Wenn Kontrolle zur Machtergreifung wird

von Diana-Maria Stocker//

Demokratien stehen und fallen mit der Fähigkeit ihrer Institutionen, Macht zu begrenzen und Vertrauen zu sichern. Besonders dort, wo Exekutive und Sicherheitsarchitektur zusammentreffen, sind die Schutzmechanismen gegen Missbrauch zentral. Die aktuelle Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz wirft ein scharfes Licht auf eine politisch neuralgische Zone.

Der Inlandsnachrichtendienst, weisungsgebunden dem Innenministerium unterstellt, stuft die stärkste Oppositionspartei des Landes – die AfD – als „gesichert rechtsextremistisch“ ein – eine Partei, die in Umfragen mittlerweile sogar die stärkste Kraft im Land ist.

Kontrolle jenseits der parlamentarischen Kräfteverteilung

Formal ist die Architektur bekannt: Die Leitung des Dienstes wird vom Innenminister/ der Innenministerin berufen, Weisungen kommen aus dem politischen Raum. Die Überwachung der Tätigkeit liegt in den Händen eines parlamentarischen Kontrollgremiums, das die demokratische Einbettung sichern soll. Hier jedoch setzt die erste Friktion ein: Das 13-köpfige Gremium weist kein Mitglied der AfD auf, obwohl die Partei proportional Anspruch darauf hätte. Diese Exklusion ist keine technische Marginalie, sondern eine bewusste politische Entscheidung, getroffen von den anderen Fraktionen. Politikwissenschaftlich ist dies ein Lehrbuchfall für das, was man als systemische Exklusion bezeichnet: Eine relevante politische Kraft wird von einem essenziellen Kontrollmechanismus ausgeschlossen, obwohl sie parlamentarisch legitimiert ist.

Diese Praxis unterläuft das Ideal demokratischer Inklusion, wie es z. B. Der Politikwissenschaftler Robert Dahl in seinem Konzept der „Polyarchie“ als unverzichtbar herausgearbeitet hat. Eine Demokratie, die einem relevanten Teil ihrer Opposition systematisch die institutionelle Mitwirkung verweigert, unterminiert auf leisen Sohlen das Vertrauen ihre Neutralität. Gerade Kontrollinstanzen, die der politischen Balance verpflichtet sind, dürfen keine Zonen exklusiver Machtbildung werden. Dass hier eine Partei von der Kontrolle ausgeschlossen wird, deren Beobachtung zugleich im Zentrum der Nachrichtendienstpraxis steht, verschärft diesen Befund erheblich: Die Trennung von Akteur und Kontrolle verschwimmt zugunsten derjenigen, die beides in Personalunion gestalten.

Ergänzt wird diese Konstellation durch die G10-Kommission, deren Aufgabe es ist, tiefgreifende Überwachungsmaßnahmen zu genehmigen. Ihre fünf Mitglieder zeigen ein homogenes Bild: Vorsitz und Stellvertretung sind der SPD zuzurechnen, die weiteren Mitglieder kommen einmal mehr aus SPD und CDU sowie FDP. Auch hier bleibt die stärkste Oppositionspartei außen vor. Damit wiederholt sich ein Muster, das zwar formal nicht zu beanstanden sein mag, aber demokratiepolitisch fragwürdig erscheint: die Ausschaltung kritischer Vielfalt in einem Bereich, der maximale politische Neutralität verlangt.

Bewiesen ohne Beweise

Ein weiteres Element macht den Fall besonders bemerkenswert: Die Bewertung des Nachrichtendienstes ist nicht öffentlich nachvollziehbar. Weder die Tatsachengrundlage noch die Argumentationsstruktur sind der Öffentlichkeit zugänglich. Diese Intransparenz schafft ein doppeltes Problem: Erstens wird der politischen Gegenseite die Möglichkeit genommen, sich substantiiert zu verteidigen. Zweitens bleibt der Öffentlichkeit jede Chance verwehrt, die Qualität und Angemessenheit der Beurteilung kritisch zu prüfen. Damit gerät ein zentrales Prinzip demokratischer Rechtsstaatlichkeit ins Wanken: die Überprüfbarkeit staatlichen Handelns.

