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Jenseits von links und rechts

von Peter Löcke //

Bruder Jakob! Bruder Jakob! Schläfst du noch? Schläfst du noch? Hörst du nicht die Glocken? Hörst du nicht die Glocken? Ding. Dang. Dong.  

Der Text des alten französischen Kinderlieds  „Frère Jacques“ erscheint zweitrangig. Wichtiger sind die eingängige Melodie sowie die Tatsache, dass man die austauschbaren Textbausteine in Endlosschleife singen kann, bis man den Zustand einer fast religiösen Trance erreicht. In der Gruppe. In einer großen Gemeinschaft. Wie schön.

Bruder Jakob! Bruder Jakob! Lasst Euch endlich impfen! Lasst Euch endlich impfen! Pieks. Pieks. Pieks. 

Nicht flächendeckend, aber vereinzelt, wurden diese Cover-Verse vor zwei Jahren auf deutschen Marktplätzen gesungen. Mit Kerzen in der Hand, mit maskierten Abstand, im beseelten Gefühl, Teil einer Solidargemeinschaft zu sein und Leben zu retten. Wie schön. 

Es gibt viele Volkslieder, die man in einer Endlosschleife singen kann. Dieses zum Beispiel:

„Hejo, spann den Wagen an, denn der Wind treibt Regen übers Land. Hol die gold’nen Garben, hol die gold’nen Garben!“ Und dann wieder von vorn. 

Die bekanntere, weil aktuelle Cover-Version des Songs lautet so: „Wehrt euch, leistet Widerstand. Gegen den Faschismus hier im Land. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden.“ Und dann wieder von vorn.

Die Menschen singen es mit erleuchteten Smartphones in der Hand. Die Masse verschmilzt zu einem Körper. Dennoch fühlt sich jeder einzelne wie Hans oder Sophie Scholl. Gegen den Faschismus hier im Land. Was sind das für Menschen?

Sie sind Teil der Wir-sind-mehr-Bewegung, die sich für Minderheiten einsetzt. Sie sind Teil der Wir-stehen-auf-Bewegung, die gestern noch stolz vom Sofa aus die Welt rettete. Heute zeigen sie mutig Gesicht. Ihr Gesicht, das sie über Jahre verhüllten, als sie dazu aufgefordert wurden. Es handelt sich um selbstbestimmte couragierte Widerstandskämpfer. Aufgefordert von Kirchen und Konzernen, vom Kanzler und Klassenlehrer gehen sie mutig auf die Straße. Dauerbeschallt von Medien machen sie es freiwillig. Und nun alle von vorne die neue deutsche Nationalhymne „Wehrt euch, leistet Widerstand“. In den Farben getrennt, in der Sache vereint, ruft die demokratische Einheitspartei zum Widerstand auf. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden, denn nie wieder ist jetzt. Was genau heißt das? 

Nie wieder Schwarz-Rot-Gold. Nie wieder Einigkeit und Recht und Freiheit. Wenn sie die deutsche Nationalhymne singen möchten, werden sie heute von Deutschlands Bühnen gejagt wie ein Lehrer in Stralsund. Deutschland ist sich einig im Kampf gegen rechts, Recht und den gesunden Menschenverstand. 

Hass ist keine Meinung. Alle hassen die AfD. So die Botschaften auf den Pappschildern bei den deutschlandweiten Demonstrationen. Das Problem wird zur Lösung erklärt und umgedreht. Das Kernproblem der Widersprüchlichkeit zieht sich durch die gesamte Diskussion rund um die AfD. Vermeintliches Feuer soll mit Feuer bekämpft werden. Die AfD ist eine intolerante Partei. Wir dürfen sie nicht tolerieren. Die AfD grenzt aus. Wir müssen sie ausgrenzen. Die AfD ist undemokratisch. Dann müssen wir sie undemokratisch bekämpfen. Nie wieder Faschismus. Also braucht es Parteienverbote wie im Faschismus. Hat es jemals funktioniert, Feuer mit Feuer zu bekämpfen? Und nun alle im Chor der Massenpsychose: 

Wehrt euch, leistet Widerstand. Gegen den Faschismus hier im Land. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden. 

