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Knecht's stories from Wokistan

von Antje Maly-Samiralow//

Jetzt also auch Doris Knecht! Ich hatte bislang nur einen Roman von ihr gelesen – im Urlaub, in Grado, einer durch und durch österreichischen Domäne – und ich fand ihn gut. Eigentlich mag ich keine kryptischen Sätze. Eigentlich mag ich Mann’sche Konstruktionen, dreimal um die Ecke und endlich doch noch auf den Punkt. Aber Doris Knechts lakonischer Stil, nüchtern bis trocken, keine Fransen, keine Blümchen – zack, zack zur Sache –; das hat was, sogar was Situationskomisches. Und in einer Gradeser Bar, wo alle paar Minuten ein Schmäh über den Tisch geht, fühlt man sich den anderen Gästen gleich noch ein bisschen näher, wenn man über die Amouren des Knecht‘schen Helden Viktor staunt, der mit einem getunten Rennrad durch Wiens winkelige Gassen in die Arme irgendwelcher Frauen brettert, die nicht seine Frau sind. 

Letzten Sommer war ich abermals auf dem Weg nach Grado und bummelte in Salzburg durch einen Buchladen. Eigentlich hatte ich hinreichend Lektüre dabei: einen zarten Hesse für etwaige Momente der Einkehr und einen deutlich kompakteren Meyerhoff für launige Stunden am Meer. Zweimal ging ich an dem neuen Knecht vorbei (nein, nicht an der D.K., an dem Buch von D.K.). Zweimal hatte ich andere Bücher in der Hand und kaufte es dann doch, das neue Buch von Doris Knecht mit dem alles und nichts sagenden Titel „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“. Die Beschreibung im Klappentext war nicht minder verwirrend: „Doris Knecht schreibt über die zutiefst menschliche und intime Selbstbefragung einer Frau, die an einem Wendepunkt steht. Sie versucht, die Wahrheit über sich selbst herauszufinden. Und weiß zugleich, dass ihr das niemals gelingen wird.“ 

Am Ende habe ich das Buch gekauft, weil ich insgeheim gehofft hatte, dass die Kombi Grado und Knecht das seinerzeitige Urlaubsgefühl noch einmal heraufbeschwören würde. Tat es nicht, d.h. Grado schon, Doris Knecht nicht.

Zuerst packte ich den Meyerhoff aus, der – weil von einem Schlaganfall heimgesucht – von der Stroke-Unit an der Wiener Peripherie funkte und, wie das nun mal seine Art ist, sein Innen- und Außenleben und das all seiner Mitmenschen auf den Tisch fabulierte. Eigentlich finde ich es ziemlich billig, stets und ausschließlich das eigene Dasein in allen Facetten auszuschlachten und weder vor der chronisch angeschickerten Großmutter, noch dem abtrünnigen Vater, ja noch nicht einmal vor den eigenen Kindern halt zu machen. Bei Joachim Meyerhoff muss der ganze Clan herhalten. Aber er ist einfach ein verdammt guter Erzähler, und sein Humor verfängt immer, jedenfalls bei mir. Aber irgendwie fehlte „Hamster im hinteren Stromgebiet“ die Leichtigkeit der Vorgängertitel. Dabei hatte ich es mir extra für den Urlaub bestellt. Sonne, Meer und Lachen mit Meyerhoff: das war mein Kalkül. Fehlkalkulation, kann man nichts machen. Also habe ich den Meyerhoff auf halber Strecke gegen die Knecht eingetauscht. Immerhin würde es bei Wien bleiben, wenigstens das.

Dass Doris Knecht ebenfalls ihr eigenes Leben, zumindest strecken- oder auszugsweise feilbieten würde – so ganz wird man nicht schlau aus ihren Zeilen, weil sie ein ziemliches Katz- und Mausspiel inszeniert und die Leser im Ungewissen darüber lässt, ob sie sich nun ganz- oder doch nur teilentblößt, irgendwelche Freundinnen als Ideenspenderinnen missbraucht wurden oder ob die vielen kurzen Kapitel am Ende tatsächlich ersonnen wurden, von Doris Knecht höchstselbst; als würde das den Text irgendwie aufwerten – war mir beim Kauf nicht bewusst. Sonst hätte ich es liegen lassen, das Buch.

Aber nun hatte ich einmal angefangen und las weiter. Es dauerte nicht lange, da funktionierte Frau Knecht eine ihrer Töchter zu einem Sohn um. Der Kniff war nicht schlecht, aber leider ziemlich durchschaubar. Tochter Lucy beschwerte sich darüber, mal wieder in Mamas Buch verhackstückt zu werden. Also machte Mama Doris kurzerhand aus der Lucy einen Max, und bei Max sollte es bleiben. 

Im weiteren Verlauf des Buches schilderte sie eine der vielen Zusammenkünfte mit ihren Schwestern – und spätestens hier tut es nichts mehr zur Sache, ob diese Schwestern ihren leibhaftigen Schwestern entlehnt, teil- oder komplett erfunden sind –, die in der alten Heimat leben, in der Nähe der Eltern, wo sich diese Familientreffen abspielen, und wo sie, die Icherzählerin – die sich kokett in das Kleid des hässlichen Entleins hüllt – mit ihren Schwestern darüber schwatzt, wer am Ort lesbisch, schwul oder trans ist. Vier Schwestern, zu je zwei Zwillingspaaren, die als nahezu perfekt beschrieben werden, als blond und schön, als abgesichert und im eigenen Haus lebend, mit je einem Mann und zwei bis drei Söhnen gesegnet, 700 km weg von der Hauptstadt, interessieren sich dafür, wer am Ort lesbisch, schwul oder trans ist, weil das genau die Sorte Klatsch ist, die am Heiligen Sonntag am Land zwischen Frittatensuppe und Mohr im Hemd verhandelt wird. Eh klar! Ausgerechnet die als bieder und spießig denunzierten Schwestern, deren Leben so gediegen und geordnet daher kommen, dass der Kontrast greller nicht blenden könnte, interessieren sich für die transistorischen Umtriebe in Nachbars Garten. 

