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The happy ending of the good woman

von Antje Maly-Samiralow // 

Sie ist schon länger allein.

Friedrich war ein guter Mann. Er war ein ehrbarer Mann, und er hat sie geliebt, auf seine Weise hat er sie geliebt. Er hat sie geliebt für die Frau, die sie ihm war, die Frau an seiner Seite, seine Frau. Sie war sein Lebensmensch. 

Jetzt ist sie Niemandes Mensch mehr. 

Sie ist immer noch freundlich, und sie schminkt sich noch immer die Lippen, so wie Friedrich es mochte, Zinnoberrot. Ihre Locken, in die Friedrich so gern seine Hände vergraben hat, haben sich aufgelöst. Sie trägt ihr Haar jetzt kurz und faktisch farblos. Das ist praktisch, spart Zeit und Geld für den Friseur. Für wen sollte sie ihre Haare auch aufdrehen. Da ist niemand mehr, der seine Hände darin vergraben wollte. Lange hatte sie gehofft, noch einmal einen Mann zu treffen, der mit ihr essen oder ins Kino gehen würde. Friedrich hat das nie gemocht. Friedrich fand es zuhause immer am schönsten, wenn sie für ihn gekocht und sie sich danach einen Film im Fernsehen angeschaut haben. Friedrich mochte Krimis und Tierfilme. Sie mochte Liebesfilme. Aber die fand Friedrich zu banal, zu kitschig, wie er es nannte. 

Einmal hat sie einen Mann kennen gelernt. Er hieß Hans und war der Schulfreund eines früheren Arbeitskollegen von Friedrich. Sie haben nach seiner Beerdigung nebeneinandergesessen. Hans kam aus Nordrheinwestfalen. Er ist extra aus Düsseldorf nach München gefahren, um seinem Schulfreund die letzte Ehre zu erweisen, also Friedrichs früherem Kollegen. Das hat ihr imponiert. Hans war in etwa in ihrem Alter. Gefragt hat sie ihn nicht danach, aber er wirkte recht jugendlich dafür, dass er noch immer arbeitete. Irgendwas mit Kameralinsen und Filtern. Er hat es ihr erklärt, aber das war nicht ihr Metier, und sie wollte ihn nicht belästigen, nicht auf der Beerdigung seines Schulfreundes. Später würde er es ihr genauer erklären, wenn sie sich wiedersehen würden. Er hätte manchmal in München zu tun, hatte Hans ihr erzählt und gesagt, dass er sich melden würde, wenn er das nächste mal in der Stadt sein würde. Er hat ihr sogar seine Visitenkarte gegeben mit seiner Telefonnummer. Die Beerdigung liegt bald fünf Jahre zurück. Hans hat nie angerufen. Einmal hat sie all ihren Mut zusammen genommen und die Nummer auf der Karte gewählt. Aber die Nummer war nicht erreichbar, sagte die Computerstimme.

Hin und wieder trifft sie sich mit alten Bekannten, mit denen, die es noch gibt. Die gehen mit ihr essen, in schöne Lokale, mit ordentlichen Tischdecken und Stoffservietten, so wie sie es früher zuhause gehalten hat. Dann reden sie über die alten Zeiten, über die gemeinsamen Urlaube, die Wanderausflüge und die Geburtstagsfeiern, die sie für Friedrich ausgerichtet hat. Sie loben noch immer ihr Essen und ihre Tischdekos. Nach Friedrichs Tod hat sie keine Feste mehr gegeben. Sie hat lange genug gekocht für andere, für Friedrich sowieso. Manchmal wird sie privat eingeladen. Dann kocht man für sie. Das freut sie sehr, auch wenn das Essen nicht immer gelungen ist.

Nur ins Kino mag keiner mit ihr gehen. Und allein mag sie nicht ins Kino.

Sie hat sich das mit den Streamingdiensten erklären lassen. Jetzt hat sie ihr eigenes Kino. Jetzt kann sie Liebesfilme schauen, soviel sie mag, sogar die alten, die kitschigen mit Happy End. Sie mag kitschige Filme, hat sie immer schon gemocht.

One Response

  1. sehr einfach eine aufreihung von verschiedenen situationen, wie sie täglich tausende menschen, meißt frauen denke ich, erleben. es fehlt m.e. das positive an solch einem leben, das es definitv gibt. und ganz entscheidend aus meiner sicht ist, daß es menschen gibt, die würden für solch ein leben, ihr ganzes vermögen geben.
    ohne die streaming-dienste wäre sie unglücklich? wenn die alles wichtige in ihrem leben darstellen, dann tut sie mir leid. scheint sehr unselbständig und wenig kreativ zu sein, schade, sie sollte aus dem tod ihres mannes das beste machen, denn es ist ihr leben.
    aber es ist ja zum glück nur eine kleine erzählung.

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