von Peter Löcke //
Attentate und Anschläge, Messerattacken und Morde, Krisen und Kriegsgeilheit. Bewegt man sich in den sozialen Medien, scheint fast jeden Tag eine neue, noch schlimmere Hiobsbotschaft Deutschlands Nachrichtenwelt zu erreichen. Was anschließend passiert, ist weitaus sicherer als das vielzitierte Amen in der Regenbogen-Kirche. Jeder Tragödie folgt eine nicht enden wollende emotionale Achterbahnfahrt aus Anteilnahme und Wut. Das Verbindende bei aller Unterschiedlichkeit der Katastrophen? Es geht immer um drei Dinge. Es geht um Opfer, Täter und Tatmotiv sowie um die Gretchenfrage „Soll man das Kind beim Namen nennen?“. Der Reihe nach.
Der Skandal um die singenden Sylt-Schnösel hat sich vor gefühlten Lichtjahren ereignet. Die Täter wurden benannt, ihre Gesichter gezeigt, weil es sich laut öffentlich-rechtlicher Lesart um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelte. Das Motiv stand außer Frage. Es handelte sich um Nazis, die ihr rechtsradikales Gedankengut in die Welt grölten. Das Opfer war nicht weniger als die Demokratie, die auf der Kippe stand.
Opfer war auch Roderich Kiesewetter. Der CDU-Politiker soll am 1. Juni auf einer Wahlkampfveranstaltung in Aalen angegangen, er soll geschubst worden sein. Angeblich, anscheinend und wohl, denn Bildmaterial gibt es seltsamerweise nicht, obwohl doch sonst jeder Hinz und Kunz sein Smartphone bei einem solchen Event zuckt. Der vermeintliche Täter stellt den Sachverhalt anders dar. Allerdings soll der Täter aus der Querdenker-Partei „DieBasis“ kommen. Was man von diesen links-rechten Demokratiefeinden zu halten hat, ist allgemein bekannt. Motiv klar, Fall gelöst. Die überparteiliche Anteilnahme war dem Kriegs-Hardliner Kiesewetter gewiss.
Natürlich gibt es auch Fälle mit unklarem politischem Motiv wie dem Messer-Mord am Polizisten Rouven Laur, begangen durch den 25-Jährigen Afghanen Sulaiman A. Sulaiman war zunächst nur „mutmaßlich“ der Täter, obwohl Video-Aufnahmen den Mord dokumentierten. Im Gegensatz zum Polizisten wurde dem eigentlichen Ziel des Anschlags Michael Stürzenberger wenig Anteilnahme entgegengebracht. Der lebt ja noch, wenn auch schwer gezeichnet. Außerdem war Stürzenberger ein Islamhasser. Auch hier vermeintlich und angeblich. Wenn man zu den Quellen geht, differenziert Stürzenberger sehr wohl zwischen friedlichen Muslimen und radikalem Islamismus. Wie dem auch sei. Der Bundestag zelebrierte seine Betroffenheit in einer kleinen Gedenkfeier inklusive Trauerminute und bedankte sich für Rouvens Einsatz für Demokratie und Freiheit. Ein selbstkritisches Wort, ob die Politik des letzten Jahrzehnts eine moralische Mitverantwortung am Tod von Rouven Laur trägt, habe ich nicht vernommen.
Gedenk- und Trauerfeiern sind wichtig. Zumindest wenn die Gewalt aus dem rechtsextremen Spektrum kommt. Hashtag saytheirnames! Hier müssen Namen genannt und Mahnmale errichtet werden. Am 29. Mai 1993 gab es einen rassistisch motivierten Brandanschlag in Solingen. Daran wird Jahr für Jahr gedacht, auch in der letzten Woche. Die Namen der fünf türkischen Opfer werden noch 31 Jahre später genannt. Auch dem Mord an Walter Lübcke, begangen am 1. Juni 2019, wurde eine große politmediale Bühne geboten. Verstehen Sie mich nicht falsch. Das halte ich für richtig. Nur könnte ich etliche Morde und Anschläge aus dem linksextremen und islamistischen Milieu aus den letzten Jahrzehnten aufzählen. Hier gibt es keine Gedenkfeiern, keine Mahnmale, keine Namen. Das halte ich für falsch.
