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…wenn man trotzdem lacht.

von Peter Löcke //

„Auch Behinderte haben ein Recht, verarscht zu werden.“

Die provokante Aussage stammt aus dem Mund von Herbert Feuerstein. Wer erinnert sich nicht an den im Oktober 2020 verstorbenen Kabarettisten und Journalisten? Feuerstein war langjähriger Chefredakteur des Satiremagazins MAD, den meisten Menschen bekannt als kongenialer Partner von TV-Legende Harald Schmidt. Bereits in entspannten Zeiten löste der viel zitierte Satz eine öffentliche Debatte über vermeintliche Grenzen des Humors aus. 

Die entspannten Zeiten sind vorbei. Political Correctness und Cancel Culture sind in aller Munde. Heute stellt sich nicht die Frage, ob ich einen Witz über Behinderte machen darf. Heute lautet die Frage, welches Wort ich statt „behindert“ benutzen sollte. Beeinträchtigte Menschen oder doch besser Menschen mit Handicap? Der Zugang zu modernen Veranstaltungen ist nicht mehr behindertengerecht. Es heißt selbstredend barrierefrei. Die Veranstaltungen selbst sind allerdings voller Barrieren. Darf eine Senioren-Tanztruppe Kimonos und Sombreros  auf der BUGA in Mannheim tragen? Der Fall bewegt zurzeit Deutschland. Wie viel Lack haben die Verantwortlichen gesoffen, um solch eine harmlose Kostümierung verbieten zu wollen? Werden nach Sombreros bald auch Nachos, Tortilla und Tequila verboten?

De gustibus non est disputandum. Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Also wird viel über Geschmack gestritten. Vor allem beim ernsten Geschmacksthema Humor ist ein wahrer Kulturstreit entbrannt. Was darf und muss Humor leisten und was verbietet sich? Was ist witzig und was nicht? Die Wahrheit liegt wie so oft im Auge des Betrachters. Die Wahrheit liegt im Ermessen und der Erwartungshaltung des Zuschauers. Der eine mag feuchten Karnevalshumor sowie eine musikalische Tätä-Untermalung als Aufforderung zum Klatschen und Lachen. Der andere mag trockenen englischen Humor. Schwarz und böse. Ich bevorzuge letzteres, doch wer bin ich, einem anderen Menschen zu erklären und vorzuschreiben, was er als lustig zu empfinden hat. Wirklich spannend wird es beim politischen Humor. Bei der Satire und beim Kabarett. Hier bin ich weniger nach- und vorsichtig.

Vorsicht bei Uwe Steimle und Lisa Fitz. Die galten zunächst als umstritten. Bei umstrittenen Menschen gilt es neuerdings demokratischen Abstand zu halten. Von solchen Personen muss man sich öffentlich-rechtlich distanzieren, d.h. in gegenseitigem Einverständnis die Arbeitsverhältnisse auflösen. Bei Steimle wurde eine AfD-Nähe vermutet. Die Altlinke Fitz war verdächtig des Corona-Querdenkertums. Momentan gelten Dieter Nuhr und Lisa Eckhart als umstritten. Der Ausgang in diesem Humorkrieg ist offen. Vor allem bei Eckhart schwant mir Böses. Eine Frau, die sich selbstbewusst als Frau kleidet, zeigt und fühlt? Eine Österreicherin mit Intellekt, die sich über Klimakleber und woke Auswüchse lustig macht? Höchst verdächtig für die vornehmlich linke Sprach- und Humorpolizei. Ein Dorn im Auge der Böhmermanns dieser Welt. Hier, so gestehe ich, werde ich selbst zum Polizisten, obwohl mir das zuwider ist.

