Health care

von Peter Löcke //

Wissen Sie, was krank macht? Health care. Die Gesundheitsvorsorge. Der Begriff Health care triggert mich seit spätestens März 2020. 

Gerechtigkeit, Gleichheit, Bildung, Nahrung, Wohlstand, sauberes Wasser, saubere Energie und vor allem Gesundheit. Gesundheit für jeden Erdenbürger, Gesundheit für jedermann und jede Frau auf dem endlich klinisch gesunden Planeten Erde. So die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele in Kurzform. Warum nur ist man nicht früher in der Menschheitsgeschichte auf den Gedanken gekommen, das Paradies auf Erden zu errichten? Warum nur halte ich diese vermeintlich gesunden Ziele für ein krankes trojanisches Pferd, das von machtbesessenen Geopolitikern geritten wird?

Daher gehe ich dem Begriff Health care aus dem Weg als meine persönliche Gesundheitsvorsorge. Ich bekomme Schweißausbrüche und erhöhten Puls, sobald ich höre, dass mal wieder ein Gesundheitskongress stattfindet mit Billy Boy Gates, milliardenschweren NGO’s, hochrangigen Politikern, WHO-Abgesandten und Vertretern der Pharmalobby. Das klappt ganz gut. Bis gestern Abend.

Mein alter Wecker hatte seinen analogen Geist aufgegeben. Was tun? Selbstverständlich habe ich zu meinem smarten Telefon gegriffen. Irgendwo in den Untiefen des Kleincomputers muss es doch eine Weckfunktion geben. Die gab es schließlich auch vor zwanzig Jahren bei meinem ersten Nokia. Leider bin ich in der falschen App gelandet. Einmal falsch abgebogen und schon befand ich mich in der App Health. Hier könnte ich meinen Schlafplan einrichten. Hier könnte ich eingeben, wann ich zu Bett gehen und wann wieder aufstehen möchte und mein Handy erinnert mich per Klingelton. Bitte was?

„Wann ich ins Bett gehe, möchte ich selbst und spontan entscheiden, mein liebes Handy. Das geht dich einen feuchten Dreck an. Ich will einfach nur von dir geweckt werden.“

Ja. Ich rede mit Gegenständen, wenn ich wütend bin. Da ich schon mal wütend war und mich ohnehin im Gesundheitsbereich befand, habe ich mich umgeschaut. Es sollte eine Begegnung der dritten Art werden. Von A wie Achtsamkeit über Themen wie Ernährung und Vitalwerte bis zu Z wie Zyklusprotokoll kann hier alles dokumentiert und protokolliert werden. Selbst das Sexualverhalten. Machen das Menschen? Letzte Woche hatte ich ausgefallenen Sex? Montag ausgefallen, Dienstag ausgefallen und so weiter. Nun gut. Es ist nur ein freiwilliges Angebot. Jedem Tierchen sein Plaisierchen. 

Doch dann entdeckte ich die Menüpunkte Aktivität und Mobilität. Von wegen freiwilliges Angebot. Big Apple is watching you! Ich bin gestern 1,2 Kilometer gegangen, habe dabei 2131 Schritte gemacht und zwölf Stockwerke überwunden. Wirklich? Mein Gehtempo betrug dabei 2,5 Stundenkilometer bei einer durchschnittlichen Schrittlänge von 43 Zentimetern. Nicht schneller? Der prozentuale Anteil an meinem asymmetrischen Gang liegt laut Handy bei 26,2 Prozent, meine bibedale Abstützungsdauer gar bei 34,9 Prozent. Das hört sich gar nicht gut an. Wieder fange ich an, mit meinem Handy zu reden. Wie gesagt: Health Care macht wütend und krank. Stress macht krank.

„Was zum Teufel ist eine bipedale Abstützungsdauer? Asymmetrischer Gang? Ich habe gestern keinen Alkohol getrunken. Und vor allem, liebes Handy: Du lagst die meiste Zeit alleine auf dem Schreibtisch. Was sollen diese Unterstellungen? Woher willst du das alles wissen? Das alles geht dich verdammt noch mal einen feuchten Dreck an. Klingel einfach morgen um halb sieben und halt dich ansonsten aus meinem Leben raus.“

Vielleicht habe ich überreagiert. Mein Smartphone möchte auch nur die Probleme lösen, die ich ohne Smartphone nicht hätte. Fest steht, dass ich noch lange brauchte, um mich von diesem Gesundheitsstress zu erholen. Nach einer Zigarette ging es mir besser. Erst dann konnte ich einschlafen.

