Ganz großer Sport

von Peter Löcke //

Lass uns bitte nicht über Politik reden.

Solche Sätze höre ich oft. Politikverdrossenheit, wohin man schaut und wen man fragt. Manchmal übermannt auch mich ein Gefühl von Fatalismus. In solchen Momenten funktioniert es gut, sich mit Fußball abzulenken. Glotze an, Hirn aus, um endlich mal nicht an die schwer verdaulichen Themen unserer Zeit zu denken. Diese Strategie muss auch in der Fußball-losen Winterpause funktionieren. Dachte ich. Falsch gedacht! Alle Versuche, mein Gehirn über Jahreswechsel mit leichter Sportkost zu füttern, endeten mit einem gefühlten Magengeschwür. Die Tournee der Bauchschmerzen begann mit der Vierschanzentournee. Statt erhoffter TV-Sendezeiten spuckte mir die Suchmaschine Google direkt eine Sexismus-Debatte aus. Als erster Suchtreffer spuckte mir Google sofort vorwurfsvoll in mein toxisch männliches Gesicht.

Equal Pay Gap! Wir benötigen endlich eine geschlechtergerechte Bezahlung beim Skispringen und überhaupt bei jeder Sportart!

Veni, vidi, vici! Nach dem Googeln klickte ich, sah ich und siechte dahin. Die Lektüre des Artikels sorgte umgehend für einen inneren Wut-Monolog. Nein, verdammt! Wir benötigen keinen equal pay gap, weil das in der Lebenswirklichkeit nicht funktioniert. Das unterschiedliche Einkommen von Sportlern hängt vom unterschiedlichen Interesse der Zuschauer, der Sponsoren, der TV-Anstalten und anderer Medien ab. Je mehr Geld im jeweiligen Wirtschaftskreislauf ist, umso mehr landet auf dem Konto des Sportlers. Bei den meisten Frauensportarten ist weniger Geld im Umlauf. Das kann man beklagen, aber das ist nun mal so und das lässt sich nicht regulieren. Ach ja! Was wir ebenso wenig in Deutschland benötigen, sind Anglizismen wie Gender Pay Gap.

Einfach mal nicht an politische Themen denken? Zumindest beim Skispringen in heimischen Gefilden hat das nicht funktioniert. Also auf nach New York zur Weltmeisterschaft im Blitzschach. Dort traf im Finale der Norweger Magnus Carlsen auf den Russen Nepomnjaschtschi, kurz Nepo. Ich finde einen Live-Stream im Internet und bin voller Vorfreude. Schließlich habe ich im Gegensatz zum Skispringen auch etwas Ahnung vom Schachspielen. Dachte ich. Falsch gedacht!

Hände schnellen über das Brett, bewegen die Figuren im Sekundentakt. Das Live-Schachbrett sehe ich nur in einem kleinen Fenster, daneben weitere Fenster, in welchen Experten und KI mir verraten, welche Schachzüge besser gewesen wären. Der parallel laufende Chat ist sich dank künstlicher Intelligenz einig, dass solche Fehler den besten Schachspielern der Welt niemals passieren dürfen. Einig ist man sich außerdem, dass beide Finalisten zu Unrecht im Finale stehen. Schließlich trägt Magnus Carlsen eine illegale Jeans-Hose, die gegen die Kleiderordnung verstößt. Der Fehler des Russen besteht darin, ein Russe zu sein. Nepo verstößt also gegen die Weltordnung. Mir stößt allein die Hektik auf. Das Finale glich eher einem MTV-Videoclip als einem Schachspiel. Ich frage mich, wohin das noch führen soll und die Experten geben mir umgehend Antwort. Die extremste Form des Blitzschachs heißt Armageddon. Das kann kein Zufall sein.

Endlich mal nicht an Politik denken und mich mit Sport ablenken? Am Freitagabend startete ich einen letzten verzweifelten Versuch. Zurück aus New York begab ich mich nach London. Auf zum Ally Pally, auf zum Alexandra Palace in Englands Hauptstadt. Dort fand das Finale der Darts-WM statt.

