von Peter Löcke //
TESTZENTRUM. So heißt das Bühnenprogramm von Felicia Binger und Christine Prayon. Der Begleittext kündigt einen satirischen Abend mit anschließender „Diskursverengung“ [sic!] an. Veranstaltungsdaten und weitere Informationen sind auf der Homepage mRNA-Entertainment [sic!] nachlesbar. [1]
Ich liebe alles daran, denn mehr sprachliche Selbstironie geht nicht. Die beiden Kabarettistinnen respektive Schauspielerinnen/Aktivistinnen lachen dem eigenen Schicksal ins Gesicht. Felicia Binger und Christine Prayon begegnen nicht nur ihrem Leiden, sondern auch der gesellschaftlichen Ignoranz mit einer gehörigen Portion Galgenhumor. Das totgeschwiegene Leid von Felicia Binger und Christine Prayon heißt Impfschäden. Ihr Leben hat sich nach der mRNA-Injektion für immer zum Negativen geändert. Verursacht durch mRNA-Entertainment.
Die beiden Künstlerinnen sind aus einem zweiten Grund bewundernswert. Sie verengen den Diskurs eben nicht wie augenzwinkernd angekündigt, sie erweitern ihn. Sie erschaffen Kultur durch Aufklärung & Humor, durch Gesprächskultur & Streitkultur. Im zweiten Teil ihres Bühnenprogramms erschaffen Binger & Prayon einen Debattenraum für Leidensgenossen und interessierte Menschen. Zitat aus dem Internetauftritt:
Und wenn die beiden in der Pause nicht vergessen, ihre hochdosierten Vitamine zu nehmen, wird es im zweiten Teil auch noch eine feine Diskussion geben. Analog. Miteinander. Vielleicht sogar mit allen. Für alle, die auch irgendein Long Dingsbums haben und denken, damit allein zu sein. Beziehungsweise für alle, die den Irrsinn dieser Zeit nur mit Humor ertragen wollen. Präsentiert von mRNA-Entertainment.
Davor ziehe ich meinen Hut. Da kann und möchte nicht mithalten. Ich präsentiere lediglich einen Kulturschock innerhalb dieser Kolumne, einen radikalen Wechsel weg von zwei künstlerischen Lichtgestalten, hin in den dunklen Bereich der Kulturbranche. Meine zur Diskussion gestellte These lautet wie folgt: Die Welt der Kulturschaffenden besteht zu einem großen Teil aus Kulturabschaffenden, die in der Kulturszene anschaffen. Sie besteht aus Menschen, die Debattenräume verengen, Bücher verbrennen und Bühnen verbieten. Cancel Culture aus ideologischem Fanatismus? Ja, das ist ein Grund, um den es aber an dieser Stelle nicht gehen soll. Es liegt auch an purer Angst. Im Kultursektor geht es auch ums pure Überleben und ums liebe Geld.
„Ich mache linkes Kabarett und werde in die rechte Ecke gestellt.“ [2]
So äußerte sich die von der ZDF heute show bekannte Christine Prayon gegenüber der Berliner Zeitung. Auch das ist kein neues Phänomen. Diese Erfahrung teilen viele Altlinke, die über Nacht zu Neurechten gelabelt wurden. Was neben Diffamierung vermehrt um sich greift, ist die Tatsache, dass diesen Kultur erschaffenden Menschen – wortwörtlich – keine Bühne mehr geboten wird. Im leider hinter einer Bezahlschranke versteckten Artikel der BZ berichten die beiden Künstlerinnen von ihrer Erfahrung, dass es in der Regel Absagen von Veranstaltern hagelt. Woran liegt das?
Es liegt an Angst. In der Kulturbranche herrscht ein System der Angst um Kontaktschuld, Distanzierung und letztendlich ums eigene finanzielle Überleben. Das fängt beim Künstler an bei der Themenauswahl seines Programms – die vielzitierte innere Schere im Kopf. Das erstreckt sich bis hin zur Frage, mit welchen Kollegen sich ein Bühnenstar noch fotografieren lassen sollte und mit welchen besser nicht. Die gerade von Markus Langemann interviewte Kabarettistin Monika Gruber weiß von solchen Erlebnissen zu berichten [3].
Das betrifft aber auch die Veranstaltungsorte aus Angst vor negativer Presse. Vom großen Theater über die kleine Bühne bis hin zum noch kleineren Gasthaus, das einen Konferenzraum anbietet – die Besitzer der Event-Lokalitäten schauen drei Mal hin, wen sie sich ins Haus holen. Ein von der Lokalität ergoogeltes Etikett „umstritten“ führt nicht selten zu einer Absage beim anfragenden Künstler. Die Angst vor einem vernichtenden Artikel der Süddeutschen, des örtlichen Käseblatts oder auch nur Negativbewertungen im Netz ist zu groß.
Soviel zum nichtstaatlichen Kulturbereich. Dabei handelt es sich um einen Sektor, der sich finanziell selbst trägt und ins finanzielle Risiko gehen muss. Beim Bühnenprogramm TESTZENTRUM oder dem von dieser Plattform organisierten „Congress der klaren Namen“ [4] aus dem November 2023 handelt es sich um Formate, die ohne staatliche Fördermittel auskommen. Das verhält sich beim städtischen Theater, das verhält sich beim Jugendzentrum um die Ecke und den meisten Kulturbetrieben anders. Welche Projekte startet ein sich aus öffentlicher Hand ernährender Kulturschaffender? Umgedreht gefragt: Für welche Projekte werden Fördermittel bewilligt? Selbstverständlich werden Finanzen bereitgestellt für eine geplante Regenbogenwoche oder für eine Aktion im Kampf gegen rechts. Das Ganze im Namen der Zivilgesellschaft! Und selbstverständlich ist das jedem staatlichen Kulturschaffenden bewusst.
Wes Brot ich ess des Lied ich sing! Niemand beißt in die Hand, die ihn füttert! Die beiden Redensarten werden nie ihre Gültigkeit verlieren. Die beiden Redensarten gelten auch für die Kultur(ab)schaffenden.
Apropos? Sie sind genervt von diesem Begriff und diesem geschlechtsneutralen inklusiven Orwellschen Neusprech? Das geht mir nicht anders. Autofahrende, Fahrradfahrende, Zu-Fuß-Gehende, Zuschauende, Kulturschaffende – so spricht doch keine Sau und erst recht kein Mensch.
Ja und nein. Der Begriff Kulturschaffende hat eine längere Historie [5] und wurde bereits in früheren Diktaturen verwendet. Ein gewisser Joseph Goebbels verfasste ein Manifest namens „Aufruf der Kulturschaffenden“ [6], das am 18. August 1934 im NSDAP-Propaganda-Organ „Völkischer Beobachter“ erschien. Auch in der DDR sprach man von kulturell Schaffenden. Eine Renaissance erfuhr der Begriff, als die Kulturbranche zu Beginn der Coronazeit als systemrelevant eingestuft wurde.
Was sagt mir das? Es fehlt neben einer Streit- und Debattenkultur, für die ich Felicia Binger und Christina Prayon neben ihrer Kreativität und ihrem Humor so wertschätze, noch eine dritte Kultur. Diese Kultur fehlt den meisten Kulturabschaffenden.
Diese Kultur nennt sich Erinnerungskultur.
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