Heute habe ich mir sofort einen neuen Wecker gekauft. Es war schon fast Mittag. Leider habe ich verschlafen.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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14 Antworten

  1. Ja, schöne neue Welt. Irgendwann wird in unserem schönen neuen, ach so hippen, smarten Heim, der Kühlschrank automatisch nur noch ” gesunde Lebensmittel ” für uns bestellen und ausspucken. Anstatt Bier bekommt man dann Petersiliensaft oder was wir gerade so brauchen, damit wir nicht unter Mangelerscheinungen leiden…. ein Sensor in der Toilette wird unsere Hinterlassenschaften haarklein darauf analysieren.
    Ist das nicht herrlich? Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Freiheit ade. Und die fortschreitende Digitalisierung ist ja auch so praktisch. Wir brauchen noch nicht einmal mehr selbst zu denken. Das fällt so manchem ja ohnehin sehr schwer und ist ja auch nicht mehr wirklich erwünscht. Das erledigt für viele ja schon Alexa und Co. Willkommen im digitalen Schlaraffenland. Bis es soweit ist, genieße ich jedenfalls den Konsum von Zigaretten, Fleisch und ungesunden Kohlehydraten.

  2. Lieber Herr Löcke,
    Sie haben eine sehr nette Art den Nebel der Zeit zu vertreiben und die Sonne hervor zu locken. Warum so einfach wenn es auch kompliziert geht lautet das Kommando der Zeit. Ich liebe meinen guten alten Wecker!!!
    Vielen Dank

    1. Wunderbar ausgedrückt Herr Lange.
      Da schließe ich mich gerne an.
      Zum Glück werde ich immer ohne Wecker punktgenau wach,
      hätte aber zur Not noch meinen geliebten Aufziehwecker von Dugena.
      Ich liebe es, ohne Handy oder Smartphon zu leben.
      Ach wie schön und befreiend es ist, altmodisch zu sein…

  3. Lieber Herr Löcke, lieber Herr Langemann,
    wenn es Menschen wie sie nicht geben würde, wäre es oft zum Verzweifeln. Man glaubt wirklich an manchen Tagen, man ist im Irrenhaus gelandet. Aber Gott seis gedankt, es gibt sie noch die Menschen, die noch selbst das Denken einschalten. Ich muss über ihre Anekdoten öfters herzlich lachen. Sie retten mir dann den Tag wenn sie über die Absurditäten berichten, die einem so begegnen können. Man hat ja ähnliches auch schon erlebt.
    Bleiben sie stark und bleiben sie bitte dran und vielen lieben Dank.

  4. Wie ich das nachfühlen kann: Analogwecker kaputt! Meiner, zwar auch schon batterieelektrisch, hielt fast 30 Jahre und gab, vermutlich wegen „Korona“, seinen Geist auf, 2020 also. Ich war überaus traurig, denn das Ding hatte viel gesehen, war wie gesagt alt mit wichtigen Erinnerungen verbunden. Außerdem war es schwarz und formschön gestaltet, passte ohne hervorstehende Knöpfchen prima in jede Tasche, selbst in der Hose. Der Generationen lang klangvolle Name Junghans zierte sein Ziffernblatt und noch immer harrt er in einem Karton voller Elektroschrott der Entsorgung. Ein zweiter analogelektrischer Wecker steckt ebenfalls darin. Ein Name fehlt ihm. Dafür hatte er keinen Batteriebetrieb, sondern einen mit Solarzellen und Akku. Das fand ich schick und gönnte ihn mir trotz des vorhandenen Junghans’schen später auch noch. Dafür ging er schneller kaputt. – Tja, da stand ich also wie Sie, Herr Löcke, vor einem kleinen Weckproblem. Jedoch: Meiner Bank sei Dank besaß ich die Lösung in Form eines smarten Fons mit Weckfunktion, dem ich zwar eine unverzichtbare „Äpp“ hatte applizieren müssen, jedoch keine SIM-Karte. Schließlich telefoniere ich seit Jahr und Tag und eher selten über meine Prepaid-SIM-Card, die in einem uralten „Händy“ steckt, statt in dem smarten Fon, und (fast) keine unerwünschte Datensammlung betreibt. Dann der Akku des „Händys“ ist alt und schwach, da spare ich lieber Energie (hört, hört!) und schalte es die meiste Zeit gar nicht ein. Vielleicht finde ich irgendwann in einer Krimskramskiste aus dem Elternhaus noch eines jener Exemplare wieder, die man, ohne an Kinder oder zu denken oder das Necken anderer, noch „aufziehen“ konnte. Und die einen ohne gefährliche Weiter-„Sliep“-Funktion fast todsicher aus dem Bett beförderten. Weil sie einen ganz einfach geweckt hatten. Das aber laut!

