Staatsversagen

Kommentar von Peter Löcke//

 

Zwei statt drei Tote, Park statt Marktplatz, Aschaffenburg statt Solingen. Für einen kurzen Moment überfiel mich ein zynischer Gedanke. Nimm die Kolumne aus dem August 2024 [1] und tausche ein paar Worte! Der Text würde funktionieren. So zynisch bin ich natürlich nicht. Dennoch erwartet Sie kein aufwühlender Text über das Ereignis, das gerade ganz Deutschland bewegt. Es würde mich schlichtweg emotional überfordern.

Ich wähle einen anderen Ansatz und wage – so schwer es fällt und falls das möglich ist – einen nüchternen Blick, der über die schreckliche Tat hinausgeht. Vielleicht ist das in einem Moment der überkochenden Gefühle gesund. Mich beschäftigt ein einziger Begriff. Es ist das Wort Staatsversagen. 

Staatsversagen! Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach nach der Tragödie von Aschaffenburg von einem „veritablen Staatsversagen in Deutschland“ [2]. Lindner hat Recht. 

Auch Friedrich Merz hat Recht. Der Kanzler in spe drückte sich ähnlich aus, beklagte in seiner ersten Reaktion den „Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik“ [3]. Das Maß, so Merz, sei endgültig voll. Das Maß ist wieder einmal endgültig voll, möchte ich ergänzen.

Was Lindner nicht erwähnte, war der eigene Anteil als Teil des Staates. Unerwähnt blieb die Tatsache, dass die FDP bis vor kurzem in Regierungsverantwortung stand und mit Marco Buschmann den deutschen Justizminister stellte. Auch Merz litt unter Gedächtnislücken. Bei seiner berechtigten Rückschau auf das Jahr 2015 unterschlug er den Namen Angela Merkel. Meinen Recherchen zufolge hieß die Kanzlerin vor zehn Jahren Angela Merkel. Selbst Faktenerfinder werden nicht bestreiten, dass Mutti das Parteibuch der CDU besaß und die CDU somit hauptverantwortlich für den von Merz beklagten Scherbenhaufen ist.

Was tun hier also Merz und Lindner? Sie beklagen ihr eigenes Versagen. Sie heben empört den moralischen Zeigefinger. Sie legen den Finger in die klaffende Wunde. Nur verschweigen sie dabei, dass der blutverschmierte Finger auch auf sie selbst zeigt. Lindner & Merz als Scherbengericht im Scherbenhaufen Staat. 

Auf Mannheim folgte Solingen. Auf Solingen folgte Magdeburg. Auf Magdeburg folgte Aschaffenburg. Die Einschläge der Anschläge werden kürzer und wieder trauert ein ganzes Land. Vier Städte, die für vier Tragödien stehen. Vier Orte, die sich in das kollektive deutsche Trauergedächtnis einbrennen werden. Es sind außerdem vier Orte, die das veritable Staatsversagen symbolisieren. 

Und doch stellen diese Orte nur die Spitze des Eisbergs dar. Der Eisberg der Titanic heißt Staatsversagen. Statt die letzte Eisbergspitze „Tragödie von Aschaffenberg“ zum Thema zu machen, wage ich den Versuch, den gesamten Eisberg zu betrachten. Um zu ergründen, ob, wo und warum der Staat versagt, sei die naive Frage erlaubt, worin überhaupt die Kernaufgaben des Staates bestehen. Versagt der Staat bei seinen Kernaufgaben, handelt es sich um veritables Staatsversagen. Die Gretchenfrage lautet: 

Was muss ein Staat grundsätzlich für seine Bürger leisten? 

Ich verzichte auf Wikipedia-Erklärungen und Schulbuchwissen und bemühe das, was man in früheren Zeiten gesunden Menschenverstand nannte. Spontan kommen mir vier Dinge in den Sinn. Hier besteht eine grundlegende staatliche Sorgfaltspflicht, unabhängig davon, ob sich eine Regierung links oder rechts verortet.

1.) Der Staat sorgt für die öffentliche Ordnung
Dafür zahlt man schließlich Steuern, oder nicht? Öffentliche Parks, Marktplätze, Freibäder, Fußgängerzonen und Verkehrsmittel sollten Orte sein, in welchen man sich als Bürger frei und sicher bewegen kann. Ist dem noch so? Nein. Hier versagt der Staat und endlich wird dieses Versagen laut ausgesprochen. Es handelt sich um ein veritables Staatsversagen. 

