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Zwischen Ruhm und Reue: Michael Graeters Reflexion über ein bewegtes Leben

von Adrian von Ferenczy

Im Gespräch mit Michael Graeter, dem legendären Journalisten, Klatschkolumnisten und „König des Boulevards“, wird die gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands in den letzten Jahrzehnten beleuchtet. Publizist und Herausgeber des CdkW, Markus Langemann, gelingt dabei einfühlsam Graeter einen Einblick in seine einzigartige Karriere und seine Sichtweise auf den Wandel der Medienlandschaft und der Gesellschaft zu entlocken. Der Journalist, bekannt für seine Arbeit bei renommierten Publikationen wie der „Augsburger Allgemeinen“, der „Abendzeitung“ und der „BILD-Zeitung“, war maßgeblich an der Dokumentation des Münchener Gesellschaftslebens beteiligt. Besonders seine Verbindung zu Helmut Dietl und der Kultserie „Kir Royal“ hinterließ bleibende Spuren.

Gesellschaftliche Rückschau und Blick in die Zukunft

In den vergangenen 20 bis 30 Jahren habe sich das Land erheblich verändert. Er sieht es als seine Aufgabe, auch heute noch Rückschau zu halten und die Entwicklung kritisch zu beleuchten. Dabei scheut er sich nicht, mit scharfer Zunge über die Führung des Landes zu sprechen: „Ich werde von dummen Leuten regiert.“ Er kritisiert die Unreife vieler politischer Entscheidungsträger und vergleicht die aktuelle politische Landschaft mit einer vergangenen Zeit, in der seiner Meinung nach noch klarere und bodenständigere Entscheidungen getroffen wurden.

Eine Karriere zwischen Boulevardjournalismus und Prominenten

Michael Graeter gilt als ein Mann, der es meisterhaft verstand, die „Schickeria“ Münchens zu porträtieren. Seine journalistische Laufbahn führte ihn von der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ über die „Abendzeitung“ bis hin zur „BILD-Zeitung“, wo er zur Blütezeit der Zeitung sechs Jahre lang tätig war. Damals erreichte die „BILD“ eine Auflage von 5,4 Millionen Exemplaren, was 15 Millionen Leser bedeutete. Heute sind es nur noch knapp eine Million.

Besonders eng ist Graeters Verbindung zu Helmut Dietl und dessen Serie „Kir Royal“, die in den 1980er-Jahren ausgestrahlt wurde. Graeter inspirierte Dietl zu der Figur des Baby Schimmerlos, einem Society-Journalisten, der sich ungeniert durch die Münchener Promiwelt bewegt. „Viele dieser Figuren, die in Helmut Dietls Serie auftraten, wusste jeder Münchner den echten Akteuren zuzuordnen“, erklärt Graeter und beschreibt den damaligen Zeitgeist. Für ihn sei es faszinierend gewesen, dass das echte Leben und die satirische Darstellung der Serie oft ineinanderflossen.

Demut und Glauben: Neue Perspektiven nach dem Absturz

Michael Graeter spricht offen über die schwierigen Zeiten nach seinem Absturz und seine Rückkehr in ein normales Leben. Trotz der Härten, die ihm seine Erfahrungen auferlegten, bewahrte er sich seinen Stolz und seine Fassade. „Es ist ein dauertragisches Gefühl in mir“, gibt er zu, doch gleichzeitig bleibt er voller Tatendrang. Er hofft, vielleicht doch noch einmal ein neues „Café Extrablatt“ eröffnen zu können, wie einst in den 1980er-Jahren in Schwabing.

Graeter reflektiert über seine Vergangenheit und die Unterschiede zwischen seinem früheren Leben als „Baby Schimmerlos“ und seiner heutigen Rolle. Während er früher als der unantastbare Gesellschaftsreporter galt, der in Münchens Promiwelt nie ein „Nein“ hörte, hat ihn der Absturz gelehrt, die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen. „Da ist kein Mensch grundsätzlich vor gefeit, dass irgendwann ein großer Einschlag geschieht“, sagt er und beschreibt, wie Demut ein fester Bestandteil seiner Rückschau wurde.

Glaube als Quelle der Kraft

Ein wichtiger Aspekt seiner persönlichen Weiterentwicklung war für Graeter der Glaube. Bereits vor seiner Haftstrafe hatte er den Weg in die Kirche gefunden, insbesondere in die Alte Peter Kirche am Marienplatz, die ihm mehr bedeutete als der Münchener Dom. „Für die dritte Dimension kann ich mich da einfach besser sammeln“, erklärt er. Er ist sich nicht sicher, ob es einen Gott im klassischen Sinne gibt, aber er glaubt an eine höhere, nicht greifbare Kraft, die das Leben lenkt.

Diese spirituelle Dimension gab ihm Kraft in den schwersten Zeiten und half ihm, den Blick auf die kleinen Wunder des Lebens zu lenken. „Warum bleiben zwei Enten ihr ganzes Leben zusammen?“, fragt Graeter und gibt zu, dass ihn die Rätsel der Natur faszinieren. Trotz seiner Skepsis gegenüber dem „Bodenpersonal“ der Kirche, wie er die Geistlichen nennt, hat der Glaube ihm geholfen, eine innere Balance zu finden.