Der selbsternannte Satiriker Jan Böhmermann, der staatliche Queerbeauftragte Sven Lehmann, der/die Journalistin Georgine Kellermann. Es amüsiert mich, dass so viele Kämpfer gegen das Patriarchat und gegen binäres Denken die Silbe „mann“ im Nachnamen tragen. Steht es mir zu, den siebenfachen Grimme-Preisträger Böhmermann zu kritisieren? Selbstverständlich. Ich kritisiere jeden Menschen, der Kinder als Ratten bezeichnet, Frauen als Scheißhaufen beschimpft und einen türkischen Präsidenten Ziegenficker nennt. Ich schäme mich dafür, solche verbalen Entgleisungen wörtlich zitieren zu müssen. Wo ist der feingeistige Humor eines Loriot geblieben? Wo ist der Mut, die Schlagfertigkeit und intelligente Schärfe eines Harald Schmidt geblieben? Jener Harald Schmidt, der voraussah, dass es ein Böhmermann als Krawallschachtel weit bringen würde.

Ein Komiker sollte ein Narr sein. Ein Hofnarr mit Narrenfreiheit. Anarchisch, verrückt und unbequem. Das Wichtigste jedoch: Der Narr sollte das Königshaus kritisieren und nicht das gemeine Volk. Das geschieht kaum noch.

Umso mehr habe ich mich gefreut, dass es auf dem diesjährigen Kongress der FAZ geschah. Geladen war das Who is Who aus Politik und Expertenprominenz. Olaf Scholz war da, um die Zeitenwende zu erklären. Der in Talkshows herumgereichte Militärexperte Carlo Masala war da, um über den Ukrainekrieg aus NATO-Perspektive zu referieren. Melnyk war da, um …? Nein. Das habe ich mir nicht angeschaut. Die Interviews wurden unkritisch bis unterwürfig geführt. So weit. So normal. So geplant. Nicht geplant war der Auftritt des Hofnarren Harald Schmidt als Pausenfüller, weil des Kanzlers Flieger Verspätung hatte. Genießen Sie den 15-minütigen Auftritt. Mein persönliches Highlight?

„Kaum ist man mal für Waffenlieferungen und Kriegseinsätze wird man in so eine grüne Ecke gedrängt.“

Die FAZ-Moderatorin Helene Bubrowski hatte ihre liebe Mühe, Harald Schmidt von der Bühne zu ziehen. Das Gesagte entsprach so gar nicht dem moralischen Grundtenor der sonstigen Protagonisten des Kongresses, der vor Belehrungen und politischen Alternativlosigkeiten nur so triefte.

Moral und Humor vertragen sich nicht. Der natürliche Feind des Humors ist Moralismus. Das war auch Feuersteins Motivation, der Grund für seinen provokanten Satz über Behinderte. Ich erinnere mich gut, wie sehr ein Bekannter von mir, der im Rollstuhl saß, über die Aussage lachte. Mein behinderter Freund hatte den gleichen Humor und die gleiche Einstellung wie Herbert Feuerstein.

„Mir sind Leute suspekt, die ihre Moral als Serviette umgebunden haben, um sich nicht selber schmutzig zu machen.“ 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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5 Antworten

  1. Wie man das opportunistische Medien-Chamäleon Nuhr und Lisa Eckart in einem Atemzuge nennen kann, erschließt sich mir nicht … ich intressiere mich für beide nicht sonderlich. Aber sollte der Opportunist Nuhr jetzt auch “umstritten ” sein, hat er doch wieder sein Ziel erreicht, öffentliches Interesse zu wecken. Armes Deutschland!