Demokratische Grauzone: der Kompetitive Autoritarismus

Demokratische Systeme, die beginnen, sich durch ihre Sicherheitsarchitektur vor politischer Konkurrenz zu schützen, bewegen sich in ein Terrain, das politikwissenschaftlich als „grey zone countries“ beschrieben wird. Formal demokratisch, aber zunehmend asymmetrisch in der Machtverteilung. Der von Steven Levitsky & Lucan A. Way identifizierte „Kompetitive Autoritarismus“ [1](Wettbewerbsautoritarismus) liefert eine zentrale Beschreibung für Regime, die formale demokratische Institutionen besitzen, aber in der Praxis autoritär gesteuert werden. 

Historisch lässt sich diese Problematik mehrfach belegen. In der Weimarer Republik zum Beispiel etwa wurden Sicherheitsapparate zunehmend dazu genutzt, politisch unbequeme Kräfte zu markieren – ein Prozess, der im zweiten Weltkrieg gipfelte. Auch die McCarthy-Ära in den USA offenbart die Risiken, wenn politische Auseinandersetzungen in die Sprache und Praxis der Inneren Sicherheit überführt werden: Einmal delegitimiert, geraten politische Gegner in eine Defensive, aus der es kaum ein Entrinnen gibt – selbst dann nicht, wenn die Vorwürfe unbegründet bleiben.

Bedenkliche Verdichtung von politischer Macht

Die aktuelle Konstellation zeigt eine bedenkliche Verdichtung von politischer Macht und sicherheitsstaatlicher Instrumentalisierung. Ein Nachrichtendienst, der unter direkter politischer Führung agiert, ein Kontrollgremium, das die zentrale Oppositionspartei ausschließt, eine Kommission, die homogen regierungsnah besetzt ist, und eine Intransparenz, die jede demokratische Nachprüfung verhindert – dies sind Zutaten, die in Summe eine Erosion demokratischer Kultur darstellen.

Eine robuste Demokratie muss in der Lage sein, auch unbequeme oder gar radikale Kräfte in den institutionellen Rahmen zu integrieren und nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu kontrollieren. Exklusion, Intransparenz und die Vermengung politischer Interessen mit sicherheitsstaatlicher Praxis hingegen führen mittelfristig zu einem Verlust von Vertrauen, Legitimität und Stabilität. Demokratien scheitern selten an einem spektakulären Umsturz – vielmehr erodieren sie schrittweise von innen, wenn sie beginnen, den politischen Wettbewerb durch administrative Macht zu steuern. Was hier passiert, ist kein bedauerlicher Einzelfall, sondern ein lautes Warnsignal.

Quelle:

[1] https://muse.jhu.edu/article/745953

Beitrag teilen:

7 Antworten

  1. Warum steht solch ein Artikel nicht morgen in allen großen Zeitungen?

    Was dort morgen geschrieben steht, erinnert voraussichtlich an jene überflüssigen Funksprüche, welche die Titanic absetzte, bevor sie den legendären Eisberg traf. Glückwunschtelegrafie und Grußworte an die Freunde und Familien links und rechts des Atlantik. Dem heutigen WhatsApp-Geschwätz nicht ganz unähnlich. Diese hirnbefreiten Schiffsmeldungen verstopften die Warnungen anderer Schiffe an die Titanic, daß Eisfelder und große Eisberge auf ihrem Kurs lauern.

    Morgen wird also das weitgehend hirnbefreite Geschwätz in den Zeitungen die wichtigen Meldung des Tages überlagern. Die WELT kann man davon ausnehmen. Das ist m.E. noch ernstzunehmender, kritischer Journalismus, der sich nicht mit einer Sache gemein macht. “Schreiben, was ist.”

