur nicht wo. Aber das lässt sich ja in Erfahrung bringen. Wie ich das so schreibe, kommt mir die Idee, das selbst auch einmal zu tun. In aller früh aufstehen und ein erweckendes Bad im See nehmen. Zur Wirtschaft gehört ein kleiner Uferstreifen direkt an der Schiffsanlegestelle. Früher war das eine kleine Badeanstalt. Da haben sich die Wirtshausgäste einen schönen Nachmittag am See gemacht, bevor sie zum Essen über die Straße gewechselt sind. Nun ja, vielleicht ist nicht jeder über die Straße gewechselt und hat statt der nicht ganz günstigen Gerichte beim Fischmeister lieber die mitgebrachten Brote und Getränke aus der Kühlbox verzehrt. Das ist verständlich, aber schon auch ein bisschen Geschäftsschädigend. Schließlich lebt die Mannschaft weitestgehend vom Sommergeschäft, das – je nach Wetter – auch mal ins Wasser fallen kann.
Jedenfalls stehen jetzt am Uferstreifen Gartentische und -stühle. Hier herrscht Selbstbedienung. Man holt sich was Leckeres in der Wirtschaft und wartet mit einem Aperol- oder irgendeinem anderen Spritz auf den Sonnenuntergang, die Füße im Wasser, die Nase im Wind und die Augen auf das Weite gerichtet, das ewig so weitergeht. Wenn man in den See steigt und gen Süden schwimmt in Richtung Seeshaupt, zeichnen sich am Horizont die Alpen ab: die Zugspitze, die Alpspitze, das Hörnle, die hohe Kisten, nebst aller größeren und kleineren Anrainer.
Eine Bekannte, mit der ich dort früher öfter mal zusammen schwamm und – beide die Köpfe aus dem Wasser gereckt wie die Gänschen – plauderte, pflegte den Seegang wie folgt auf den Punkt zu bringen: „Da fühlt man sich doch wie der König von Bayern höchstpersönlich. Als gehörte einem der See ganz allein…“ Ich pflegte ihr daraufhin versonnen beizupflichten und schwamm und schwamm und schwamm.
Ich kriege einfach nie genug von diesem Panorama, das sich bei jedem Auftauchen aus dem See aufs Neue entfaltet und eine einzige Verheißung ist. So war es noch jedes Mal, so war es auch gestern. Irgendwann musste ich dann doch umdrehen. Das Wasser hatte zwar gute 21 Grad, aber ohne Neopren und latent unterzuckert sind 21 Grad eben nicht gerade warm. Als ich die Kieselsteine, die den Uferbereich bedecken, unter vielem „Ahh“ und „Uihh, tut das weh…“, überwunden hatte, entdeckte ich Bekannte, die wir vor Jahren dort kennengelernt hatten und die noch immer regelmäßig an diesen Sehnsuchtsort zurückkehren, zum Baden, zum Essen zum Reden. Wir haben ein paar Schnappschüsse gemacht zur Erinnerung, bis zum nächsten mal. Wie sie fuhren, überließen sie uns ihren Tisch direkt am Ufer. Da haben wir dann Kuchen geholt: Aprikosendatschi für mich, Rhabarber-Käse für meinen Gast.
Irgendwann tauchten zwei reizende Kinder auf, die sich an dem im Kiesbett geparkten Stand-Up-Board zu schaffen machten und von ihren Fußballidolen schwärmten: „Ich habe auch ein Manuel-Neuer-Shirt, aber das habe ich heute nicht an. Nein das FC-Bayern-Trikot gehört mir, nicht meinem Bruder…“ so ging es lustig daher, bis die Besitzerin des Boards kam und die Kleinen von selbigem holte (die Finnen sind recht fragil und brechen gern, selbst wenn nur 30 Kilo leichte Kinder auf dem Board herum turnen.)
Naja, und weil man beim Fischmeister nun mal schnell ins Gespräch kommt, wussten wir ganz schnell, dass wir beide Antje heißen, dass mein Board seit Jahren im Schuppen steht, woraufhin mich die andere Antje geradezu nötigte, eine Runde mit ihrem Board zu drehen. Eigentlich war der Tisch reserviert und die Reservierungen verfallen bei dem Andrang an Gästen.
Also übernahm mein Gast die Platzhaltung und ich drehte eine Ehrenrunde auf dem feuerroten Stand-Up-Board. Dass ich mein altes Brett demnächst wieder Wassertauglich machen und eine Revival-Jungfernfahrt hinlegen werde, ist obligatorisch. Das ist ja fast noch besser als Schwimmen im See. Am tollsten ist es, wenn man sich bäuchlings auf das Brett legt und flach über die Wasseroberfläche blinzelt. Ich weiß auch nicht warum, aber das sanfte Wabern des Spiegels erinnert mich jedes mal an die Augsburger Puppenkiste und die Plastikfolien, mit denen man seinerzeit Wasser improvisiert haben muss.
