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Sie sollten sich was schämen!

by Peter Löcke //

Wie ausgeprägt ist Ihr Schamgefühl? Wie schnell erröten Sie? Mir passiert das schnell und viel zu häufig. Das hat Gründe. 

Wichtig sind das äußere Erscheinungsbild, ein kultiviertes Verhalten und vor allem höfliche Umgangsformen. Diese Werte wurden mir vermittelt. Mein Problem? Zerstreutheit ist mein zweiter Vorname. Also sind peinliche Momente vorprogrammiert, in welchen ich so gar nicht den mir anerzogenen Werten entspreche. Ein Beispiel?

Ein Kaffeefleck auf dem T-Shirt, das farblich ohnehin nicht zur Hose und den beiden ungleichen Socken passt – das bin ich. So gekleidet traf ich in der Stadt auf einen alten Bekannten, dessen Name mir spontan nicht einfiel – auch das bin ich. Seine Ehefrau heißt Inge. Zumindest daran konnte ich mich erinnern. Also erkundigte ich mich beim Smalltalk nach dem Wohlbefinden von Inge und erfuhr, dass seine Gattin seit drei Jahren tot ist. Wie peinlich! So verlässlich mir derlei Dinge passieren, so verlässlich steigt mir anschließend die Schamesröte ins Gesicht. Gut so. Was würde es über mich aussagen, wenn mir meine Fehler nicht peinlich wären? Schlecht ist, dass ich mich neuerdings für Dinge schämen soll, für die ich mich nicht schämen will. Dadurch steigt mir eine andere Röte ins Gesicht. Zornesröte.

Doch grau ist alle Theorie. Auf zum Lebensalltag wie etwa meiner Fleischeslust. Nicht, was Sie denken. Sie sollten sich was schämen. Beim Discounter direkt um die Ecke gibt es aktuell eine karnivore Angebotswoche. Also nix wie hin. Vorbei an Veggie-Angeboten, Nachhaltigkeitsschildern und CO2-Warnhinweisen erreiche ich das Rotlichtmilieu der Wursttheke und bestelle mit gesenkter Stimme ein Kilogramm Rinderbraten. Ob es etwas mehr sein darf? Ich nicke verschämt, ertappe mich beim Blick auf meine Füße. Mein ökologischer Fußabdruck scheint in Echtzeit zu wachsen. Schnell verstecke ich meine Fleischsünde im Einkaufskorb unter unverdächtigen Produkten wie Toilettenpapier und Toastbrot. Und nun nix wie raus, denn ich habe Glück. Keine Schlange an der Kasse. Hastig lege ich meine Einkäufe aufs Band und erbitte mir zwei Plastiktüten für den Transport. Wie gewohnt tadelt mich die Kassiererin.

„Die führen wir nicht mehr. Plastiktüten sind nicht nachhaltig.“ 

Wie gewohnt tadel ich zurück. 

„Und warum sind nahezu alle Produkte in Plastik verpackt?“

Ich zahle meinen Einkauf plus fünf Euro für nachhaltige Tragetaschen und verlasse den Discounter des Grauens in einer Mischung aus Schamesröte und Zornesröte. Mit Fleischscham, Fremdscham, einem gesunkenen Bankkonto bei parallel gestiegenem CO2-Konto. Immerhin gehe zu Fuß. So schwellen meine ökologischen Quadratlatschen etwas ab. Falls der ein oder andere Leser zum Transport seines Einkaufs ein durch fossile Energieträger angetriebenes Automobil benutzt – Sie sollten sich was schämen.

Zu Hause angekommen ist es kalt. Das spart zum einen Energiekosten, zum anderen wirkt es der Heizscham entgegen. Ein cooles Wärmekissen tut es auch, durfte ich unlängst vom ZEIT-Autoren Henrik Oerding erfahren. Nein, Herr Oerding. Das Körnerkissen hilft alleine meinem alternden Rücken, nachdem ich gerade klimaneutral meinen Einkauf nach Hause geschleppt habe. Also Heizung an im November, denn der Rest meines Körpers hätte es ebenso gerne wohl temperiert. Meine nicht vorhandene Heizscham kompensiere ich mit der Tatsache, dass ich zur Miete wohne.

Der ein oder andere Leser besitzt eigene vier Wände? Sie sollten sich was schämen. Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, ein Kind zeugen? Das mögen früher Lebensziele gewesen sein. Heute ist es ein Ausdruck unsolidarischen Verhaltens, welches zur Zerstörung des Planeten beiträgt. Besitz macht Sie nur unglücklich. Sie sollen nichts besitzen und glücklich sein. So der WEF-Gründer Klaus Schwab.

Schämen Sie sich, Herr Schwab, denn ich werde mich für all das, wofür ich mich schämen sollte, nicht schämen. Und niemand, der sich durch Fleiß etwas aufgebaut hat, niemand, der sich durch Leistung etwas leisten kann, sollte sich schämen.

Und nun gehe ich lange und heiß duschen. Ohne Duschscham. Dabei denke ich an den leckeren Rinderbraten, den meine Frau zubereitet. Die ist momentan etwas sauer, weil wir mittlerweile fünfzig nachhaltige Tragetaschen besitzen und ich dennoch beim nächsten Einkauf ohne eine solche zum Discounter gehe. Nicht aus Zerstreutheit. Der Dialog an der Kasse ist es mir Wert. Ich sollte mich was schämen. 

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5 Responses

  1. Also Herr Löcke, nicht den Rinderbraten unter dem Klopapier verstecken! Ich schäme mich nicht, nicht für mein Auto, nicht für meinen Einkauf gern auch ein paar Kilometer außerorts, nicht für meine Erkrankung die mir ab und zu ein Zeitfenster von 4 bis 5 Stunden gibt um mich relativ normal und schmerzfrei zu bewegen. Schämen sollten sich doch die, die den ganzen Mist mittragen. Vielleicht werde ich mir noch irgendetwas verkneifen bei meiner bescheidenen Verfassung. Soweit kommts noch. Naja ok, ein wenig könnten Sie sich schämen für Ihre Einkaufstaschen. Das ist tatsächlich das Einzige worüber ich mich auch jedes mal ärgere wenn es mir passiert wieder aufs Geratewohl ohne Beutelchen losgezogen bin, nein in meinem Falle losgefahren bin. Asche auf mein Haupt!

  2. Ein sehr animierender und (trotz des ernsten Hintergrundes) amüsanter Artikel.
    Animierend, da ich gleich daran denken musste, wie es persönlich um das Schämen steht.
    Am meisten tritt Fremdschämen auf. Fast ständig, naja, da muss man auch durch in diesen Zeiten.
    Der ganze woke gehirnlose Mist verleitet mich nicht zum Schämen. Ansonsten müsste ich mir die Kugel geben.
    Wirklich schäme ich mich nur dafür, jemals Merkels cdu und die fdp gewählt zu haben. Ein unverzeihlicher Fehler.

  3. Alle Beiträge von … jetzt habe ich doch glatt Ihren Namen vergessen … sind eine Bereicherung.
    Doch dieser ist ein absolutes Highlight!! Vielen Dank dafür! (Und jetzt schäme ich mich zum zweiten Mal, diesmal für die durchaus verzichtbare Verwendung von Anglizismen…)

  4. Wir schämen uns für alles und jeden, fremdschämen ist auch hoch im Kurs, jedenfalls ein belustigender Beitrag.

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