2.) Der Staat sorgt für eine funktionierende Infrastruktur
Dafür zahlt man schließlich Steuern, oder nicht? Nur in der Theorie. Züge fahren oder auch nicht. Brücken sind baufällig oder stürzen ein. Straßen verrotten, werden nicht mehr saniert. In Deutschland bröckelt im wahrsten Sinne des Wortes der Putz von öffentlichen Wänden. Auch bei diesem Punkt handelt es sich um veritables Staatsversagen. 

3.) Der Staat sorgt für eine sichere wie günstige Energie
Dafür zahlt man schließlich … lassen wir das. Auch das sollte der Staat tun, es sei denn Ideologie frisst Hirn! Lieber teure und wertegeleitete Energie als preiswerte und politisch inkorrekte. Der Anschlag auf Nord Stream, auf die Hauptschlagader der deutschen Energieversorgung, wurde vom deutschen Staat nur achselzuckend zur Kenntnis genommen. Ein Aufklärungswille war niemals vorhanden. On top wurde die Legende des bösen Russen gesponnen, der dem Deutschen den Gashahn abgedreht habe. On top wurden die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet, dabei Blackouts in Kauf genommen. In der Summe handelt es sich um ein veritables Staatsversagen und zwar mindestens.

4.) Der Staat sorgt für einen soliden Haushalt
Apropos Steuern! Um nicht zu versagen, um seine obigen Kernaufgaben zu erfüllen, braucht der Staat das Geld des Bürgers. Er braucht Steuereinnahmen. Das waren 916 Milliarden Euro im Jahr 2023 [4], geschätzte 1000 Milliarden Euro im Jahr 2024! Der deutsche Staat hat kein Einnahmeproblem. Er hat ein Ausgabeproblem, wie er das Geld verwendet. In der Theorie schaut sich jede neue Regierung zu Beginn der Legislatur die Einnahmen an, setzt Prioritäten, stellt einen soliden wie legalen Haushalt auf. Die Praxis der letzten Jahre ist bekannt. Sondervermögen und andere Tricks, verfassungswidrige Nachtragshaushalte sowie das Verpulvern von Geld in Ideologie- und Weltenrettungsprojekte. Es handelt sich um ein veritables Staatsversagen. Zumindest in Teilen nachweislich illegal.

Staatsversagen und Scherbenhaufen! Vier staatliche Kernaufgaben, viermal veritables Staatsversagen. Doch ich möchte mich nicht beschweren. Bei Christian Lindner und Friedrich Merz, die dieses Versagen ansprachen, möchte ich mich bedanken und sie gleichzeitig begrüßen. Willkommen im Club der klaren Worte! Willkommen im Club der Verfassungsfeinde! Bei den Parteivorsitzenden der CDU und der FDP handelt es sich nun offiziell um verfassungsschutzrelevante Delegitimierer des Staates. Das zumindest wurde in den vergangenen Jahren kritischen Bürgern unterstellt, die genau das taten, was nun Merz und Lindner tun. Sie glauben mir nicht? Siehe bayerischer Verfassungsschutzbericht von 2021, Seite 262 [5]. Und das ist nur ein Beispiel.

 

 

„Mutmaßlich ging es Hilz (…) darum, die staatliche Handlungsfähigkeit öffentlichkeitswirksam in Zweifel zu ziehen. Auf diese Weise versuchten Hilz und weitere Teile der Szene den Staat als unfähig und bürgerfern darzustellen und letztendlich so zu delegitimieren.“

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7 Antworten

  1. Die zentrale Frage ist doch, wie lange wird die Bevölkerung noch still halten? Ich meine damit nicht die ungestört frei drehende Antifa mit ihren Schirmdamen und -herren. Nein, ich meine den anderen Mob, den es in jeder Gesellschaft gibt und der irgendwann nach dem übernächsten Attentat, junge, Kopftuch tragende Mädchen im öffentlichen Nahverkehr attackiert. Was wird die Reaktion darauf sein? Kann unsere zutiefst verunsicherte Polizei im notwendigen Maß gegenhalten? Ich weiß es nicht. Die Corona Jahre haben gezeigt, dass alte Gewißheiten nicht mehr uneingeschränkt gelten. Insbesondere die Rechtskultur hat stark gelitten, die Wahrheitssuche ist in einigen Gesellschaftsbereichen fast schon geächtet- man denke nur an Kampfbegriffe wie „Putinversteher“. Wie soll ich einen Gegner, der Putin nun einmal ist, wirksam begegnen können, wenn ich ihn nicht verstehen will? In einer Rückkehr zum gesunden Menschenverstand und einem Willen zur Wahrheit und zur Gesetzestreue sehe ich die Voraussetzung für eine Besserung im Kleinen wie im Großen.

