Kommentar von Peter Löcke //
Kann ich sprachlich abgrenzen ohne auszugrenzen? Kann ich mit Worten Unterschiede benennen ohne in Verdacht zu geraten, andere Menschen zu diskriminieren? Natürlich funktioniert das. Als sprachsensibler Mensch hätte ich die Eingangsfragen lange mit einem „selbstverständlich“ beantwortet. Langsam kommen mir Zweifel. Zunehmend fehlen mir die Worte.
Schlimmer noch. Die Worte werden mir genommen. Immer mehr Worte werden auf dem Scheiterhaufen der heiligen Sprachinquisition verbrannt. Vielleicht begleiten Sie mich auf meinem Weg der verzweifelten Suche nach Worten, die noch nicht auf dem Sprachindex stehen!
„Biodeutsch“ – der Favorit hat gewonnen [1]. Deutschland hat ein neues Unwort. Die Wahl des Unwortes 2024 fiel angesichts der politischen Ausrichtung des Gremiums, der Auswahl der beiden Gastjuroren Saba-Nur Cheema und Meron Mendel sowie der Erfahrungen der letzten zehn Jahre wenig überraschend aus. Die aus Elfenbeinturm-Linguisten bestehende Jury verteidigt seit einer Dekade die herrschende Politik und kritisiert stattdessen die Kritiker derselben für ihre Wortwahl. Das hat diese Plattform bereits im vergangenen Jahr festgestellt [2], als kurz nach der Veröffentlichung der Correctiv-„Recherche“ – welch zeitlicher Zufall – Remigration zum Unwort des Jahres 2023 gekürt wurde. Der Gastjuror damals hieß Ruprecht Polenz. Welch personeller Zufall, denn Ruprecht Polenz gilt als leidenschaftlicher Befürworter eines AfD-Verbots. Schon damals fehlten mir die Worte, warum sich eine Jury dennoch unabhängig und neutral nennen darf.
Biodeutsch? Ich nehme die Wahl des Unwortes achselzuckend zur Kenntnis, da ich den Begriff ohnehin nie verwende. Dennoch stelle ich die provokante Frage, welches Wort ich stattdessen für meine Herkunft verwenden darf? Ich bin wie meine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern in Deutschland geboren. Deutschland ist meine Heimat und die Heimat meiner Vorfahren, falls ich das Wort Heimat noch verwenden darf. Welches unverdächtige Wort, das kein rechtes Codewort darstellt, darf ich also für die Historie meiner Herkunft benutzen? Ich suche einfach nur nach einem Wort außer biodeutsch.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich halte mich weder für besser noch für schlechter als eine Person, die sich erst seit fünf, 25 Jahren oder in dritter Generation in Deutschland aufhält. Ich möchte nur die jeweiligen Herkunftsunterschiede benennen dürfen und frage mich wie?
Auch für meine Mitbürger mit anderer Lebensgeschichte suche ich nach Worten. Das veraltete Wort Gastarbeiter scheidet aus. Das verstehe ich. Das Wort suggeriert, dass hier Menschen nur zu Besuch sind und sie Deutschland nach verrichteter Arbeit wieder verlassen müssen. Also Ausländer oder Asylant? Diese Worte scheiden ebenso aus, weil sie sich anrüchig rechtsextrem anfühlen. Dann sage gefälligst „Menschen mit Migrationshintergrund“! Das würde ich gerne tun, aber auch diese Formulierung steht längst zur Sprachdiskussion [3]. Die Holzscheite wurden zusammengetragen, die Wortkreation Migrationshintergrund steht seit Januar 2021 zur Verbrennung bereit. Und nun? Ich suche dennoch nach einem Wort, um sprachlich zu unterscheiden. Es geht um Verstehen und verständlich machen. Es geht um sprachliche Abgrenzung und nicht um menschliche Ausgrenzung. Mir fehlen die Worte.
Unterschiede werden ausradiert, indem die Sprache planiert und nivelliert wird. Die deutsche Sprache wird platt- und gleichgemacht, weil es keine Unterschiede mehr geben darf. Alle sind gleich. Alle sollten zumindest gleich sein. Deutsch, Nicht-Deutsch, Neu-Deutsch? Hier darf nicht mehr sprachlich differenziert werden. Ich differenziere aber gerne.