Spätestens an der Stelle habe ich mich gefragt, was das soll? Warum tut sie das, die Doris Knecht? Warum rammt sie diesen Regenbogenkitsch mit der Brechstange ins Buch? War das ihre Idee? Oder hat ihr jemand vom Verlag nach Lektüre des Manuskripts nahegelegt, ein bisschen mehr Farbe ins Spiel zu bringen? So ein zeitgeistiger Anstrich könnte das Buch für einen jüngeren Leserkreis erschließen? Also für die, die ohnehin kaum mehr lesen. Na, wenn das mal nicht nach hinten los geht. Ich reagiere mittlerweile alert bis latent aggressiv, wenn sich der Kunstbetrieb zum Sprachrohr all der kruden Ideologien macht, die sich gerade anschicken, unsere Welt aus den Angeln zu heben, jedenfalls die Welt, in der ich auch weiterhin zu leben gedenke. 

Da war diese Serie, die vor ein paar Jahren aufwendig beworben wurde. Ich habe mir seinerzeit fünf Minuten zugemutet und das Programm quittiert, nachdem die Königin von England sowie größere Teile ihres Hofstaates schwarz, die Dienerschaft dafür aufdringlich weiß besetzt war. Ein klarer Fall von Geschichtsklitterung. Noch dreister sind Rollenverteilungen, bei denen der dumme und im Zweifel kriminelle Oberschuft als alter weißer und garantiert unsympathischer Mann daherkommt und die personifizierte Intelligenz, der Problemlösungsstrategien für alles und jeden geradezu in die Wiege gelegt zu sein scheinen, in Person einer schwarzen, gutaussehenden und auch sonst über alle Maßen formidablen Frau in Erscheinung tritt. Nicht, dass es das nicht gäbe. Nicht, dass mir ähnliches im richtigen Leben nicht auch schon begegnet wäre. Aber das Klischee ist ebenso banal wie fragwürdig und allenfalls geeignet, ein tumbes Massenpublikum einzulullen und ihm geframte Analogien einzubläuen. Preist man dazu ein, dass es mit der geschichtlichen Bildung just jener Klientel, die quasi nur mehr in Serie lebt, nicht mehr allzu weit her ist, dann verfangen die getürkten Storys, dann verschieben sich Wahrnehmungen, und dann ist es nicht mehr weit, bis man die reale Welt mit der Filmwelt vertauscht und sie irgendwann dagegen eintauscht. 

Doch zurück zu Doris Knecht, deren Roman letztlich der Trigger für diesen Text war. Mich würde schon interessieren, was in einer erfolgreichen Autorin wie Doris Knecht vorgehen mag, dass sie all die billigen und so platt eingeführten Wokismen bedient, ohne Not? Der Fairness halber könnte ich sie das fragen. Könnte ich. Aber nachdem sie auf den weiteren Seiten durchblicken ließ, dass sie in jungen Jahren, nach ihrer Flucht vom Land in die große Stadt uneindeutige Gefühle zu Hansi hatte, jener Hansi, die sie später auf Instagramm in eindeutigem Lila, mit lila Strähnchen, lila Top, lila Motoradhelm und lila Motoradstiefeln als strahlend und glücklich identifiziert, war mein Interesse an den Intentionen der Doris Knecht vollends versiegt. Dass sie oder die Frau am Wendepunkt auf ihre Abtreibungen irgendwie stolz ist, jedenfalls keine davon bereut, war dann das eine zeitkonforme Statement zu viel, jedenfalls für meinen Geschmack. Dass man sich in schönster Boho-Manier nach der Yoga-Stunde einen Wein hinter die Binde kippt, dafür als Alibi einen Falafel-Teller bestellt; geschenkt! Dass die Klimaangst der Kinder erwähnt werden muss, auch. Bis gut über die Hälfte habe ich durchgehalten. Dann war Schluss. 

Vielleicht tue ich ihr Unrecht. Vielleicht bin ich intellektuell derart unterbelichtet, dass ich ihre Hintersinnigkeiten einfach nicht zu dechiffrieren verstehe? Am Ende hat sie genau solche emotionalen Reaktionen wie die meinen intendiert und schlägt sich auf die Schenkel ob meiner stümperhaften Fehlinterpretationen. Mag sein. Aber das ist jetzt auch schon egal. Es ist mir schlicht zu blöd. Was mich allerdings schon interessiert, ist die Frage, warum immer mehr Kulturräume mit diesem Lila Geklekse verunstaltet werden? Und weil ich darauf keine Antworten habe, habe ich jemanden gefragt, der Antworten haben könnte: den Wiener Soziologen und Jugendforscher Prof. Bernhard Heinzlmaier, dem unlängst das falsche T-Shirt zum Verhängnis geworden ist und der schnurstracks vom bunt treibenden Establishment zur Persona non grata degradiert wurde. 

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