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Alles Anti oder was?

von Peter Löcke //

Antidiskriminierung, Antirassismus, Antisemitismus, Antifaschismus. Deutschland einig Anti-Land. Deutschland ist für Anti, ist für das Dagegen. Das ist zunächst ein sprachlicher Widerspruch. Oberflächlich betrachtet handelt es sich natürlich um etwas Gutes, weil sich Anti gegen das jeweilige Böse stellt. Ich stelle zur Diskussion, ob das wirklich so ist.

An der Spitze der vielen im Auftrag des staatlichen Herrn existierenden Für-Anti-Institutionen stehen die Beauftragten. Besteht die Gefahr, dass die Beauftragten selbst zu dem Hass werden, den sie vorgeben, zu bekämpfen? Wie betriebsblind sind sie?

Ferda Ataman etwa ist offiziell die „unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung“. Wie interpretiert die ehemalige Journalistin und Diversity-Beraterin Ihren staatlichen Auftrag? Ihr Fokus liegt auf Rechtsextremismus. Das finde ich lobenswert. Doch was ist, wenn halb Deutschland über Nacht feststellt, dass das größte Antisemitismus-Problem gar nicht von rechts kommt? Jetzt steht Frau Ataman vor einem Spagat in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Sie muss einerseits den durch fanatischen Islamismus begründeten Antisemitismus auf Deutschlands Straßen verurteilen. Sie muss ihn aufs Schärfste verurteilen. Andererseits möchte Sie nachvollziehbar vor Islamophobie warnen, den eben diese Warnung verstärken könnte. Meine Sicht als deutsche Kartoffel ist – diese diskriminierende Formulierung sei Ihnen verziehen, Frau Ataman –  dass dieser Glaubwürdigkeits-Spagat jeden Menschen überfordern würde. 

Überfordert scheint auch Sven Lehmann zu sein. Der ist offiziell Beauftragter für die „Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“. Obwohl es sich hier um eine Positivformulierung handelt, sieht sich auch Sven Lehmann im Kampf gegen jede Form von Queerfeindlichkeit. In diesem epischen Kampf geraten schon mal Feministinnen wie Alice Schwarzer ins Trans-Kreuzfeuer der eigenen Toleranz-Gesinnung. Herr Lehmann kann Ihnen auch erklären, was das Wort Adultismus bedeutet. Ich wusste es bis vor kurzem nicht. Da es vermutlich dem einen oder anderen Leser ähnlich geht: Wenn Sie als verantwortliches Elternteil nicht wollen, dass Ihr 14-jähriges pubertierendes Kind sein Geschlecht ändert, dann handeln Sie aus eigener Perspektive aus Fürsorge. Sie handeln vielleicht sogar aus Wut gegen einen übergriffigen Staat und dessen Frühsexualisierung an Schulen. Aus Lehmann-Sicht ist es genau umgedreht. Sie als Mutter oder Vater handeln übergriffig. Es ist in der Denke des Queerbeauftragten eine Form von Adultismus, weil Sie ihrem Teenager das Recht auf Selbstbestimmung entziehen.

Gab es jemals einen Beauftragten, der für ein Mehr an Gerechtigkeit oder gar gesellschaftlichen Frieden gesorgt hätte? Beauftragte sind wie die Türsteher einer Disco. „Du kommst hier nicht rein wegen deiner Andersartigkeit!“ So mag es lange gewesen sein und ja, das war ungerecht. Ebenso ungerecht ist es jedoch, bei jeder Form von vermeintlicher Benachteiligung freien Einlass zu gewähren und Gratisgetränke zu servieren. Glaubt denn irgendjemand, Tessa Ganserer säße im Bundestag, wenn Sie noch ein Er wäre? Noch nie gab es so viele Gerechtigkeitsbeauftragte. Noch nie war Deutschland so gepalten. Was sagt dieser Umstand der Politik? Noch mehr Beauftragte für noch mehr Spaltung? Doch zurück zum Anti-Phänomen.

„Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur.“ 

Volker Pispers hatte Recht. Mit einer Anti-Haltung habe ich einen Feind. Das Schöne für die eigene Struktur ist außerdem: Es gibt immer einen guten Grund dafür, gegen etwas zu sein. Natürlich gibt es edle und nachvollziehbare Motive gegen Atomkraft zu sein. Natürlich gibt es gute Gründe sich von fossilen Energieträgern zu verabschieden. Das Problem? Wenn man seine innere Anti-Liste abgearbeitet und abgeschafft hat, sollte man ein praxistaugliches Dafür parat haben.