Nichts könnte unpolitischer sein als Darten. Im Ally Pally herrscht eine Atmosphäre irgendwo zwischen Ballermann und Bierzelt. Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein. Die modernen Gladiatoren sind bis unter die Achselhöhlen tätowiert und tragen allesamt einen Kampfnamen. Den Holländer Michael van Gerwen, Künstlername Mighty Mike (mächtiger Mike), erkenne ich auch sofort wieder. Sein Kontrahent im Finale ist mir als Halbwissender im Dartsport unbekannt. Der Saal hilft mir und skandiert seinen Namen.

Hitler! Hitler! Hitler!

Mein Schock hielt nur wenige Sekunden an. Ich musste mich verhört haben und ja, ich hatte mich verhört. Littler! Der gute Mann heißt Littler, Vorname Luke. Zu meiner Beruhigung bin ich einfach nur in eine phonetische Falle getappt. Nun würde ich gerne schreiben, dass der Rest des Abends entspannt verlief. Pustekuchen, denn selbstverständlich tritt ein Luke Littler ebenfalls mit einem Kampfnamen auf. Man nennt ihn auch „the Nuke“. Nuke ist eine im Englischen gebräuchliche Abkürzung für „nuclear weapon“. Der Spitzname soll Littlers Fähigkeit symbolisieren, seine Gegner präzise wie eine Atomwaffe zu zerstören. Irgendwie war mir nach dieser Information nicht mehr danach, Pfeilewerfen zu schauen.

Ich fasse zusammen. Sexismus & Genderdebatten, Anglizismen, künstliche Intelligenz, der böse Russe, Armageddon und außerdem Atomkrieg. Über diese politischen Themen habe ich nachgedacht, weil ich einfach mal nicht über politische Themen nachdenken wollte.

Die nächste Kolumne wird sich wieder einem politischen Thema widmen. Nach vielen Bundestagsreden, Interviews und Beiträgen auf X denke ich ohnehin:

Ganz großes Kino, ganz großer Sport!

 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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3 Antworten

  1. Wenn in unserem Hause der Herr desselben die Glotze einschaltet kommt Sport. IMMER.

    Das hat vor einigen Tagen bei mir den gleichen Effekt ausgelöst .Ich habe nur immer
    “Hitler” gehört , wurde dann aber aufgeklärt.Daß er den Kampfnamen “Nuke” trägt kann man wohl einer gewissen jugendlichen Unbedarftheit zuschreiben.

    Gestern Nachmittag lief Skispringen der Frauen. Zu Gast ein junges weibliches Mitglied unserer Familie, brachte den vielzitierten Gender Pay Gap im Sport zur Sprache.
    Wäre obiger Beitrag 24 Stunden eher online gewesen hätte ich mir meinen Vortrag sparen können .

  2. Brot und Spiele, das funktioniert immer und ganz nebenbei kann man noch ein bisschen Hetze mit einstreuen. Warum, z.B., sind in vielen Sportarten keine Russen am Start, wohl aber Ukrainer und Israelis. Diese Frage darf doch wohl erlaubt sein. Eine Antwort, zumindest eine plausible oder ehrliche, bekommt man sicher nicht. Allenfalls wird man als Nazi oder Feind einer nicht vorhandenen Demokratie verunglimpft.

  3. Sport ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Sport ist der Circus der Neuzeit zur Ablenkung der Massen. Glaube doch keiner, dass der endlos getriggerte und mit „Skandalen“ zugeschüttete Weltbürger des 21. Jahrhunderts im Sport Ruhe finden könnte. Nein, dein Gehirn darf nie zur Ruhe kommen! Deshalb ist Eiskunstlauf so gut wie gestrichen. Zuviel Ruhe, zuviel Schönheit. Keine Sekunde zum Nachdenken soll dir gegönnt sein. Kein Ausbrechen aus den Trampelpfaden der weltweiten Medienmafia im Auftrag der Macht. Nie und nirgends. Die Botschaft wird unerbittlich in dein Gehirn gehämmert: Wir sind die Guten! Egal was wir tun! Wenn du Doppelsprech und Doppelmoral siehst, siehst du falsch. Wir bestimmen was die Welt ist. Die anderen sind die Bösen. Gegen sie muss mobilisiert werden. Immer und überall. Auch im Sport. Unsere Herrschaft ist total. Totaler als alles zuvor. – Denke nie Du entkommst uns. – Blicke ich mich um in der Gemeinde: Siehe da, es funktioniert. Die Leute streiten wie die Kesselflicker um Grün oder Blau. Aber für die wichtigen Fragen bleibt das Overton-Fenster zu!

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