Apropos Namen. Heinrich Koch. Es dauerte ein wenig, bis der Name des AfD-Politikers vermeldet wurde, der mit einem Teppichmesser angegriffen und verletzt wurde, als er einen jungen Mann davon abhalten wollte, AfD-Plakate zu entfernen. Im Gegensatz zu den Sylter Schnöseln hatte dieser Täter kein Motiv, geschweige denn ein linksextremes. Er war einfach nur psychisch gestört. Das haben die Polizisten mit ihrer medizinischen Fach-Expertise direkt nach der Tat auf dem Polizeipräsidium festgestellt. Beim 25 jährigen Tatverdächtigen ergaben sich deutliche Hinweise auf eine psychische Erkrankung. So stand es in der Pressemitteilung der Polizei. Also wurde der Täter umgehend in eine Psychiatrie verfrachtet.
Bestimmt habe ich den einen oder anderen Anschlag oder auch eine weitere Eskalation des Kriegs verpasst. Diese Kolumne ist aus der Erinnerung geschrieben und mittelmäßig recherchiert. Ich musste mich die letzen 24 Stunden aus der unwirklichen Wirklichkeit verabschieden. Mein emotionales Fass ist nur begrenzt aufnahmefähig und drohte überzulaufen. Wie gehen Sie mit all diesem Irrsinn um? Ich habe in meine Filmkiste gegriffen. Da weiß ich wenigstens, dass alles nur Fiktion ist. Meine Wahl fiel intuitiv auf den Italo-Western „Spiel mir das Lied vom Tod“, ein Klassiker mit Überlänge.
Charles Bronson als furztrockener Kämpfer für Gerechtigkeit auf einem Rachefeldzug. Obwohl der Film knapp drei Stunden dauert, spricht Bronson kaum einen Satz. Das würde ich so manch einem Politiker empfehlen, der in ewig gleichen Textbausteinen seine heuchelnde Betroffenheit zum Ausdruck bringt. Bronsons Gegenspieler, der von Henry Fonda gespielte Mörder seiner Eltern, hieß Frank. Welchen Namen trug Bronson im Film? Hashtag sayhisname! Er hatte keinen Namen, sieht man von Mundharmonika-Mann ab. Die Hauptrolle des Films war ein „Ein-Mann“. Er war nicht greifbar. Wie sollten seine Gegner auf seine Motive schließen, wenn sie dem Kind noch nicht mal einen Namen geben können?
Und nun suche ich nach dem Film „Spiel mir das Lied vom Leben“. Der Film findet in der Wirklichkeit statt. Ich bin für jeden Tipp dankbar.
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2 Antworten
Meines Erachtens kommen Erkenntnisse der Bevölkerungszunahme darin nicht vor ?
Bin Jahrgang 1949, da lebten nachweislich 2,5 Milliarden Menschen auf der Erde; in meiner Lebenszeit eine Verdreifachung, nun sind es 8 Milliarden !
*!* Möchte doch unbedingt in journalistische Recherchen mit aufgenommen werden, warum ?
Seit der Sesshaftwerdung haben Menschen zunehmend die Güter der Erde und auch sich selbst objektiviert und mit Besitzansprüchen quantifiziert. Waren die Verteilungsrivalitäten in den sich entwickelnden pekuniären Regelsystemen anfangs noch moderat, es gab nur wenige Menschen und die Erde hatte noch viel Platz.
*!* Doch nun sind es 8 Milliarden Menschen. Egoistische Polarisierungen sind doch überall spürbar !
!!! Selbstverständlich möchte sich aufgeklärtes Verständnis via Selbstliebe, unvoreingenommen Annehmen des Mitmenschen, sofern dieser auch wirklich gemocht wird, etablieren, doch bleibt es bei Versuchen, auch warum ?