Wie ich glücklich und heil das Ufer erreicht hatte, bedankte ich mich bei Antje, raffte Badetücher und Röcke zusammen, warf alles ins Auto und gesellte mich zu meinem Gast. Der hatte derweil Anschluss an die Herren vom Nachbartisch gefunden. Die beiden waren Segler vom anderen Ufer einmal quer über den See. Der eine stellte sich als der Vater der netten FC-Bayern-Fans heraus.
Wie ich kam, waren die Herren schon bei der Weinbestellung und hatten sich irgendwie darauf verständigt, gemeinsam einen griechischen Malvasier zu bestellen, nachdem die beiden Segler schon diverse andere Weine getestet und für empfehlenswert befunden hatten. An dieser Stelle kürze ich mal ab: Nach einem süßen Potpourri und einem kräftigen Espresso machten sie sich auf den Weg, stellten die fast unberührte Flasche Wein auf den Tisch und verabschiedeten sich mit einem „Wohl bekommt’s!“
Mein Gast konnte nicht fassen, was ihm an diesem Tag an Gutem widerfahren ist und erging sich in allerlei Lobpreisungen und Danksagungen. Und da hatte er noch nicht den Schweinebraten probiert. Der kam erst noch. Das war aber auch ein besonders großes Stück, das sie ihm da aufgetan hatten. Er mümmelte genüsslich und zerkleinerte die Kruste solange, bis wirklich nichts mehr knusperte.
So, und ich komme jetzt auch mal zum Ende. Aber vorher muss ich noch eines loswerden, weil es einfach zum Fischmeister gehört. Das Lokal heißt so, weil dort über viele Jahrhunderte die Fischmeister der Bayerischen Herzöge und Könige ansässig waren. Ihre vornehmste Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass freitags – wie das in der guten alten Zeit Brauch war – frischer Seefisch in der Münchner Hofküche bereitlag. Manch einer und manch eine nennen das Lokal in Ambach auch Bierbichler. Das kommt daher, dass das Haus irgendwann an einen im Dienste des seinerseits amtierenden Fischmeisters stehenden Knechts namens Johann Castulus Bierbichler überging. Seither befindet sich das Gebäude im Besitz der Familie Bierbichler, aus der die Schauspielerin Annamirl Bierbichler und der Schauspieler Josef (Sepp) Bierbichler hervorgegangen sind.
Josef Bierbichler hat unter Michael Hanekes Regie gespielt, mit Caroline Link gedreht, unter Herbert Achternbusch (der zeitweilig oder längerweilig beim Bierbichler gelebt und gearbeitet haben muss) und unter Andreas (Anderl) Lechners Regie (dessen Arbeiten leider weniger bekannt, der für mein bescheidenes Dafürhalten jedoch ein irrer Autor, Schauspieler, Regisseur und Musiker ist, der wiederum unter der Regie von Josef Bierbichler in der Verfilmung von dessen Roman Mittelreich eine Nebenrolle ausfüllt; klein aber feste).
Bierbichlers Rolle in Ina Weisses Film „Der Architekt“ habe ich noch gut vor Augen, so wie seinen Auftritt als Knochenmann in der Verfilmung des gleichnamigen Romans aus der Wolf-Haas-Serie, wo er an der Seite von Birgit Minichmayr, dem abgehalfterten Privatdetektiv Brenner alias Josef Hader und Stipe Erceg Leichen verschwinden lässt, im Fleischwolf. Skurril und schwarz beseelt bis heiter der Film wie alle Wolf-Haas-Geschichten, lakonisch grantelnd und wortkarg der Knochenmann.
Josef Bierbichlers Spiel sollte man nicht zu beschreiben versuchen. Man trifft ihn ja doch nicht. Das ist wie mit der Magie des Ortes. Man kann sich einen seiner Filme anschauen, und dann will man vielleicht noch einen sehen und noch einen. Oder man kauft sich eines seiner Bücher, fährt nach Ambach, setzt sich in den Biergarten, bestellt sich was Gutes, liest und isst und schwatzt ein bisschen. Und wenn man Glück hat, kann man den Hausherrn zu späterer Stunde in einem stillen Eck im Wirtshaus sehen. Wenn die Münchner längst in ihren überhitzten Stadtwohnungen sitzen und nicht in den Schlaf finden, kehrt Ruhe ein in dem schönen, großen, gelben Haus. Dann gehört der Fischmeister wieder dem Bierbichler und den Seinen.
Wenn jetzt noch etwas lärmt, dann ist es der Donner, der vom Westen her grollt und der Wind, der das Wasser aufbringt.
Eine Antwort
Was für ein wundervoll geschriebener Artikel!
Als wäre man vor Ort.
Vielen Dank dafür!