Verrückte Ansichten

von Peter Löcke //

Ein Axiom ist ein Grundsatz, der keines Beweises bedarf. Eine vermeintliche Wahrheit also, die nicht weiter hinterfragt wird. Vielleicht kennen Sie das Wort Axiom noch aus Schulzeiten. Zwar gibt es in der Mathematik oder Physik verschiedene Beweismethoden, doch gewisse Dinge stehen einfach fest. 1 + 1 = 2! Ist so. Das wird a priori als richtig angesehen. A priori, also von vornherein? So würde sich vermutlich ein Philosoph, Abteilung Erkenntnistheorie, ausdrücken. Interessant finde ich, dass die klügsten Denker der Zeitgeschichte vor allem diese gefälligst nicht zu hinterfragenden Axiome hinterfragten. Das Grundsätzliche! Weil sie das taten, galten ihre Ansichten aus der Perspektive der Zeit, in der sie lebten, als verrückt. Im Wortsinne stimmt das auch. Genies neigen dazu, Probleme aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Sie verrücken die Ansicht.

Spätestens seit Corona gibt es unendlich viele politische Axiome in Form von alternativlosen Wahrheiten. Die aus den politischen Axiomen resultierenden Maßnahmen dürfen, um es mit einem berühmten Tierarzt zu sagen, niemals hinterfragt werden. Zwei weitere Beispiele? Es handelt sich um den russischen Angriffskrieg, an dem alleine Putin die Schuld trägt. Punkt. Der Klimawandel ist menschengemacht. Punkt. Der Diskussionsteppich wurde verlegt. Auf diesem und keinem anderen Teppich darf über die Lösung des Problems diskutiert werden. Stellt man den Boden alias den Ausgangspunkt der Diskussion infrage, wird man zum Leugner, zum Ketzer, zur Hexe. Man gilt als verrückt, wenn man den Boden verlässt und die Perspektive verrückt.

Ein wenig diskutiertes politisches Axiom ist der Rechtsruck. Der in Deutschland? Ja, der auch, doch ich meine den Rechtsruck in ganz Europa. Ach was! Ich erhöhe um den Rechtsruck in der ganzen Welt. Glaubt man den einschlägigen deutschen Medien, scheint die ganze Welt nach rechts zu rücken und sich damit dem Faschismus zu nähern. Schließlich befindet sich der Faschismus ganz rechts auf der politischen Landkarte. Auch das ist ein Axiom, das man zumindest in Deutschland niemals hinterfragen sollte.

„Wahl in Rumänien: Historischer Erfolg für Rechtsextremisten“. [1]

So titelte gerade die Deutsche Welle über den Wahlgewinner George Simion, um anschließend die sorgenvolle Frage zu stellen „Hat ein demokratisches Rumänien noch eine Chance?“. Verfolgt man die Berichterstattung deutscher Gazetten über weltweite Wahlen, so kann man Rumänien durch ein beliebiges anderes Land ersetzen.

Wahl in Deutschland, Frankreich, Österreich, Ungarn, Italien, Argentinien, USA und so weiter: Historischer Erfolg für Rechtsextremisten. Ist die Demokratie in Gefahr?

Die Welt rückt nach rechts. Das Axiom steht fest, das ist gefährlich und daher dürfen die daraus resultierenden Maßnahmen niemals hinterfragt werden. Welche Maßnahmen? Nun. Man könnte die betreffenden rechten Parteien medial bekämpfen, sie notfalls verbieten, ihre politischen Anführer von der Justiz verfolgen und außerdem Wahlen annullieren und sie wiederholen lassen. Rein theoretisch. Das zumindest würde ich machen, wenn ich fest an das unverrückbare Axiom des gefährlichen Rechtsrucks glauben würde. Schließlich dient mein Handeln dann einer guten Sache. Dumm nur, wenn, wie in Rumänien geschehen, statt des verhinderten Rechtsextremisten Georgescu mit Simion ein anderer Rechtsextremist gewinnt. Die Bevölkerung scheint einfach nicht dazuzulernen.

Nun bin ich weit davon entfernt, ein Genie zu sein. Außerdem gehe ich davon aus, dass die Summe aus eins und eins tatsächlich zwei ist. Dennoch stelle ich der in jeder Talkshow geäußerten Teppich-These des weltweiten Rechtsrucks, auf dessen Basis diskutiert wird, eine Antithese gegenüber. Ich tausche den Bodenbelag aus.

Nicht die Welt ist nach rechts gerückt. Die Perspektive, aus der die Welt betrachtet wird, ist nach links gerückt. Und zwar gewaltig. Schon Nietzsche wusste, dass jedes Sehen perspektivisch ist. Nicht die Welt muss zurück nach links rücken. Es wird höchste Zeit, dass die TV-Kameras wieder nach rechts auf dem politischen Mittelkreis rücken und nicht mehr an der von Georg Restle & Co bevorzugten linken Außenlinie aufgestellt werden.

Mittlerweile gibt es dutzende prominente Journalisten, die einst als links galten und heute als Neurechte etikettiert werden. Der langjährige Leiter des Kulturressorts des Spiegels, Matthias Matussek, gehört ebenso dazu wie der taz-Mitgründer Mathias Bröckers. Eben noch anerkannter Wissenschaftsredakteur, im nächsten Moment Verschwörungstheoretiker. Weil Bröckers nach rechts gerückt ist? Nein. Bröckers tut das, was er sein Leben lang tat und edelste Aufgabe eines Journalisten sein sollte. Er hinterfragt politische Axiome wie die offizielle Erzählung um 9/11. Nicht Mathias Bröckers ist verrückt. Verrückt ist und hat sich nur die Art und Weise wie er von einstigen Kollegen behandelt wird.

Wir leben in verrückten Zeiten. Das lese ich oft und ich gestehe, dass mir der Satz selbst oft über die Lippen geht. Probleme, wohin man schaut. Wie gehen Sie damit um, wenn Sie vor einem Problem stehen und nicht weiterkommen? Ich versuche es so. Ich lasse etwas Zeit verstreichen, ändere meine Perspektive, verrücke meine Ansicht auf das Problem. Und ja, manchmal spinne ich auch rum, denke quer, denke out oft he box. Manchmal habe ich wirklich die Ansichten eines Clowns.

So heißt ein berühmtes Buch von Heinrich Böll, das ich im Frühling meines Lebens lesen durfte. Im Herbst meines Daseins überfällt mich ein verrückter Gedanke. Der 1985 verstorbene Böll würde im Jahr 2025 von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung als Neurechter diffamiert werden. Schließlich symbolisiert das Symbol des Clowns „rassistische, transphobe und homophobe Inhalte“.

Das zumindest sind die unverrückbaren Ansichten des Bundesamts für Verfassungsschutz [2, Seite 71]. Das ist ein gesichertes Axiom.

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