Ich sehe beseelte, glückliche Menschen. Von der Demonstration  noch schnell ein paar Selfies geschossen für das digitale Familienalbum, die sozialen Foren und den Whattsapp-Status, um sich, der Welt und den Nachfahren der letzten Generation zu zeigen, Teil des Widerstands gewesen zu sein. Anschließend fährt man nach Hause, um die Pandemie der Undemokraten zu beklagen. Die sind an allem Schuld, was in Deutschland so schief läuft.

Veto! Das ist kein Widerstand. Es handelt sich um orchestrierte Events. Es ist Mitläufertum und nicht Heldentum. Die AfD ist nicht die Ursache für Deutschlands Niedergang, sie ist eine Reaktion darauf. Eine gute Reaktion? Darüber kann man streiten. Fürs Protokoll: Diese zur Diskussion gestellte Analyse macht mich nicht automatisch zu einem AfD-Wähler. Es geht um etwas anderes.

Ich singe nicht gerne im Chor. Das ist alles. Ich möchte innehalten, wenn Menschen Teil einer Bewegung sein wollen. Es bereitet mir Unbehagen, wenn tausende Menschen im Gleichklang das Gleiche tun. Das ist meine Definition von Faschismus, jenseits von links und rechts.

In Zeiten des Hasses lohnt sich der liebevolle Blick nach innen, um nicht zu dem zu werden, was man vermeintlich bekämpft. Schauen, schmecken, riechen, hören. Achtsam den inneren Frieden finden. Ich glaube an das Gesetz der Resonanz. Das hört sich esoterischer an, als es ist.  

Frère Jacques! Frère Jacques! Ich singe nicht mit. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden! Das entscheide ich selbst. Ich entscheide mich für andere Melodien.

Voilà! Voilà!

Da höre ich zu. Ich könnte in einer Endlosschleife zuhören. Und dabei von Herzen Tränen des Glücks weinen. 

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.

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12 Antworten

  1. Schauen,schmecken,riechen,hören.Achtsam den inneren Frieden finden.
    Seinen eigenen Sinnen trauen.—-Was sagen sie?
    Dem eigenen Denken trauen—–Ist der Kopf mit dem Herzen verbunden?
    Den eigenen Willen befragen—–Wie weit kannst du gehen?

  2. Vielleicht ist es ganz gut, wenn die Deutschen überhaupt einmal merken, man will auf eine Demo. Wir dürfen das. Laut Grundgesetz sollen wir sogar, wenn wir Gefahr im Verzug sehen. Nach all den schlimmen Geschichten, die man aus Politik und Medien so hören musste ist das kein Wunder, dass sich hier eine Urangst gegen den Faschismus Bahn bricht. Nach dem auf zwölf Jahre verkürztem 1000 jährigen Reich nur zu verständlich. Deswegen schätze ich diese Menschen auch nicht geringer als die, gegen die sie demonstrieren. Wie schon immer ist Angst auf lange Sicht kein guter Ratgeber, schon gar keine Urängste. Das sahen wir ab 2020 ganz deutlich. Bei diesem Thema ist die Wirklichkeit wieder ein wenig angekommen, insofern war dort die Verängstigung ein Strohfeuer und die aktiv betriebene Spaltung in unserer Gesellschaft nicht von Dauer. So soll z.B. die Bereitschaft für herkömmliche Impfungen um 40% zurückgegangen sein, d.h. es hat eine Abstimmung ohne Worte stattgefunden. Ich glaube, das könnte wieder so kommen. Wenn jetzt immer weitere. gummiartige Straftatbestände geschaffen werden, die bei genauem Hinsehen der Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit dienen können, wird es über kurz oder lang in der breiten Masse erkannt werden. Warum braucht es diese, manchen als hilflos erscheinende Aufregung? Diese Einheitsfront gegen die AfD hat alle politischen Möglichkeiten, durch gelungene Politik den Siegeszug der AfD zu stoppen. Das wird häufig vergessen, scheint mir. So ist ein Bundeskanzler ein Kanzler aller ihm anvertrauten Bürger und er hat allen zumindest in Grenzen gerecht zu werden, ich frage mich immer mehr, wissen das eigentlich alle? Die politische Kultur in unserem Staat ist ein hohes Gut, mal eben für kurzfristige politische Ziele diese auszuhöhlen, könnte uns auf die Füße fallen, insbesondere wenn wir tatsächlich Regierungsparteien hätten, die sich nur vorgeblich die Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben haben. Ob es dann noch ein zurück zur lebendigen Demokratie gäbe, bliebe abzuwarten. Ich bin allerdings zuversichtlich, im Gegensatz zur allgemein verbreiteten öffentlichen Meinung.

