von Peter Löcke //
Das Adjektiv „kafkaesk“ bedeutet so viel wie unheimlich, unwirklich, bedrohlich, skurril. Es gehört zu den wenigen Adjektiven, die nicht steigerungsfähig sind. Gäbe es ein Superlativ hieße es vermutlich „kafkaesken“. Es läge in einer Namenskreuzung des Schriftstellers Franz Kafka mit der SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken. Letztere war am Tag der Arbeit zu Gast in Österreich bei ZIB, einer Sendung des ORF [1]. Esken warnte in scharfen Worten vor der AfD. So weit, so normal. Und dann sagte Sie folgendes.
„Ich will Ihnen sagen, Goebbels hat 1935 eine Rede gehalten über die Dummheit der Demokratie. Denn die habe der NSDAP damals alle Mittel an die Hand gegeben, um sie selbst abzuschaffen. Wir werden nicht bereit sein, der AfD die Mittel an die Hand zu geben, die Demokratie abzuschaffen.“
Auf die ungläubige Nachfrage des Journalisten Armin Wolf, ob sie gerade wirklich die AfD mit Goebbels vergleiche, bekräftigte Esken ihren Standpunkt.
„Ja. Das ist ne Nazi-Partei.“
Doppelwumms. Die Reaktionen folgten auf den Fuß. Empörung in den sozialen Medien. Außerdem Strafanzeigen wegen des Verdachts der Volksverhetzung gemäß § 130 Absatz 3 [2]. Es war nicht die einzig grenzwertige Aussage Eskens im Interview. So behauptete die SPD-Parteivorsitzende, die AfD wolle 27 Prozent der Bürger, also alle Migranten aus Deutschland verweisen. Der kafkaeske Treppenwitz des Interviews blieb dennoch auch kritischen Medien verborgen. Es war nicht Goebbels, der sich über die Dummheit der Demokratie lustig machte. Es war jemand anderes. Die Auflösung erfolgt am Ende dieser Kolumne. Zuvor sei an ältere Kafka-Esken-Aussagen der letzten Jahre erinnert.
Covidioten! Es handelt sich um dumme, verantwortungslose Menschen! So verhöhnte Saskia Esken zehntausende Demonstranten, die am 1. August 2020 in Berlin für ihre Grundrechte auf die Straße gingen. Nach der Prüfung von Hunderten von Strafanzeigen stellte die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein [3]. Man kann davon ausgehen, dass Ähnliches auch nach Eskens Entgleisungen beim ORF-Auftritt passiert. Es wird nichts passieren. Und das liegt an einem über 140 Jahre alten Gesetz, dem Gerichtsverfassungsgesetz. Die deutschen Staatsanwaltschaften sind weisungsgebunden. Sie sind nicht unabhängig. Schon Heribert Prantl von der SZ forderte im Mai 2019 in einer lesenswerten Kolumne „Entfesselt die deutsche Justiz!“ [4]. Bis das nicht passiert, wird Saskia Esken über dem Gesetz stehen.
Die Covidioten-Aussage ist hinlänglich bekannt. In Vergessenheit ist geraten, dass Saskia Esken im Februar 2023 bei Anne Will davon schwärmte, dass im Zuge von Corona „neue Ideen“ entwickelt wurden [5].
„Wir haben auch dort neue Ideen angewandt, damals mit der Impfkampagne (…) auch mit 2G und 3G. Anwendungen, die eben vorher so nicht möglich gewesen wären.“
2G war also vor Corona nicht möglich? Ja dann. Falls Sie als Leser zur Quelle gehen möchten, achten Sie auf die nervösen Zuckungen, die Jens Spahn befallen, als Saskia Esken das öffentlich im TV sagt. Mein zynischer Kommentar? Auch vor 90 Jahren wurden in Deutschland interessante neue Ideen angewandt, die vorher so politisch nicht möglich waren. Auch vor 90 Jahren wurden Menschen, die nur ihre Grundrechte wahrnehmen wollten, als dumme Idioten und weitaus Schlimmeres bezeichnet. Und damit zur von Saskia Esken erwähnten Rede von Goebbels, in welcher der sich über die Dummheit der Demokratie äußerte, die es den Feinden erlaube, sie abzuschaffen. Es gibt sie nicht.
Richtig ist selbstverständlich, dass der NS-Propagandaminister unendlich viele schlimme Reden gehalten hat. Richtig ist außerdem, dass Joseph Goebbels am 4. Dezember 1935 eine Rede in der Wartburg hielt zur Eröffnung des Reichssenders Saarbrücken. Dort verhöhnte Goebbels seine politischen Gegner unter dem Gejohle des Publikums unter anderem als dumm. Zu hören in diesem Zeitdokument [6] ab etwa Minute 15.
„Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die […] Freiheit der Meinung zugebilligt (…) ja, Ihr uns, das ist doch kein Beweis, daß wir das bei euch auch tun sollen! […] Daß Ihr das uns gegeben habt, das ist ja ein Beweis dafür, wie dumm Ihr seid!“
Die Goebbels-Aussage ist verachtenswert. Dennoch sind es nicht die Worte, die ihm Saskia Esken in den Mund legte. Über die Dummheit der Demokratie, sich selbst abzuschaffen sprach ein anderer. Sein Name ist Hans Schwarz von Berk. Von Berk war NS-Journalist und Herausgeber des 1935 erschienenen Buches „Der Angriff“ [7]. Bei diesem Buch handelt sich um eine Sammlung von Goebbels-Aufsätzen vom Sommer 1927 bis zum Herbst 1930. Die pathetischen Kapitelvorworte jedoch schrieb Hans Schwarz von Berk selbst. Darunter auch das Vorwort über das Kapitel „Die Dummheit der Demokratie“. Dort heißt es auf Seite 61:
„Das wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, daß sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde.“
Mit anderen Worten: Die von Saskia Esken in indirekter Rede wiedergegebene Goebbels-Aussage gehört offiziell zu jenen Zitaten, die dem NS-Propagandaminister fälschlicherweise zugeschrieben wurden [8, 9].
Nazi ist Nazi. Dann war es halt ein Nazi-Journalist und nicht Goebbels selbst, der das mit der Dummheit der Demokratie sagte. Goebbels dachte bestimmt genauso. Dem wäre das ebenfalls zuzutrauen gewesen. Vielleicht ist das so. Das ist ein legitimer Standpunkt und dennoch hat diese Geschichte um Saskia Eskens falsche Zuordnung eines Zitats im ORF eine weitere Pointe. Was ist eigentlich aus Hans Schwarz von Berk geworden [10]?
Nun. Man weiß wenig bis nichts über seine Karriere nach dem Krieg. Von Berk war eine Zeit lang untergetaucht, soll in der Werbebranche unterwegs gewesen sein und verstarb 1973. Nur der Spiegel wusste etwas über seine politische Gesinnung nach dem Krieg in einer Ausgabe aus dem Februar 1964. Dort wird Hans Schwarz von Berk wie folgt zitiert [11]:
„Ich finde, die einzige Partei, die man seit Jahren wählen kann, ist die SPD, und der gebe ich meine Stimme.“
Sehr geehrte Frau Parteivorsitzende der SPD, für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie diese Kolumne lesen, möchte ich das für Sie übersetzen. Als Sie am 1. Mai 2024 die AfD mit Goebbels verglichen, gaben Sie nicht in indirekter Rede die Worte Goebbels wieder. In Wirklichkeit waren es die Worte eines bekennenden SPD-Wählers.
Das ist nicht kafkaesk. Das ist Kafka Esken.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder.
Quellen
[1] https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2-vom-01-05-2024/14224429
[5] https://www.youtube.com/watch?v=4PYPRSBY–A
[6] https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=37143
[7] https://archive.org/details/DerAngriff-AufsaetzeAusDerKampfzeit/page/n61/mode/2up?view=theater
[8] https://de.wikiquote.org/wiki/Joseph_Goebbels
[9] https://de.wikiquote.org/wiki/Hans_Schwarz_van_Berk
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Schwarz_van_Berk
[11] https://www.spiegel.de/politik/hans-schwarz-von-berk-a-85b058db-0002-0001-0000-000046163252
5 Antworten
Wenn ich mir den beruflichen Werdegang von Frau Esken anschaue, verwundern mich ihre Aussagen nicht. Aussagen von Politikerinnen wie Frau Esken regen mich nicht mehr auf. Ich nehme sie einfach nur zur Kenntnis. Das Wesen der Dummheit besteht darin, daß sie sich immer selbst entlarvt. Und das mitunter sehr gründlich.
Esken, wer?
Ich schließe mich dem Kommentar von Peter Wahler an. Auf den Punkt gebracht, aber vermutlich zu hoch für … Danke für die so präzise Analyse in diesem Beitrag, lieber Herr Löcke!
Den Nagel genau auf den Kopf. Nicht umsonst hat man bei Esken immer das Gefühl, da redet eine Gefängniswärterin über Langzeitinhaftierte.
Herzlichen Glückwunsch zu der Schlussfolgerung ! Sensationell … Aber wahrscheinlich zu hoch für besagte Dame