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FÜHREN ODER FOLGEN ?

von Peter Löcke //

Führen oder folgen Sie lieber? Sitzen Sie lieber am Steuer oder bevorzugen Sie den Beifahrersitz? Die Fragen sind psychologisch komplexer, als man vermutet. Führen und Folgen in den sozialen Medien und der großen Politik. Führen und Folgen im Beruf, der eigenen Partnerschaft bis hin zur Sexualität. Beides hat seinen Reiz, beides seine Schattenseiten. 

Man betrachte die Welt von Twitter, Instagram und Co. Die Welt der Internethelden einerseits und der Follower andererseits. Zigtausende Menschen, die an den digitalen Lippen des Web-Idols kleben, ihm folgen und mit Herzchen und Likes überschütten. Jeder Klick ist ein Kick für Führer wie Gefolgschaft. Ein warmer Regen aus Dopamin für den Politiker, Journalisten, C-Prominenten oder Influencer der Wahl. Wofür? Für einen pöbelnden Tweet, für ein Nackt-Selfie, wofür auch immer. Das mag ein krankes wie bedauernswertes Phänomen sein. Und doch scheint es für beide Seiten ein Phänomen mit Suchtpotenzial zu sein. Wussten Sie, dass ein gewisser Karl Lauterbach über eine Millionen Follower auf Twitter hat? Erschreckend.

Und damit zu Folgeerscheinungen der Politik. Die deutsche Politik folgt ihrem transatlantischen Partner. Sagte ich Partner? Vasall der USA trifft es besser. Wer erinnert sich nicht an die Bilder vom G7-Treffen auf Schloss Elmau. US-Präsident Joe Biden, der großväterlich auf die Oberschenkel des deutschen Kanzlers klopft, ihn für seine Treue respektive seinen Gehorsam lobt. Olaf Scholz, der daraufhin stolz „Thank you, thank you“ hechelt. Umgehend dachte ich an Kira. Kira heißt mein Hund und der bekommt auch immer ein Belohnungs-Schnuckie, wenn er das Stöckchen apportiert. Aber Deutschland kann auch Führer, wobei der Begriff an sich tunlichst vermieden werden sollte. Das Wort Führungsrolle ist unverdächtiger. Deutschland in der weltweiten Führungsrolle beim Klimaschutz und in Energiefragen, bei Menschen- und Frauenrechten, in der Migrations- und Gesundheitspolitik. Eigentlich bei jedem politischen Thema. Zumindest in der polit-medialen Selbstwahrnehmung, zumindest global gesehen. National sieht es beim selbsternannten moralischen Licht zappenduster aus. Trotz oder wegen Politiker mit WEF-Weltführer-Ausbildung wie Özdemir und Baerbock? Ansichtssache.

Genug von der großen weiten Welt. Mich fasziniert immer auch der private Raum. Der Mikrokosmos. Menschen wie Du und Ich. Sind Sie eher der dominante Typ, der beruflich erfolgreiche Teamleiter, die Führungskraft, die auch in der Beziehung die Hosen anhat? Das mag mit Qualifikationen und Kompetenzen zusammenhängen, aber nicht nur. Ob ein Mensch lieber führt oder folgt, hängt auch von seinem Wesen ab. Ja, das Gefühl von Macht kann berauschend sein. Jedoch kann die mit der Machtfülle verbundene Verantwortung als schwere Last empfunden werden. Und umgedreht? Das Gefühl von Ohnmacht fühlt sich trist an. Dieses Gefühl, nur ein Rad im Getriebe zu sein, ein Rad, das funktioniert und folgt. Und doch genießen es viele Menschen, weil das Leben damit wunderbar unkompliziert bleibt in der kleinen sich geschaffenen Welt. Schließlich entsteht Stress durch Veränderung. Der Mensch vermeidet Stress. Auch in der Partnerschaft.

Gehen wir zum Griechen oder Chinesen? Urlaub auf Bali, Ballermann oder Balkonien? Müssen wir links oder rechts abbiegen? Führen Sie bei diesen Fragen, bestimmen Sie und treffen eine Entscheidung? Folgen Sie Ihrem Partner und antworten „Das musst du wissen, Schatz“? Oder diskutieren Sie die großen und kleinen Fragen des Lebens ständig mit ihrem Partner aus? Letzteres mag der Königsweg sein, ist aber auch verdammt anstrengend. Es ist äußerst spannend, diese zwischenmenschlichen Interaktionen bei sich und anderen zu beobachten.

Spannend ist auch folgende Tatsache. Eingangs erwähnte ich, dass das Führen und Folgen bis in den sexuellen Bereich hinein geht. Ab hier wird es etwas schlüpfrig. Wussten Sie, welcher Typ Mann vor allem zu Dominas geht? Jenen Damen aus dem horizontalen Gewerbe also, die sich wie wir alle mehr schlecht als Recht durchs Leben schlagen. Hier halt wortwörtlich. Es sind überproportional viele Manager. Das ist nicht nur ein Klischee. Menschen, die tagsüber Millionen bewegen und über tausend Arbeitsplätze entscheiden, scheinen die Sehnsucht zu haben, einfach mal nichts entscheiden zu dürfen und zu müssen. Faszinierend.