  5. Kreisch, Lach, ha ha ha…. Health Care…. Mir hätte es vor 4 Jahren gereicht wenn mir irgendein Arzt gesagt hätte woran ich erkrankt bin. Da hilft auch kein Health Care auf dem Handy, genauso schön finde ich ja auch immer diese Typen bei Youtube (die dafür noch ein Haufen Kohle einheimsen wollen), die einem per Video irgendwelche Übungen die Du unbedingt machen mußt zeigen wollen gegen Gebühr,wenn Du dies oder jenes Problem hast. Naj ich bin wenns irgendwo klemmte zum Mediziner gegangen, aber selbst darauf kann man sich heute nicht mehr verlassen….. Außer bei der Genspritze vielleicht.

  6. Es gab Zeiten in denen man den nervig klingenden Wecker in einen Eimer Wasser geworfen hat. Das funktioniert garantiert auch ganz vorzüglich mit einem Smart-Phone.

  7. Sehr geehrter Löcke,

    wunderbar ihre kleine Tour zur digitalen Weckfunktion! Und auch an Herrn Langemann, danke für das Interview mit HG Maaßen!

    Ich freue mich auch immer ungemein, wenn ein “Gesundheitsapostel” vorgibt ganz genau zu wissen, welche von meinen vielen “Wehwehchen” er unbedingt behandelt wissen will, ohne die Krankheit oder den Patienten zu kennen und schert sich auch nicht darum, ob ich seine vermeintliche Krankheit überhaupt habe. Es wird Irgendetwas therapiert, basta! –

    Alle anderen Malais(s)e(n) bleiben unangetastet, wir haben halt alle eine Einheitserkrankung zu haben. Der Mensch angepasst an DIE einzige erlaubte Krankheit. Und die einzige erlaubte Gegenmaßnahme. Hurra, wir brauchen keine Ärzte mehr.

    Eine Gesundheitsvorsorge gegen eine einheitlich erlaubte Erkrankung, ganz ohne Beratung und individuelle Bedürfnisse oder körperliche Möglichkeiten. Wichtig, es wird gemessen! Das ist wissenschaftlich!

    Wie simpel doch das Leben sein kann.

  8. Vielleicht würde es einfach helfen, kein “Smartphone” zu besitzen. Mein “Seniorenhandy” (eigentlich auch ein diffamierender Begriff), ist einfach ein mobiles Telefon, nicht mehr und nicht weniger, das mich vor solchen geschilderten Verwerfungen bewahrt, weil es diese Funktionen einfach nicht hat.

    Vor Health-Care ist man ohnehin nicht gefeit, die Stadt ist zugepflastert mit Health-Care COVID-19 PCR und Bürger-Test-Stationen, egal, ob DRK, Malteser oder Samariter, Apotheken oder sonst etwas, Orthopäden bieten auf riesigen Bannern Covid-19 “Schutzimpfungen” an, …………

    Hilfe, ich bin kein Star, aber holt mich hier raus!!!

    1. guten Abend, lieber Herr Linsner,

      Ich musste beim lesen ihrer Zeilen schmunzeln, weil ich auch so ein Seniorenhandy habe.
      Damit kann ich telefonieren und simsen und die Zahlen gebe ich über den grosse Tasten ein.
      Ich liebe dieses einfache und simple kleine Gefàhrt.

      liebe Grüße
      Tilda

  9. Sehr geehrter Herr Löcke
    Danke für diese schönen Zeilen. Ich hatte gerade gelesen wie Gesund man sein muss um ein Krankenhaus betreten zu dürfen. Manchmal habe ich das Gefühl wir leben im Irrenhaus.

  10. “Schöne“ neue Welt.
    Und viele finden es ganz normal, fortschrittlich und “cool“ …..
    Bald wird so ein Sensor dann intern implantiert, (vorerst) freiwillig.

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