  2. Humor ist der offene Knopf der verhindert, dass einem der Kragen platzt ….
    Das Titelbild ist ja goldig – hat er ihr einen guten Witz über Affenpocken erzählt ? Der Senioren-Tanztruppe würde ich empfehlen den Auftritt abzusagen und an die Buga- Leitung den Vorschlag zu machen, sich jetzt Bundesgartenzwergschau zu nennen – oder findet die schon in Berlin statt?
    (im Regierungsviertel ? eines der Felder, wo politischer Humor immer genug Themen finden kann.) Steimle, Fitz : “umstritten” ? super, die beste Werbung – dann hört man ihnen gerade deswegen zu – und den vielen anderen, die Standvermögen hatten und haben wie Monika Gruber, Helmut Schleich, Reinhard Mey, Nena ,….. ~~Böhmermann ist nicht umstritten – jemand nannte ihn mal einen Mainstream-Callboy und das triffts ganz gut. Grimmepreisträger x 7 ? das sagt was aus über den Stellenwert desselben und andere Preis-träger (hat einer von denen ihn zurückgegeben ? )
    Humor ist, wenn man trotzdem lacht und Moral und Humor verhalten sich wie Natrium und Wasser. Was so die vergangenen Jahre stattfand – Prof.
    Bolz nannte es eine Pandemie der Angst ; und tatsächlich ging und geht da eine Seuche um die Welt : der Moralismus – der natürliche Feind des Humors, wie Herr Löcke so passend schreibt. Jedoch kann das klebrige, müffelndene Moral-Roundup nichts ausrichten gegen die stachlige, resistente Humorpflanze, die immer wieder durch Spalten, Ritzen und harmlose trockene Böden bricht, dass es schier zum Narrischwerden ist für die
    ganzen Zeit-Geistlichen und Tugendwächter. ***zur guten Nacht*** noch ein Gedicht von Joachim Ringelnatz :
    (etwas abgeändert_ er ist einverstanden…) mit Coronaviren Schlagzeilen verzieren,
    Affenpocken rocken,
    Gonokokken kieken,
    Morcheln horcheln,
    selbst Poren haben Ohren !

    .

  3. Wir erleben in unserer Gesellschaft ein nachhaltige Radikalisierung der Menschen, die mit dem Strom schwimmen. Scheinbar ein Widerspruch, aber die Ausgrenzung Andersdenkendender durch das, was Cancel Culture genannt wird, ist Fundamentalismus der Mehrheit. Diese Geisteshaltung hält den eigenen Irrtum für unmöglich. Das macht sie hochgefährlich. Die Ablehnung eines innergesellschaftlichen Dialoges ist zutiefst undemokratisch und menschenverachtend. Eine gesunde Entwicklung eines Gemeinwesens wird unmöglich – nicht nur im kulturellen und politischen Sinne. Die sich parallel entwickelnde Aufhebung von Marktmechanismen und Einschränkungen von Freiheitsrechten im Wirtschaftsleben führen zu einem unaufhaltsamen Wohlstandverlust für die breite Masse und begünstigen die, die Monopole voranbringen wollen. Harald Schmidt ist ein echter Lichtblick, wer weiß, vielleicht hat er sich damals aus guten Gründen zurückgezogen. Als Wei Wei vor einiger Zeit Berlin verlassen hat, dachte ich auch nur, er hat verstanden. Sicher hat er in China feine Antennen entwickeln müssen.

  4. Ich lach’ immer an der”falschen”Stelle.Als junger Erwachsener in lockerer Runde bei ZDF-Comedy”warum lacht ihr da, das ist überhaupt nicht lustig!?”.Schon als 12jähriger im Kinderkino, plötzlich klatschen alle und ich bin genervt, “das kriegt auf der Leinwand doch eh keiner mit!”.Heute verstehe ich das, die waren als Kinder schon”umerzogen”und ich war noch nicht einmal richtig”angezogen”.Eine Ahnung bekam ich durch eine Kurzgeschichte des Neurologen Oliver Sex:Authisten lachen das TV aus..”…weil alle lügen!”.Es ist die kindlich,natürlich befreiende Reaktion auf Widersinn,oder “kognitive Dissonanz”,werd ich nicht los.Ich war schon immer”schlauer”und zugleich”dümmer”als die anderen.Merkt erst keiner hehe…”sehr schlau”…bis ich dann an der falschen Stelle lache,oh oh…

    Kaum ist man mal gegen Waffenlieferungen und Kriegseinsätze sind die schon wieder dafür…

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