  2. Sehr geehrter Herr Löcke,
    ich mage meistens Ihre Kolummne, vor allen Dingen liebe ich Sprache. Meiner Meinung nach fehlen diesmal wesentliche Punkte, die ich als oberste Priorität sehen würde. Ich würde gar das Thema Sicherheit ganz anders bewerten, denn hier lassen wir uns in eine Sackgasse treiben und von den dahinterliegenden Ursachen ablenken. Oberste Priorität hat für mich Bildung, nur so können wir wirtschaftlich und demokratisch auf die Beine kommen. Hierzu gehört es den Geist zu schulen, Fragen zu stellen und eine gesunde Skepsis zu haben vor allen Dingen dann, wenn alles so eindeutg scheint. Dies gilt auch in der Migrationsdebatte. Bildung, Informiertsein und Mitgestaltenkönnen, lässt rechte Kräfte schwinden.
    Damit wir Bürger überhaupt mitgestalten können, müssen wir aber die Chance haben, uns eine eigene Meinung zu bilden. Dies ist durch die mediale Berichterstattung (Aufmachung und NICHT-Inhalt) aber auch in Unternehmen durch Buzzwords und dem Effizinezhype, der die Effektivität vergessen hat, nahezu unmöglich geworden bzw. verlangt zu viel Zeit. Für Bildung von der Kita bis zur Uni und eine rechtzeitige, qualitativ hochwertige Informationsbereitstellung statt Meinung nehme ich gern ein Schlagloch mehr und einen Polizisten weniger in Kauf. Den ÖRR würde ich dazu verpflichten, rechtzeitig kontuniuierlich über anstehende Gesetzgebungen, Inhalt, Zielsetzung und Interessengruppen zu berichten, Beteiligungsoptionen auf D/EU Ebene statt jedes Unwetter.

    zum Thema “Volksgesundheit” und bezahlbares Gesundheitssystem: Hier läuft die Diskussion seit Jahrzehnten an den eigentlichen Hürden vorbei. Wir kennen unseren Bedarf nicht und die Zukunftsprojektionen orientieren eher an den Forschungsschwerpunkten der Industrie, denn an Gesundheit der Bevölkerung. Nur durch intelligente Datennutzung und neue konzeptionelle Ansätze wie Gesunheit individuell erhalten oder wiederhergestellt werden kann, kommen wir weiter. Nur leider ist die nun nach 25 Jahren kommende ePA= elektronische Pstientenakte eine Todgeburt und wird überwiegend (Sicherheits) Kosten generieren und voraussichtlich nicht die Datenqualität haben, die wir bräuchten.

    Migration: wir sollten uns fragen, ob alles so ist, wie es scheint? Wurden in der Geschichte nicht schon früher Menschen missbraucht (bezahlt, erpresst,…), um Ängste zu schüren, um Attentate zu begehen? Die Dichte der Ereignisse macht mich skeptisch.

    Eine andere Frage könnte sein, woher die meisten Flüchtlinge kommen und welche Rolle hierbei Freund und Feind gespielt haben. Zufällige Entwicklung oder Plan, um Aufmerksamkeit und Wirtschaftskarft umzulenken? Durch die aktuelle Debatte werden wir massiv von Risiken abglenkt, die unsere Handlunsgsfähigkeit einschränken: unsere IT -technische und energetische Abhängigkeit von den USA, in die wir uns selbst manövriert haben. Darin liegt für mich ein viel wesentlicheres Staatsversagen, weil dies freie , souveräne Entscheidungen unmöglich macht und damit die Zukunftgestaltung maßgeblich einschränkt. Darüberhinaus führen all diese Punkte zu einer Destablisierung der Demokratie und, die durch die geplanten “Migrationsmassnahmen” weitere Werte aufgibt. Trump 3.0- nein Danke!