Das Phänomen Gleichmacherei, das Verwischen jeglicher Unterschiede, zeigt sich besonders in den Schulen. Bloß keine Bewertung. Bloß keine sprachlichen oder anderweitigen Unterschiede.
Schulnoten? Immer wieder wird angedacht, keine Noten mehr zu verteilen [4]. Es könnte ja Kinder geben, die klüger sind als andere. Es könnte ja sein, dass sich deswegen die nicht ganz so Klugen diskriminiert fühlen. Bundesjugendspiele? Die mussten reformiert werden [5], damit es Urkunden für alle gibt. Es könnte ja Kinder geben, die schneller laufen und weiter springen. Das wiederum hätte zur Folge, dass die weniger sportlichen Schüler sich benachteiligt fühlen. Die Krönung des Irrsinns liegt im unsäglichen Selbstbestimmungsgesetz. Junge oder Mädchen? Auch hier gibt es keine Unterschiede mehr. Das kann sich das Kind per Sprechakt selbst aussuchen. Es wird eine ganze Generation von Jugendlichen herangezogen, die noch vor der Pubertät damit indoktriniert wird, dass sie ihr Geschlecht selbst bestimmen können.
Herkunft, Nationalität, biologisches Geschlecht, Fleiß, Talent, ein körperliches oder seelisches Handicap? All das muss gelöscht werden im Streben nach dem genormten, gleichen Menschen. Sei nicht das, was du bist und strebe nach Höherem! Sei einfach das, was du gerne wärst und ignoriere die Grenzen der Wirklichkeit! Wir sind alle gleich und zur Not radieren wir alles an Worten aus, das einen Unterschied erkennen lässt. Mir fehlen diese Unterschiede. Ich suche nach einem Wort für diese menschliche Tragödie. Mir fehlen die Worte, denn das Phänomen hat etwas schrecklich Absurdes und Ironisches.
Während all das vor unseren Augen passiert, während alles zu einem grauen Einheitsbrei verschwimmt, während Begriffe auf dem Scheiterhaufen von Cancel Culture landen, schmücken sich die dafür Verantwortlichen mit bunten Regenbögen und Begriffen wie Diversität und Vielfalt. Welch Ironie der Zeitgeschichte!
Doch zurück zur Wahl zum Unwort des Jahres. Die aus ausgewiesenen Experten bestehende, unabhängige Unwort-Jury wird mir vehement widersprechen. Sie wird sich empört davon distanzieren, eine Inquisition zu sein. Die Sprachwissenschaftler werden Wert darauf legen, die deutsche Sprache deswegen zu untersuchen, um sprachlich zu sensibilisieren. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Elfenbeintürme Fenster besitzen und dieser Kommentar gelesen wird, möchte ich den Experten zwei Dinge auf den Weg geben.
Biodeutsch? Das Unwort des Jahres 2024 wurde im gesamten Jahr 2024 überhaupt nicht diskutiert (siehe Grafik). Kaum ein Mensch oder Medium hat das böse Wort verwendet. Ebenso wenig war das Unwort des Jahres 2023 Remigration im Jahr 2023 in der gesellschaftlichen Diskussion. Es wurde erst populär durch die Kombination von Correctiv-Fantasy und der Wahl der Unwort-Jury. Man könnte ja fast auf den Gedanken kommen, dass hier künstlich Probleme erschaffen werden.
Grafik: Screenshot Google Trends 13.1.2025
Handelt es sich bei den Linguisten um Experten, die lediglich Sprachphänomene untersuchen oder, das ist meine These, um Inquisitoren? Nun. Inquisition heißt übersetzt Untersuchung. Die Inquisition war der Expertenrat des Mittelalters, der lediglich Phänomene untersuchte und anschließend verbrannte. Erst Worte, dann Menschen.
Da fehlen mir glatt die Worte. Mir fehlen die Worte, um mich davon sprachlich abzugrenzen.
10 Antworten
Wenn Worte fehlen, umgedeutet oder zu Unworten werden.
