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Neulich in der Oper

von Antje Maly-Samiralow // Glosse //

Neulich in der Oper. Ich sag mal so: da hatte ich ein Erlebnis der – zumindest für meinen bisherigen Erfahrungshorizont – neuen Dimension. Die Oper war aus. Alle rannten nach unten: die einen zur Garderobe, die nächsten raus an die frische Luft und nicht wenige zur Toilette. So ist das nun mal, wenn man Stundenlang still sitzen und in der Pause blöderweise ein harntreibendes Getränk zu sich genommen hat. Und dann weiß man ja auch nie so genau, wann man zu hause ankommt. Jedenfalls war die Schlange ordentlich lang. Bis hinaus ins Foyer standen die Damen. Dachte ich zumindest. Als ich mich umdrehte, um nach meinem Mann Ausschau zu halten, lächelte mich jemand an, ein bisschen zu süßlich, wie ich fand. Es war nur ein kurzer Moment, aber der hatte es in sich. 

Wie ich so Schrittchen für Schrittchen vorwärts rückte in der Warteschlange, wirkte dieses Lächeln nach und wurde immer breiter. Ein vager Zweifel beschlich mich: Das ist doch keine Frau. Der, die, das, wer auch immer stand direkt hinter mir. Ich hätte mich ja einfach umdrehen und mir das Gesicht nochmal genauer begucken können. Hab mich aber nicht getraut. Irgendwas machte mich befangen und feig. Stattdessen sah ich mir all die anderen Frauen an, die, die noch warteten und die, die sich bereits die Hände wuschen und den Lippenstift nachzogen, alte, junge, attraktive, weniger attraktive, die meisten miserabel gekleidet, jedenfalls nicht Operntauglich. 

Nun hatte ich geschlagene zweieinhalb Stunden wirklich schöne Frauen auf der Bühne gesehen. Eine geradezu entzückende Susanna, die es wohl allen Männern, nicht nur dem Grafen und ihrem Figaro angetan haben muss. Eine wunderschöne und auch stimmlich hinreißende Gräfin Almaviva. Das Bühnenbild war reduziert, klassisch, die Kostüme der Epochen entsprechend und aufwendig gearbeitet: kurzum eine Wohltat für das Auge. Und jetzt stand ich hier, hielt Ausschau nach schönen und wohl gekleideten Frauen und war froh um eine jede, die ich entdeckte. Wobei mir auffiel, dass es vor allem sehr junge Frauen waren, die Freude daran zu haben schienen, sich schön zu machen für einen solchen Abend. Die älteren schienen sich in ihr Schicksal ergeben zu haben. Wie schade! 

So vertrieb ich mir die Zeit und vermied gleichsam, an den Menschen hinter mir zu denken, der allerdings immer präsenter wurde. Das mit der Ablenkung hat nicht wirklich funktioniert. Ich sah verstohlen nach unten, um einen Blick auf seine Schuhe zu erhaschen. Blank polierte Stiefelchen, gutes Material, zierlich, darüber hautfarbene Stümpfe. Ob die Beine frisch rasiert waren, konnte ich nicht ausmachen. Meine Augen waren auch schon mal besser.

Ich rückte auf. Noch zwei, drei klappende Türen, dann war ich in der Reihe. Da stand ich nun in meiner Kabine, horchte nach nebenan. Ich versuchte mir einen Ruck zu geben und sagte mir: „Mensch Antje, hab dich nicht so mädchenhaft. Das ist doch auch nur ein Mensch, der seine Notdurft verrichten will.“ Ja, aber was für einer? Ein Mann, der sich als Frau verkleidet hat. Wie es unter seinem Rock aussah, wollte ich gar nicht wissen. Na ja, jedenfalls habe ich die Toilette unverrichteter Dinge verlassen. Draußen im Foyer suchte nach meinem Mann. Und während meine Augen die noch anwesenden Gäste abtasteten, sah ich ihn noch einmal. Er lächelte noch immer, immer noch ein bisschen zu süßlich. Es hatte etwas kindlich naives, sein Lächeln, aber nicht unsympathisch. Vermutlich war er ein ganz feiner Kerl. 

„Schatz, wo steckst du denn?“ Mein Mann hatte mich gefunden. Klar! Ich hakte mich unter und fragte ihn nach der nächsten Kneipe. „Willst du noch was trinken?“ 

„Ja, das auch, aber vor allem muss ich dringend aufs Klo!“

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