  3. Lieber Herr Löcke, vielen Dank für die – wie immer scharfsinnige – Analyse der unglaublichen Vorkommnisse in diesem Land… Aber ein besonderer Dank diesmal für den Link zum Lied “Voilà, voilà!”. Ich kannte das Stück noch nicht und bin zu Tränen gerührt!! Trotzdem, oder gerade deshalb, haben Sie mir den Abend gerettet.

  4. Im Januar 1990 wurde in der untergehenden DDR vom Staatsapparat zur Geschlossenheit gegen Rechte Strömungen aufgerufen. Auslöser war das beschmieren, des Ehrenmals in Berlin Treptow, mit Nationalistischen Symbolen. Was im nachhinein sich als Aktion der Stasi rausstellte. Die parallelen sind nicht zu übersehen. Mit freundlichen Gruß Christian Kulling!

  5. War gerade bei Dieter Nuhr. Interessant wie weichgespült dieser Mann rüberkommt! Nur die Fettnäpfchen auslassen! Und das weichgespülte Publikum merkt es nicht einmal, dass Dieter Nuhr nach der Plandemie völlig verändert ist. Es wird weiter gejohlt und geklatscht nur dass Nuhr jetzt mit Fäkalsprache und platten Witzen sein Publikum zum Johlen bringt. Keine seiner scharfen Sprüche, die er sonst immer draufhatte. Alle sind eins im Publikum, und da haben wir wieder den gleichen Effekt: Wir sind die guten Satireversteher. Da lobe ich mir doch Lisa Fitz. Die hat immer noch Biss.

    1. Ja, genau das ist mir bei Nuhr auch aufgestoßen, während und nach der sog. “Pandemie”! Seitdem gucke ich ihn nur noch sporadisch, denn was ist schon Comedy/Satire ohne Biss noch wert? Lisa Fitz ist sich selbst treu geblieben, sie verdient – unter einigen anderen – dafür viel Respekt!!

  6. Das hier beschriebene Phänomen hat Monty Pythons doch sehr schön im Film “Das Leben des Brian” visualisiert. Brian ruft der Menge zu: “Ihr seid doch alle Individuen”, worauf diese unisono antwortet: “Ja, wir sind alle Individuen”. Nur einer, der sich noch ein letztes Stückchen Selbstreflexion bewahrt hat, antwortet: “Ich nicht!”
    Nicht zu toppen und bis heute mit einer philosophischen und gleichzeitig prophetischen Strahlkraft, dass es Einem kalt den Rücken herunterläuft.

  7. Vielen, vielen herzlichen Dank. Ihr Text hat mich sehr berührt und ja, was da inszeniert/orchestriert wurde, hat mich erschreckt und entsetzt, am allermeisten dieser Vorfall in Stralsund. Ich glaube, Deutschland ist total orientierungslos, scheint sich in einer Sinnkrise zu befinden.

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