Auch in der dtsch. Hochsprache lassen sich Feinheiten nicht so leicht formulieren wie es Dialekte können; es fehlen die passenden Worte. Beispiele:
Er trinkt Wein. – “Er tut sei´ Schnutsche tunke…”
Morgen wird es regenen. – “Es werd reschne odder net…”
Er soll sich hinsetzen. – “Er soll sich noa(n)hocke…”
Die Ansässigen, die schon lange am Ort wohnen, sind für mich Einheimische. Dann gibt es noch die Zugezogenen; das kann von weither oder nur von einigen Straßen weiter sein – für die Ansässigen spielt das keine Rolle; sie müssen die Neuen erst einmal kennen und schätzen lernen.
Die Neuen haben eine andere Sprache oder andere Aussprache oder benutzen andere Worte, daran sind sie erkennbar. Oder sie pflegen andere Gebräuche, tragen andere Kleidung; sie sind anders und können diese neue Art in die Gemeinschaft mit einbringen.
So kommt man als Einheimischer dann dazu z.B. ein Kopftuch zu tragen, mit Stäbchen zu essen, einen Sarong zu wickeln oder “Stille Nacht, heilige Nacht” auf indonesisch zu singen. Im Gegenzug erklären wir unsere Gebräuche und auch wie wir genau unsere heimische Aussprache mit Lippen und Zunge formen. Ein voneinander Lernen.
Wenn ein Herr Müller und Herr Fischer aus Sibirien zu uns einreisen, dann sind sie deutschstämmig.
So wie hier noch unübliche Worte eingedeutscht werden wie “Handy”, so können aus meiner Sicht auch Menschen mit anderen Wurzeln eingedeutscht werden. Man kommt sich näher und Lachen ist dabei ein guter Türöffner.
Uniformen machen äußerlich gleich, obwohl die Inhalte doch ganz individuell sind.
Ungewöhnlich wird es, wenn es ein Medikament für ALLE geben soll, ungeachtet der individuellen Bedürfnisse. – Menschen mit diesem Ansinnen wollten aber noch nie eine Chemotherapie oder ein Teerbad aus Solidarität zu anderen mitmachen.
Sehr geehrter Herr Löcke,
Das ist auf den Punkt gebracht.
Mir fehlen ebenfalls die Worte für diesen Unsinn, der politisch wohl gewollt, aber derart irrelevant ist, daß ich nicht weiß, ob ich schreien oder es achselzuckend ignorieren soll.
Wer bitteschön unserer Mitmenschen interessiert sich für diese “linguistischen” Fehlleistungen?
Und welche sind die wirklichen Probleme und Themen unserer Zeit, die offen angesprochen und divers und kontrovers diskutiert werden sollten und müssen!
Sehr gut diagnostziert, danke für den Beitrag. Zu einem Punkt gern dies, lieber Peter Löcke (musste mich vergewissern, dass ich nicht etwa das “L” mit einem “H” verwechselte, aus Versehen): dass Sie “verwirrt” sind, nicht mehr spontan reden können, es könnte ja das “falsche” rausgeflutscht sein, das scheint mir eben genau die Absicht der Inquisatorinnen: Verunsicherung! Was “darf” ich überhaupt (noch)? Genau wie bei den Corona-“Massnahmen”: wie viele Gäste sind “erlaubt”; welcher Abstand gilt; Maske wo, wann? Jede Natürlichkeit, Spontaneität, Gewissheit getötet. Ständig ein ängstliches Schauen über die Schulter … das ist das Prinzip des Terrors.
Guter Kommentar, danke!
Dazu passt auch das Nietzsche zugeschriebene Zitat: “Jede Erkenntnis ist ein Identifizieren des Nichtgleichen.
Klaus G. Singer
Sie bringen es wieder einmal präzise auf den Punkt. Es ist beeindruckend, wie man (oder besser gesagt: die heutigen Inquisitoren) immer wieder Probleme schafft, wo eigentlich keine sind – zumindest nicht in einem Ausmaß, das zu diesem Aktionismus zwingen würde. Doch das ist ja kein neues Phänomen.
Interessanterweise stimmt mich diese Entwicklung optimistisch. Der zunehmende Irrsinn macht das ganze Spiel immer offensichtlicher, und das hilft mehr und mehr Menschen, ‘wach’ zu werden. Sie beginnen zu sehen, was wirklich passiert, und hinterfragen den Einheitsbrei der zwangsfinanzierten Medien. In meinen Augen graben sich die Protagonisten dieses Systems damit selbst ihr Grab.