Es ist verführerisch, eine Gegenhaltung einzunehmen. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Mit 18 fühlte ich mich der Antifa zugehörig. Der Grund war profan. Ich hielt das Wort Antifa für ein Akronym. Das ist sicher eine Abkürzung für Menschen, die gegen jede Form von Faschismus sind. Gibt es politisch etwas Edleres für einen Deutschen angesichts der deutschen Vergangenheit? Jahrzehnte später traf ich als Ungeimpfter auf die heutige Antifa. Ich traf auf mich selbst in jungen Jahren und durfte folgendes erfahren. Unsolidarische Typen wie ich gehören entweder zwangsgeimpft oder weggesperrt. Ich gehöre weggesperrt in ein eigenes Viertel oder eine geschlossene Einrichtung. Die Antifaschisten sagten nicht, dass ich in ein Ghetto oder Lager müsse. Das wäre vermutlich Nazi-Sprech gewesen.

Der Mensch neigt zum Anti. Niemand kann sich davon freisprechen. Im Nachhinein haben wir uns im Club der klaren Worte über die Rubrik „Gegen das Vergessen“ geärgert. Nicht über die Rubrik an sich, sondern wie wir sie nannten. „Für das Erinnern“ wäre eine klügere Formulierung gewesen. Ein Für fühlt sich besser an. Vielleicht braucht es keine von außen eingesetzten Anti-Beauftragten. Vielleicht braucht es nur einen einzigen Beauftragten. Einen Innenbeauftragten für Menschlichkeit.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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4 Antworten

  1. Beim “Anti-Sein” verfolge ich kaum ein Ziel und damit bleiben die erfreulich aufbauenden Erfolge aus.

    Erst wenn Ziele gesetzt sind und der Weg dorthin mit all´ seinen Hürden, Mühen und Rückfällen beschritten ist, weiß ich Erfolge wirklich zu schätzen und gestalte aktiv an der Zukunft mit.

    Bei den eigenen Zielen bin ich ganz bei mir und schiele nicht nach möglichen Fehlern anderer. Das setzt vorraus, dass ich andere Meinungen und Einstellungen, auch wenn sie konträr zu meinen eigenen sind, aushalte und sie bequem neben den eigenen stehen lassen kann.

  2. In der Psychotherapie bemühen wir gerne das grüne Krokodil: die Aufforderung, nicht an das grüne Krokodil zu denken, führt meist zu einer Ansammlung grüner Krokodile im Behandlungsraum…..will sagen: unser Gehirn kann nicht “nicht”. Wenn wir an das denken, was wir nicht wollen, bilden wir dazu neuronale Verknüpfungen im Gehirn …..die dann wiederum zu weiterer Beschäftigung mit dem nicht Gewünschten führen. Automatisch, sozusagen….
    “Anti”-was auch immer entspricht dem…..es braucht, wir brauchen Ideen und Visionen zu dem, was wir möchten, bzw. wollen…..auf allen Ebenen und in allen Positionen.
    Danke für den Artikel.

  3. Ein sehr schöner Ansatz!!! Eine Assoziation dazu war mir beim Lesen die Rechtspflicht, dass ein Arbeitszeugnis grundsätzlich mit „Wohlwollen“ auszufertigen sei. Wie jede Regel wird auch diese oft vom Rechtswesen ungeahndet gebrochen und lieber dem „Böswillen“ das Feld überlassen. Also destruktiv statt konstruktiv, Krieg statt Frieden. Wie in allzu vielen Kommentaren „asozialer Hetzwerke“ – die formuliert trefflich https://pispers.com/. Logisch, dass mir das Pispers-Zitat zum „Feind“ als Mittel zur Zweck der Einfachheit schwarz-weißer „Struktur“ eine besondere Freude war! Was der Mann bis 2016 hinterließ, ist ein Juwel. Allerdings nicht mehr seine wohlfeile Distanzierung „von allen Coronaleugnern, selbsternannten Querdenkern, AfD-Fans und rechten Extremisten (…) die aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und alte Texte (…) als vermeintliche(n) Kronzeugen für Ihre kruden bis kranken Ansichten (missbrauchen)“. Er missbraucht dabei nämlich selbst seit Anfang 2021 (https://web.archive.org/web/20210218092400/https://pispers.com/) einen „Feind“ als Mittel zur Zweck der Einfachheit schwarz-weißer Ordnung. Vermutlich jedenfalls: Der Mensch neigt zum Anti. Überspitzt formuliert jedenfalls. Doch eigentlich glaube ich an das Gute im Menschen. Nur bei der heutigen Antifa fällt es mir schwer: eine Art Neo-SA? Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich kenne keine Antifanten mehr, nicht mal entfernt und obwohl ich den Gedanken früher mal sympathisch fand. Auf jeden Fall bin ich „Für das Erinnern“! Fürwahr eine passende Formel für (!) Geschichtsbewusstsein und für (!) das Verstehen der Gegenwart. Vor allem aber: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ (Saint Exupéry). Es ist der zentrale Innenbeauftragte für Menschlichkeit.

  4. gefällt mir…..leider kann ich am 5.11.23 nicht nach München kommen…..aber ich unterstütze – schon seit längerer Zeit – mit meiner monatlichen Spende in Höhe von 5 Ihre tolle Arbeit ..weiter so !

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