Rückblick auf glanzvolle Projekte: Das gescheiterte Filmfestival

Ein prägendes Kapitel in Graeters Karriere war der Versuch, München ein amerikanisches Filmfestival zu verschaffen. Gemeinsam mit dem Münchener Oberbürgermeister Kiesel und dem Modewochen-Organisator Wurm reiste er nach New York und Los Angeles, um Verhandlungen mit großen Filmstudios zu führen. „Die großen Namen sagten alle zu“, erinnert sich Graeter, darunter auch der Chef von Paramount, der ein zehntägiges Festival nach dem Oktoberfest versprach. Doch politische Widerstände und die ablehnende Haltung der „Süddeutschen Zeitung“ brachten das Projekt schließlich zum Scheitern.

Trotz dieser Rückschläge zeigt sich Graeter stolz auf seine Bemühungen, die Münchener Kulturszene zu bereichern. Er erzählt von der feierlichen Taufe mit Geraldine Chaplin und Gerd Fröbe im Rathaus und den turbulenten Momenten, als er um eine wetterbedingte Landegenehmigung kämpfte. Diese Episoden sind für ihn nicht nur Belege seines Engagements, sondern auch Symbole für den gesellschaftlichen Wandel in München und den Kampf gegen ideologische Widerstände.

Die dunklen Seiten der Macht: Konflikte mit der Presse und persönliche Erfahrungen

Graeter schildert die Spannungen, die er im Laufe seiner Karriere mit bestimmten Medienvertretern hatte, wie etwa dem damaligen Chef vom Dienst der „Süddeutschen Zeitung“, Deiring. Nachdem Deiring Graeter wiederholt als „Spesenritter“ tituliert hatte, drohte Graeter mit einem Gegenartikel, der die fragwürdigen Seiten des Journalisten offenlegen würde.

Das Ende einer Ära: Ein Leben unter ständiger Beobachtung

Michael Graeter reflektiert über den Wandel in seinem Leben, vom gefeierten Journalisten, der die Schönen und Reichen porträtierte, zum Menschen, der selbst im Fokus der Berichterstattung stand durch seinen Gefängnisaufenthalt. Auf die Frage, was der Absturz mit ihm gemacht habe, antwortet er: „Ich verdränge es eigentlich immer. Ich glaube, das macht alt.“ Für ihn ist der Schlüssel zum Weiterleben, dass man den Druck nicht aufgibt und immer in Bewegung bleibt.

Trotz aller Höhen und Tiefen ist Graeter noch immer stolz auf seine Erlebnisse und die „glanzvolle Zeit“ im Journalismus. Er sieht sich als „Oberkellner der Gesellschaft“, der die Menschen nie einfach nur bewertete, sondern ihnen immer auch einen Spiegel vorhielt. Diese Selbstwahrnehmung unterscheidet ihn stark von der heutigen Influencer-Kultur, die er als „armselig“ bezeichnet, weil sie sich nur auf Selbstinszenierung stütze.

Fazit: Ein Reporterleben zwischen Ruhm und Reue

Michael Graeter bietet in seinen Erzählungen einen einzigartigen Einblick in die Welt des Boulevardjournalismus, die Macht der Medien und die persönlichen Kämpfe, die mit einem Leben im Rampenlicht verbunden sind. Sein Weg vom glanzvollen Kolumnisten, der die Münchener High Society prägte, bis hin zum Häftling in Landsberg zeigt die Dualität von Ruhm und Verantwortung.

Für Graeter bleibt der Journalismus eine Berufung, die er trotz aller Herausforderungen nie aufgegeben hat. „Man darf den Körper nicht enttäuschen. Deswegen muss man dranbleiben“, sagt er, und das spiegelt sich in seinem ungebrochenen Willen wider, weiterhin aktiv zu bleiben. Auch wenn sich die Medienlandschaft und die Gesellschaft stark verändert haben, bleibt Michael Graeter ein Chronist, der seine Geschichten mit scharfer Zunge und einem Auge für das Menschliche erzählt.

Seine Reflexionen über Macht, Glaube und die Bedeutung von Unabhängigkeit in der Berichterstattung bieten nicht nur einen Blick zurück in eine goldene Ära des Journalismus, sondern auch wertvolle Denkanstöße für die Gegenwart.

Michael Graeters Geschichte zeigt auch, dass echter Journalismus stets unabhängig sein muss, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. In einer Zeit, in der viele Medien sich angleichen und Exklusivität an Bedeutung verliert, plädiert Graeter für mehr Mut zur Individualität.

Für Graeter war die öffentliche Anerkennung nie das Hauptziel. Vielmehr wollte er immer authentisch bleiben und eine Stimme sein, die den gesellschaftlichen Wandel kritisch begleitet. Seine Erzählungen sind ein Zeugnis dafür, dass auch nach einem tiefen Fall der Glaube an das eigene Schaffen und die Kraft des Journalismus bestehen bleibt.

Mit diesen Gedanken schließt sich das Kapitel über Michael Graeters bewegtes Leben als Journalist. Seine Geschichten, geprägt von einzigartigen Begegnungen, persönlichen Krisen und einem unerschütterlichen Glauben an die journalistische Mission, bleiben unvergessen und sind ein Spiegel der Gesellschaft, die er über Jahrzehnte hinweg mitgestaltet hat.

„Unabhängiger und überparteilicher Journalismus, der weder durch Werbegelder noch durch Gebühren in Abhängigkeit gerät, garantiert ein hohes Maß an inhaltlicher Integrität“, sagt Langemann im Anschluss an dieses außergewöhnliche Porträt im Interview-Stil, das an vergangene große Interviews in der V.I.P Schaukel oder Günter Gaus erinnert.

Sehen Sie das einzigartige siebzigminütige Interview jetzt hier.

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