Es ist fast so, als ob diese absurden Aktionen notwendig wären, um eine kritische Masse zu erreichen, die schließlich den Wandel einleitet. Und ja, ich verstehe, dass es aus der Perspektive derjenigen, die längst aufgewacht sind, viel schneller gehen könnte – aber wie sagt man so schön: Gut Ding will Weile haben.
Vielen Dank für Ihre unermüdliche, professionelle Arbeit. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Diese vorgebliche oder geheuchelte Besorgnis von wegen “nur ja keine Minderheit ausgrenzen”, beißt sich gravierend mit folgender Tatsache:
Die selben Protagonisten können sich kaum bremsen, im Bemühen die – durch demokratische Wahlen legitimierte Opposition – AfD sowie Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten mittels Brandmauerei auszugrenzen, sie mit unsachlich-unwahren Labeln als “Rassisten” oder “Nazis” zu verunglimpfen etc. pp.
Sogar gesetzeswidriges “Verhindern eines Parteitages” kommt für die angebliche Besorgnis Heuchelnden in Betracht.
Diese Beschreibung von Peter Löcke ist absolut zutreffend, und seine Fragen sind berechtigt. Doch wie kommen wir wieder zu ordentlichen Verhältnissen in unserer Sprache? Es wird wohl nicht abgetrennt von der Lösung des noch gewaltigeren Problems des Kulturkommunismus geschehen. Der muss meines Erachtens beseitigt werden. Erst dann kann sich unsere deutsche Sprache regenerieren. Bezüglich des Lösungszeitpunkts bin ich aufgrund der seit Jahrzehnten in der BRD produzierten bildungsmäßigen Misere und den damit zusammenhängenden Mehrheitsverhältnisse äußerst skeptisch, daß noch zu meinen Lebzeiten Besserung eintritt.
Man muss sich nur einmal klarmachen, dass die Unwort-Jury das Unwort als eine “rassistische, biologistische Form von Nationalität” bezeichnet [1]. Wir hatten schon vergangene schwarze Zeiten, in den von den Machthabern die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft eine Rasse markiert wurde.
Werner Ullrich
Quelle [1]: https://www.unwortdesjahres.net/presse/aktuelle-pressemitteilung/
Lieber Herr Löcke, ich liebe, wie Sie, die deutsche Sprache, die deutsche Kultur. Ich sage nach wie vor Ausländer und wenn sich ein entsprechender Mensch angegriffen fühlt, rede ich mit ihm, frage, was ihn oder sie stört. 99% der von mir geführten Gespräche verliefen positiv.
Eine Bitte an Sie, Liebhaber deutscher Sprache: das (Un-)Wort “angedacht” vermeiden; es wird im allgemeinen von diesen Pseudo-Intellektuellen genutzt und klingt in meinen Ohren affig.
Ansonsten Teile ich Ihre Ausführungen.
Mit freundlichem Gruß
Astrid Poensgen-Heinrich
Chapeau! Brilliant wie immer und aus dem Herzen gesprochen wie meistens. Da würde ich jetzt schon mal den Bademantel bereit legen ob der Verwendung potenziell delegitimierenden Gedankenguts. Tipp: sie kommen immer morgens zwischen 6 und 7. Am besten vorher die Tiere füttern und auch selbst frühstücken. Sie nehmen ALLES mit…
Auch mir fehlen die Worte, um in solche zu fassen zu können, wie sehr, werter Herr Löcke, Sie mir aus der Seele sprechen.
Das Fehlen der Worte gründet, so vermute ich, zumindest in meinem Falle in dem Umstand, daß ich erst in diesen Tagen, und damit recht spät, damit beginne, mir ein tieferes Verständnis für die Ursachenzusammenhänge der von Ihnen skizzierten Um- und Zustände zu erarbeiten.
Im Vordergrund quälen mich schon langer Fragen, die sich u. a. darum drehen, begreifen zu wollen, wie es möglich sein kann, daß es im Land der Dichter und Denker keine Instanz gibt, die darüber wacht, daß eine so herausragend detail- und variantenreiche Sprache wie das “Deutsch” als kostbares Kulturgut unbeschadet diese (und jede andere) Gegenwart überlebt.