    1. Ganz ihrer Meinung. Die vielen Probleme in Deutschland lösen wir nur, wenn wir unbegrenzte Migration zulassen, den öffentlichen Rundfunk darum bitten uns nicht mehr zu belügen, das Bildungssystem auffordert nicht mehr unsere Jugend manipuliert, das Gesundheitssystem auf die moralische Pflicht hinweist sich um unsere Gesundheit zu kümmern und dem Geld der Pharmaindustrie nicht Vorrang gibt und Biden wieder Präsident der USA wird. 🙂

  3. Volltreffer ins Schwarze. Nur juckt es die Wenigsten, weil sie es nicht begreifen. Propaganda muss sich nach dem Intellekt des Dümmsten richten, nicht nach den Intelligenten….

  4. Lieber Herr Löcke!
    Gerne lese ich seit Anbeginn Ihre scharfsinnigen und pointierten Kommentare und Kolumnen. Meine Erfahrungen mit “Staatsversagen” mache ich seit nunmehr drei Jahrzehnten aus der Sicht eines mittelständischen Unternehmers.
    Zwei weitere große Punkte des Staatsversagens sind für mich:
    5) Rückwirkungsverbote werden ausgehebelt
    Gesetzliche Regelungen und Verordnungen verstoßen heute oft gegen das Rückwirkungsverbot, indem die beschlossenen Änderungen sich mehr oder weniger willkürlich in die Vergangenheit auswirken. Dies unterminiert das Vertrauen des Bürgers auf die bestehende Rechtslage bzw. die bestehenden Gesetze und ganz allgemein das Vertrauen in den (Rechts-)Staat.
    Gleichzeitig verändern sich höchstrichterliche Entscheidungen in die politisch gewollte Richtung mit dem Ziel, den Staat zu entlasten bzw. ihm Einkünfte zu generieren. Ein Beispiel ist hier die Einordnung Selbständiger in die Sozialversicherungspflicht. Konnte man bis etwa 2016 auch als GmbH-Minderheitsbeteiligter mit entsprechender Bedeutung für das Unternehmen als Selbständiger gelten, wurde dies ohne Gesetzesänderung, aber abgesichert durch höchstrichterliche Entscheidungen ab etwa 2018 dahingehend verändert, dass man nur noch mit Mehrheitsbeteiligung als selbständig galt. Daraus folgend wurde man rückwirkend für 2 bis 3 Jahre (je nach Prüfungsdatum) sozialversicherungspflichtig, was mit entsprechenden hohen Nachzahlungen für die Person und die Firma einherging.
    6) Der Staat vernachlässigt die Volksgesundheit
    Nicht erst durch die aktuellen dramatischen Beitragserhöhungen in der gesetzlichen Krankenkasse (Selbständige freiwillig gesetzlich Versicherte zahlen ab Januar 18 – 20% mehr) wird klar, dass der Staat kein Interesse an einer optimalen und kostengünstigen gesundheitlichen Versorgung seiner Bürger hat. Auch hier fehlt es vor allem an vorausgedachter Planung und Schaffung einer funktionierenden Infrastruktur. Also Maßnahmen, die jeder Selbständige in seinem Bereich täglich erledigen muss, wenn er nicht Insolvenz anmelden will.
    Machen Sie so weiter, wir werden immer mehr!

  5. Wen juckt‘s? Das ist doch die grausige Kernfrage! Es juckt diejenigen, die jeden Tag damit konfrontiert sind, die arbeitenden Massen, die in schlechteren Wohnvierteln, die durch Staus um 7.00 Uhr zur Arbeit fahren, die von den hohen Energiekosten geknechtet werden, die in ihrem Wohnviertel mit immer mehr Migranten leben müssen, denen immer weniger Geld zum Leben und Urlauben bleibt. Wen es überhaupt nicht juckt sind die vielen Erben, diejenigen mit zwei Beamtengehältern, mit fetten Pensionen, mit einem Haus, geerbt, und einer Ferienwohnung, die jungen Globalisten in schicken Wohnungen in schicken Stadtteilen, die Edelrentner, deren einzige Sorge es ist ob der Achtzigjährige Mann mit der sechzigjährigen Ehefrau die Treckingtour durch Grönland noch schafft, oder ob sie ab Januar für sechs Wochen nach Andalusien oder auf die Kanaren gehen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, sagt Marx. Und so hoffen alle Letztgenannten, dass alles so bleibt wie es ist. Politisches Bewusstsein? Fehlanzeige. In diesen Kreisen, früher oft linksliberal, wird die Krise und ihre Verursacher eisern ignoriert. Man redet nicht drüber, dann gibt’s das auch nicht. Und wählt stur weiter CDSPGrüne, je nach Gusto. Nur der Lindner hat verschissen, momentan. Darauf einen Cremant!

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