Führen oder Folgen? Lemming oder Leader? Die Wahrheit scheint wie so oft in der Mitte zu liegen, in einer gesunden Mischung aus Macht und Ohnmacht, Selbstbewusstsein und Demut. Nur ist das keine Erkenntnis von mir. Über diese existenziellen Fragen haben sich schon Existenzialisten Gedanken gemacht wie Albert Camus.

„Gehe nicht hinter mir, vielleicht führe ich nicht. Gehe nicht vor mir, vielleicht folge ich nicht. Geh einfach neben mir und sei mein Freund.“  

Ich bin übrigens wie jeder Mensch für Lob und Likes empfänglich. Falls dennoch jemand denkt „Lieber Herr Löcke. Dieser Ihrer Kolumne kann ich so gar nicht folgen“, halte ich das für gesund und wertvoll. Für mich und für jede Debatte.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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6 Antworten

  1. Lieber Herr Löcke, es sind in meinen Augen zwei Seiten der selben Medaille. Sie hatten das anderer Stelle schon mal sehr trefflich formuliert. Die Ohn-Macht beherbergt auch die Macht. Und was wir in Leben ausagieren, hängt zuweilen von der Tagesform und immer auch von unserem Gegenüber ab. Uns Menschen ist glaube ich beides innewohnend. Vielen Dank für diese Anregungen. Sie sind so wertvoll.

  2. Lieber Herr Löcke,

    neben denen, die folgen und denen, die führen gibt es noch diejenigen, die weder folgen noch führen. Ich zähle mich dazu. Zum Folgen nicht brav genug und zum Führen nicht geeignet?
    Möglicherweise habe ich denjenigen, dem ich folgen würde, nur nicht gefunden. Vielleicht irre ich mich auch, zumindest verfolge ich Ihre Kolumnen mit großem Vergnügen.

    Beste Grüße,
    Ines

  3. Eine Überlegung in aller Herrgottsfrühe noch dahinter, sehr geehrter Herr Löcke. Wohin führt jeweils -in allen gesamtgesellschaftlich-politischen Bereichen- das Führen oder das Nicht-Führen, das Nicht-geführt-werden? In lauter Wummse, Doppelwummse, Dreifachwummse bis zum finalen Rummsbumms. Führen darf der, der die größtmögliche Kompetenz hat. Umgekehrt: Ich kann mich nur führen lassen von jemand, der die größtmögliche Kompetenz hat. Oder wie oder was. So wäre es zumindest logisch. Auszuklammern aus allen Überlegungen sind eingebildete Führungsrollen, wie derzeit (mal wieder) in Deutschland. Dirk Maxeiner: “Deutschland will Führer( Vorreiter) sein und merkt nicht, dass ihm keiner folgt.” Jüngste Folgepleite bei der Fußball WM.
    Allgemein: Sehr leicht lassen sich Schafe führen. Es bräuchte also auch Geführt-werden-Kompetenz. Hm…
    Jedenfalls uns allen ein hoffentlich Wumms-freies oder wenigstens Wumms-armes neues Jahr!
    Vielleicht kommt ja der eine oder andere oder die vielen einen oder anderen Frauen -in allen gesamtgesellschaftlichen Bereichen-…… doch noch zur Besinnung.

  4. Gehe einfach neben mir und sei mein Freund, das wäre zu schön wenn es so einfach wäre.
    Allerdings habe ich große Zweifel daran ob die USA unser Freund sind.
    Von unseren Politmarionetten mal ganz abgesehen. Unter führen oder leiten verstehe ich etwas anderes. Man sollte dem Volke aufs Maul schauen um zu wissen was es möchte. Gab oder gibt es momentan eine Situation die vom Souverän so gewollt ist? Ich glaube kaum. Natürlich gibt es hier und da und vielleicht auch dort ein paar die immer noch glauben unsere Führungskräfte meinen es gut mit uns, aber bei vielen hat sich Linientreue minimiert. Es ist nur schlimm das Widerspruch totgehauen wird und somit gehen wir nicht nebeneinander und sind Freunde. Denn eine gute Freundschaft muss kontroverse Diskussionen verkraften.

  5. Im Beruf hatte ich eine Führungsrolle, die ich nicht geliebt und deswegen abgegeben habe. Nun kümmere ich mich um einzelne Menschen und das entspricht mir mehr.
    Warum? Weil es mir um mehr geht als Führung, es geht mir um Entwicklung, Kooperation, Lernen, Einfühlungsvermögen, Verständnis. Entscheidungsfähigkeit ist ein Element das in unserer Entwicklung wenig Beachtung findet. Einem Kind mit auf den Weg zu geben, wie es Entscheidungen trifft und welche Konsequenzen das für alle Beteiligten hat, scheint mit wichtiger als die Frage wer die Führungsrolle innehat. Dies ist nur eine Folge der Entwicklung Entscheidungen zu treffen.
    Danke für Ihre Anregungen.

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