    1. So sieht es aus, Herr Larsen!
      Sie haben ein gutes Beispiel angeführt!
      Das tumbe Geschnatter der Belustigung überlagert ernsthafte Kommunikation. Selbst in Freundeskreisen traut man sich oft nicht, ernsthaft über diese gesellschaftlichen Bedrohungen zu reden. WhatsApp sollte man nicht gänzlich verteufeln – ich nutze die Statutsmeldungen oft dazu, auf Artikel des CdkW hinzuweisen – in der Hoffnung, damit wenigstens einzelne Impulse zu setzen! Der Aufwand ist gering. Die Wirkung kann mindestens leicht darüber liegen. So gebe ich die Hoffnung nicht auf, auch wenn in meinem großen Bekanntenkreis (ich behalte daher extra auch von unliebsameren Mitmenschen die Nummern gespeichtert 😉 ) dass steter Tropfen auch die härstesten Brocken höhlt… An der Geduld muss ich selbst noch arbeiten… Aber verzagt nicht: streut weiter das kritische Wissen! Versucht auch mit dem dumpfesten Zeitgenossen geduldig zu bleiben. Irgendwann fällt der Groschen. Und seit dankbar, dass ihr es bereits begriffen habt!

  2. Schade, dass die “Teilen”-Buttons nicht funktionieren. Der Hinweis auf das Urheberrecht verhindert das Verbreiten dieses so wichtigen Beitrages. Dem Leser von CDKW ist das Geschriebene klar und im Großen und Ganzen auch bekannt. Aber gerade den Outsidern sollte der Inhalt doch einmal vor die Augen geführt werden.

  3. Klare Kante – klare Sprache.

    Die Spaltung ist jetzt notwendig!

    Dieses System ist totalitär unterwandert, darüber gibt es keine Zweifel , und wer Zweifel hat, möge sie offenlegen.

    Der Tag der Anwendung der Art 20 Abs. 4, 146 ist nun zum Greifen nah.

    Sobald die erste Enteignung aus dem unendlichen seit Jahren geschaffenen Waffenarsenals der Beschneidung der Bürgerrechte stattfindet, werden Spaziergänge stattfinden, sehr viele Spaziergänge, wie schon 1989 und diese mit absolutem Erfolg

    Die Verfassungswidrigkeit der Grundsteuer 2025 sollte eigentlich schon genügen.

    Schafft Euch Vorräte und eiserne Resilienz an!

    Deutschland wird wieder erblühen – ob mt oder ohne Donald Trump

  4. Sehr guter Beitrag. Das einzige Problem ist, dass es wieder nur die lesen, die es ohnehin schon selber wissen. Für alle anderen scheint wieder einmal klar zu sein: Was staatliche Institutionen uns mitteilen, können wir ungeprüft als wahr annehmen.
    Dieser Zustand ist nicht erst heute oder gestern entstanden, er wurde minutiös orchestriert.
    Und dabei dürfen auch wir Selbstdenker nicht in die Falle der “wir und die anderen-Spaltung” tappen – schließlich sind wir ein Organismus, eine Menschheit, und die Spaltung hat uns erst dorthin gebracht, wo wir gerade sind. Ein Balance-Akt.

    1. Die Einen nennen es “Spaltung”, die Anderen “Vielfalt von Meinungen”. Für mich entscheidend ist, dass der Dikurs geführt werden kann. Selbstverständlich sehe ich die Vielzahl von Menschen, die ihr Denken durch Auslagerung beendet haben. Das von Ihnen angesprochene Orchestrion wirkt. Eigenverantwortung bleibt!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Herzlich Willkommen auf dieser Plattform des kultivierten Austauschs von Argumenten.

Wir haben verlernt Widerspruch aushalten zu können. Hier darf auch widersprochen werden. Ich möchte Sie bitten, dabei wertschätzend und höflich zu bleiben. Beleidigungen und Hasskommentare werden künftig ebenso entfernt, wie Wahlaufrufe zu Parteien. Ich behalte mir vor, beleidigende oder herabsetzende Kommentare zu löschen. Dieses öffentliche Forum und die ihm innewohnende Möglichkeit Argumente und Meinungen auszutauschen, ist der Versuch die Meinungsfreiheit – auch die der anderen Meinung – hoch zu halten. Ich möchte hier die altmodische Tugend des Respektes gepflegt wissen.

„Kontroversen sind kein lästiges Übel, sondern notwendige Voraussetzung für das Gelingen von Demokratie.” Bundespräsident Dr. h.c. Joachim Gauck a.D., vor nur 5 Jahren in seiner Rede zum Tag des Grundgesetzes.

de_DEGerman