*!* Die Über-Menge Unsereins, ausgestattet mit teils mittelalterlichen Denkstrukturen, wird solch altruistisches Unterfangen nicht unbedingt zulassen, nun wieder warum ?
### Überleben von wirtschaftlichen Bedingungen abhängt, werden diese nicht mehr erfüllt, findet Um- bzw. Aussortierung statt. Letztendlich geht’s derzeit nur um Macht und Geld und die bestimmenden Akteure werden sich auch lebensfreundliche Strömungen pekuniär einverleiben, weil kognitive Bedingungen es nun mal so vorgeben !
??? Wie soll sich liebevolles Miteinander denn entfalten, wenn dieses im Korsett von Umständen gefangen ist, welche es nicht beeinflussen kann ? Bliebe dann nur ein sich ‘Selbst-Heraus-Nehmen’ und jetzt wird’s schwierig !
*! * Als aufgeklärte Persönlichkeit mit Würde zu leben => bei dieser Menge funktioniert nur in und mit materieller Freiheit oder einer wohlwollenden Alimentierung.
Ja, es ist sehr weit hergeholt: Alternativ bliebe ein, *sich fragen, will ich das ?*, sich nicht unbedingt mit Abhängigkeiten motivieren zu lassen, also kein Bedürftiger mehr zu sein, dann gegebenenfalls nach Iris von Roten: «Wie ein Gast wissen muss, wann es Zeit ist zu gehen, so sollte man sich auch rechtzeitig vom Tisch des Lebens erheben» Sich nicht weiter den kommenden Dezimierungs-Dramen aussetzen, im Wissen, dass Alles mit Allem verbunden, das persönliches Leben im Orchester der Unendlichkeit aufgelöst wird.
Wir sollten den ägyptischen Großmufti, als höchste dortige Autorität in Sachen Rechtsgutachten, Fatwa genannt, fragen, ob diese Angriffe mit muslimischen Recht vereinbar sind. Ich denke, ganz bestimmt nicht. Das ganze Kriegsgeschrei vom heiligen Krieg hat mit dem offiziellen Islam gar nichts zu tun. In Ägypten werden neue koptische Kirchen gebaut und die christliche Minderheit ist geschützt. Davon redet hier niemand, aber für ein gegenseitiges Verständnis zwischen Westlern und Muslimen wäre es schon gut, wüßten mehr Menschen davon. Der Attentäter soll ein junger Familienvater mit zwei kleinen Kindern sein, denen er nun kein Vater mehr sein kann. Er läßt seine Frau im Stich und verschwindet auf unabsehbare Zeit im Gefängnis. Das war es ihm wert. Was für ein unglaublicher Hass treibt solche Menschen, wie viele von denen leben unter uns? Dieser entgrenzte Hass, dem wir uns ausgesetzt sehen, hat Ursachen, ganz aktuell, unser ohnmächtiges Zusehen in Gaza trotz der eindeutigen, durch den Internationalen Strafgerichtshof festgestellten, rechtlichem Bewertung. Diese führte zu Haftbefehlen gegen einige Hamas Führer und gegen den israelischen Regierungschef. Es gibt über Jahrzehnte eine lange Reihe von Taten unserer Bündnispartner, die uns als Westler immer verhaßter werden ließen. Der deutsche Sündenfall war spätestens die Verteidigung der Demokratie am Hindukusch – komplett ohne Rechtsgrundlage und komplett Sinn frei sind dort deutsche Soldaten gestorben. Die von vielen gut meinenden Menschen akzeptierte ungeregelte Zuwanderung ist vermutlich keine Lösung, selbst der Status quo birgt die Aussicht auf radikale Verwerfungen, die nicht zuletzt durch die demographische Entwicklung entstehen werden. Die Gefahr, dass es zu bürgerkriegsähnliches Zuständen kommt, wird in ein bis zwei Jahrzehnten für jeden offensichtlich werden. Langfristiges Denken ist nicht die Stärke von Westlern, unsere Politik denkt nur in Wahlperioden und Umfragen, das ist in der muslimischen Welt, genauso wie in China, anders, ich bin mir sicher, da können wir von ihnen lernen.